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Ausgabe: | 1924 |
Spalte: | 91 |
Autor/Hrsg.: | Mulert, Hermann (Hrsg.) |
Titel/Untertitel: | Briefe Schleiermachers 1924 |
Rezensent: | Wehrung, Georg |
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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 4/5.
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hängt wohl mit dem Stande der dänischen Forschung
zusammen, daß Neiiendam diese Kapitel vorangestellt
hat. Von unmittelbarer Bedeutung für Bastholm ist die
deutsche Aufklärung gewesen. Er ist, wie Neiiendam
nachweisen kann, der klarste Ausdruck für die deutschdänische
Aufklärung. Vom konservativen Wolffianis-
mus ist er über die Neologie zum Deismus der Popular-
philosophie gelangt. Zu Kant gewann er kein Verhältnis
mehr. Die Wolff'sche Bestimmung des Verhältnisses
von Vernunft und Offenbarung, die er sich in jungen
Jahren angeeignet hatte und die ihn vor Freidenkertum
bewahrt hatte, war mit einem deistischen Zusatz ihm in
Fleisch und Blut übergegangen. Selbständige neue Gedanken
hat er nicht geprägt, opportunistische Rücksichten
sind ihm nicht fremd gewesen, auf klare dogmatische
Gedankenführung war er nicht bedacht. Zu den
großen Gestalten der dänischen Kirchengeschichte gehört
er nicht. Seine Bedeutung besteht darin, daß er
deutsche Aufklärungstheologie und Erbauungsliteratur
nach Dänemark verpflanzte und den dänischen Verhältnissen
anpaßte.
Tübingen. Scheel.
Briefe Schleiermachers. Ausgewählt und eingeleitet von Hermann
Mulert. Mit einem Bildnis. Berlin: Propyläen-Verlag 1023. (404
S.) gr. 8°. geb. Gm. 9—.
Eine vortreffliche Auswahl in einem Band. Eine Auswahl aus
allen bisherigen Briefsammlungen und Mitteilungen bis herab zu den
neuerdings veröffentlichten Briefen an die beiden Schlegel. Ein universaler
Gesamteindruck von Schleiermacher wird hier wirklich vermittelt.
Mit richtigem Gefühl sind einige wichtige Briefe an Schleiermacher
(z. B. von seinem Vater oder von Sack oder Henr. v. Willich) eingefügt.
Brief Nr. 1 ist im Unterschied zur alten vierbändigen Sammlung
und auch zu Meisners Ausgabe endlich richtig datiert (vgl. Meyer.
Schleiermachers und C. G. von Brinkmanns Gang durch die Brüder-
gemeine S. 121 Anm. und S. 202). Zur Redewendung „daß man am
liebsten ausgehen möchte" (Br. Nr. 12), die auch von Meisner
nicht erklärt ist, sei verwiesen auf Ilaxmann, Schleiermachcrs Anfänge im
Schriftstellern, S. 24: „es ist zum öfteren vom Recht zum Ausgehen
die Rede, weil Mendelssohn euphemistisch vom Selbstmord das Gleichnis
gebraucht hatte, man dürfe, falls es in dem einen Zimmer rauche,
in das andere ausgehen". Die Briefe Nr. 131 f. an H. Herz über Börne
sind nach Schenkel (Biographie Schleiermachers S. 265 Anm. 4) „zu
früh angesetzt". — Im Namenverzeichnis sind mir zwei Versehen aufgefallen
. Die Frau Fischer lebte tatsächlich nicht mit in Schleiermachers
Hause, nur ihre Tochter (vgl. die Jugenderinnerungen von
E. von Willich S. 54). Der Bruder der El. Grunow hieß natürlich
nicht Grunow, sondern Krüger. Sonst mögen Anmerkungen und Register
ihren Zweck wohl erfüllen. — Die Einleitung ist schlicht und gut
und charakterisiert Schleiermacher mit Recht besonders als Erzieher und
Seelsorger. Die Reclamausgabe der Monologen und der Weihnachtsfeier
bringen meines Wissens die spätere Fassung, was selbst für diese
Schriften zu beachten ist. — Alles in allem ein Buch, dem man nur
lebhaft den Weg ins gebildete Haus wünschen kann; insofern ist auch
die Beschränkung auf einen Band heute ganz angebracht gewesen.
Münster i.W. G. Wehrung.
Herrmann, Wilhelm: Gesammelte Aufsätze. Herausg. von
F. W. Schmidt. Tübingen: J. C. B. Mohr 1923. (VII, 494S.) gr. 8°.
Gz. 12—; geb. 15—.
Nachdem Schmidt 1922 in einer engeren Schrift die
dauernde Bedeutung W. H.s gezeigt hat (vgl. meine
Anzeige 1923 Nr. 2, Sp. 44 f.), macht er eine Reihe
seiner weit verstreuten Aufsätze und Vorträge wieder zugänglich
. Auch dies Unternehmen ist überaus dankenswert
. Denn so wichtig die immer neu aufgelegten
Schriften H.s sind — der Verkehr des Christen mit
Gott, die Ethik und die sittlichen Weisungen Jesu —, sie
geben doch noch kein volles Bild seiner Theologie.
Gerade seine kleinen Aufsätze und Vorträge zeigen deutlich
, wie er alle Kraft daran setzt, von den Außenwerken
(denen jeweils die Veranlassung der Aussprache entspringt
) auf den Mittelpunkt zurückzuführen und dadurch
auch die Außenwerke erst recht bedeutsam zu machen.
Die einfachste religiöse Fragestellung wird herausgearbeitet
; aller Gedankenprunk, alle schimmernde Rhetorik
wird als falscher Reichtum bei Seite geworfen.
