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Ausgabe: | 1924 Nr. 17 |
Spalte: | 375-377 |
Autor/Hrsg.: | Hashagen, Justus |
Titel/Untertitel: | Der rheinische Protestantismus und die Entwicklung der rheinischen Kultur 1924 |
Rezensent: | Hirsch, Emanuel |
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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 17.
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bischof Tilman Limperger fast eine kleine Biographie
aus (57* f.). Leider ist das Ausschöpfen dieser nicht
nur für die Basler Biographik, sondern auch für die
der ganzen humanistischen und reformatorischen Bewegung
unermeßlich reichen Fundgrube sehr erschwert
durch das Fehlen eines Registers. Doch nehmen wir
dieses Fehlen gerne in Kauf, wenn wir daraus schließen
dürfen, daß die Weiterführung und Vollendung dieses
monumentalen Werkes und damit das Erscheinen eines
Gesamtregisters in baldige Aussicht genommen ist.
Thalheim (Aargau). Ernst Staehelin.
K o b e, Pfarrer F.: Die Renitenz bei der Einführung der Union
und die lutherische Separation in Lindelbach 1821—1867.
Heidelberg: Willy Ehrig 1922. (43 S.) 8». = Veröff. d. ev. kirchen-
hist. Kommission in Baden. II.
Die vorliegende kleine Schrift gibt an Hand von
Akten ein vielfach lehrreiches Bild der Schwierigkeiten,
die bäuerlicher Konservatismus in einem badischen Dorf
des Wertheimer Kirchenbezirks der Einführung der
Union länger als ein Menschenalter bereitete. Man
konnte sich an den neuen durch die Unionsurkunde vorgeschriebenen
Abendmahlsritus nicht gewöhnen, verlangte
Beibehaltung der lutherischen Weise und hielt
sich bei sonstiger Teilnahme am kirchlichen Leben dem
Abendmahl fern. Aus dieser Gegensätzlichkeit, die jeder
grundsätzlichen Stellungnahme zur Union als solcher
entbehrte, wurde später, besonders unter dem Einfluß
des lutherischen Separatismus in Baden, wie sie sich
an den Namen des Pfarrers Eichhorn knüpfte, eine
tatsächliche kirchliche Spaltung, die aber mit dem Aussterben
der älteren renitenten Träger der Bewegung
wieder völlig verschwand. Die Behandlung der ganzen
Angelegenheit durch die kirchlichen Behörden zeugt
von religiösem Takt bei Festigkeit und klarer Wahrung
des kirchlichen Interesses, wogegen die staatliche Einmischung
keine glückliche Hand verrät. Die sorgfältige
Arbeit ergänzt in lokalgeschichtlicher Beziehung das
Buch von Johannes Bauer über die „Union 1821".
Heidelberg Otto Frommel.
H ashagen, Prof. Dr. Justus - Der rheinische Protestantismus und
die Entwicklung der rheinischen Kultur. Essen: Q. D.
Baedeker 1924. (236 S.) gr. 8°. Om. 6—.
Inhalt: Abkürzungsverzeichnis. - Literaturverzeichnis. - Einleitung:
Die Bodenständigkeit des rh. Pr. (= rheinischen Protestantismus). -
/. Kap.: Der rh. Pr. und die Entwicklung des Strebens nach Selbstverwaltung
. — 2. Kap.: Der rh. Pr. und die Entwicklung des Wirtschaftslebens
und der sozialen Fürsorge. - 3. Kap.: Der rh. Pr. und die Entwicklung
der Duldsamkeit. — 4. Kap.: Der rh. Pr. und die Entwicklung
des Geisteslebens. — Schluss: Orts-, Personen- u. Sachregister.
Dies Buch ist nach seiner knappen literarischen
Form und seiner bescheidenen äußeren Ausstattung bedingt
durch die gegenwärtige Armut unsrer deutschen
evangelischen Wissenschaft. Die Fülle des in ihm enthaltenen
Stoffs hätte, ohne daß H. weitschweifig hätte
werden müssen, eine Ausbreitung in zwei großen Bänden
ertragen; das Register umfaßt etwa 2500 Stichworte
. Nicht die Schilderung, sondern die Hindeutung
und der Verweis geben den meisten Teilen des Werks
das Gepräge. H. selbst kommt einmal das Wort „Inventuraufnahme
" in die Feder. In der Tat ist sein mühsames
und gelehrtes Werk eine auf 14 Bogen zusammengepreßte
, systematisch ordnende und sachlich
weiterführende Zusammenarbeitung der ganzen in der
reich entwickelten rheinischen Lokalgeschichts- und Lokalkirchengeschichtsforschung
für das Thema enthaltenen
Tatsachen. Man gewinnt durch es eine Übersicht über
das, was erarbeitet ist, und — wozu H. selbst durch
zahlreiche Winke anleitet — einen Begriff von dem,
was noch zu tun ist. Allein deshalb muß H.s Buch dem
an rheinischer Geschichte und Kirchengeschichte interessierten
Forscher ein unentbehrliches Vademecum
werden.
Aber auch eine wichtige Gegenwartsaufgabe hat das
Werk zu erfüllen. Die rheinische evangelische Kirche
hat ja jetzt schwere Zeiten. Der rheinische Lokalpatriotismus
ist von katholischer Seite gegen sie als einen
Fremdkörper mobil gemacht. Da ist denn H.s Untersuchung
ein Wort zur rechten Zeit. H. fühlt sich gewiß
als Profanhistoriker und deshalb ganz jenseits der
Parteien. Er treibt die Unparteilichkeit auch formell
soweit, daß er das Wort „akatholisch" (das doch damit
beantwortet zu werden verdiente, daß wir die Katholiken
die Nichtevangelischen nennten, und jedenfalls von
keinem evangelischen Christen in den Mund genommen
werden sollte) gebraucht. Diese Kühle läßt aber die
Grundthese seines Buchs um so eindrucksvoller erscheinen
. H. macht in einer erdrückenden Menge von
einzelnen Zügen den Satz anschaulich, daß das rheinische
evangelische Christentum nicht nur an allen
Eigenheiten und Tendenzen rheinischer Art vollkommenen
Anteil habe und insofern sich als echt bodenständig
erweise, sondern auch bei den großen Leistungen]
und Schöpfungen der rheinischen Art fast durchweg die
erste, die wahrhaft führende Stellung gehabt habe.
Dieser Satz ist, was die positive Bedeutung des rheinischen
Protestantismus anbetrifft, von H. einfach bewiesen
: man kann an seinem Werke lernen, daß auch
die Geschichte dem Beweise zugänglich ist. Was mir
bedenklich erscheint, ist lediglich die — hochmoderne
— Supposition eines durch die Jahrhunderte hindurch
wesentlich unveränderten rheinischen Stammescharakters
als einer geschichtsformenden Potenz. Doch diese
Supposition hat