Die Wahrheit muß einfach sein; sie muß den schlichten
Mittelpunkt des Menschenwesens treffen — nicht um es
zu verherrlichen, sondern um es in seiner Gottbedürftigkeit
aufzuweisen. Je mehr die Modeströmung vor Einfachheit
der Fragestellung und Gedankenführung zurückscheut
, je weniger sie infolge der Verwirrung auch
unseres geistigen und seelischen Zustands von sich aus
eine solche Einfachheit zu finden vermag, desto nötiger
hat die Gegenwart die gesunde schlichte Speise, die H.
ihr bietet.
Unter den 20 Einzelstücken zeigen die ersten 3 den
Zusammenhang H.s mit Ritsehl, mit Kant und vor allem
mit Luther (der vielzitierte Aufsatz über „die Buße des
evangelischen Christen" aus Z. Th. K. 1891). Die letzten
führen auf das ethische Gebiet (z. B. „Religion und
Sozialdemokratie"). Die Hauptmasse des Bandes aber
gilt den religiösen Fragen, d. h. der Arbeit der Glaubenslehre
. Da finden wir z. B. die berühmte Abhandlung
über die „Lage und Aufgabe der Dogmatik in der
Gegenwart" (Z.Th. K. 1907), die ebenso berühmte Rede
„Warum bedarf unser Glaube geschichtlicher Tatsachen"
(einzeln gedruckt Halle 1884,3 91), „Zur theologischen
Darstellung der christlichen Erfahrung" (aus „Beweis
des Glaubens" 1889), „Grund und Inhalt des Glaubens"
(ebenda 1890), aber auch Einzelthemen, die doch wieder
das Ganze enthüllen, wie „Weiterbildung der Religion"
(Chi. Welt 1903) oder „Die Auffassung der Religion in
Cohens und Natorps Ethik" (Z. Th. K. 1909) oder „Religion
und Sittlichkeit" (aus „Beiträge zur Weiterentwicklung
der christlichen Religion" 1905). Ein Autoren-
verzeichnis und ein chronologisches Verzeichnis der zahlreichen
Veröffentlichungen H.s (natürlich vor allem auch
derer, die nicht in die Sammlung aufgenommen wurden)
beschließen den stattlichen Band. Nicht nur dem Verfasser
sondern auch dem Verlag gebührt ein warmer
Dank für diese Gabe.
Halle a. S. Horst Stephan.
Vollrath, Priv.-Doz. Wilhelm: Graf Keyserling und seine
Schule. Leipzig: A. Deichert 1923. (48 S.) 8°. Gz. 1.20.
Das Heft zerfällt in 3 Abschnitte: I. Der Typus des reisenden
Philosophen und der Philosoph Graf K. als Metaphysiker und Praktiker
(S. 4—10); 2. Graf K. und seine Beziehung zur Schule der Weisheit,
ihr Verhältnis zur Universität, Kirche und platonischen Akademie
(16—33); 3. die Schule der Weisheit, ihre Mittel, Methoden und Ziele
(33—48). Schon diese Übersicht zeigt die Vielseitigkeit der Gesichtspunkte
V.s; fast ist sie zu groß für eine an sich schon komplizierte
Erscheinung. Dagegen fehlt eine klare, einheitliche Darstellung von
K.s Werk. Indem V. Bericht und Urteil beständig verbindet, werden
wir stärker interessiert als belehrt; das ist zwar leicht und angenehm
zu lesen, aber vielleicht nicht das Notwendigste für den Leser und
nicht immer billig gegenüber dem Helden der Schrift. In seinem Urteil
vertritt V. meist durchaus zutreffend den Standpunkt christlicher
und geschichtlicher Geistesbildung. Mit Recht erkennt er schon darin
einen Grundfehler K.s, daß er im fernen Osten eine Weisheit sucht, die
er besser und für uns lebensvoller bei Goethe oder Luther (oder der
abendländischen Mystik) finden könnte. Hier hätte V. noch schärfer
zufassen können. Wir müssen endlich lernen, daß es eine tiefe Unsitt-
lichkeit und ein verhängnisvolles soziologisches Zcrstörungselcmcnt bedeutet
, das eigene Erbe nicht ernst zu nehmen, nicht mit heißem Bemühen
bis in seine Tiefen zu verfolgen. Wie anders verfuhr Luther, als
er mit seinem Erbe brechen mußte! Er überwand es nur, indem er es
ganz ernst nahm und „reformierte". Dagegen verfällt K. der spezifisch
modernen Versuchung, im Ungewohnten und Überraschenden an sich
ein Moment der Wahrheit zu sehen. — Als guten Ansatz begrüßt V.
mit Recht (außer dem allgemeinen Drang nach Selbstbesinnung, nach
„Wesen" und Verinnerlichung) das Streben K.s, eine Arbeitsgemeinschaft
alles echten Ringens um Weltanschauung zu begründen.
Halle a.S. Horst Stephan.
Grützmacher, Prof. D. R. H.: Spenglers „Welthistorische
Perspektiven" und das Christentum. Leipzig: A. Deichert 1923.
(52 S.) 8°. Oz. 1.60.
Aus dem unendlich reichen Stoff, den Sp. vor uns ausschüttet,
greift Gr. in geschickter Weise dreierlei heraus: 1. Spenglers Grundbegriff
der historischen Perspektiven (1—19), 2. seine allgemeinen
Grundlinien der Weltgeschichte (20—30), 3. seinen Aufriß der Re-
ligions- und Christentumsgeschichte (30—52). Der 1. Abschnitt gipfelt
in dem Aufweis der biologisch-metaphysischen Bedingtheit des Speng-
lerschcn Geschichtsbildes, der 2. wendet sich vor allem gegen die starke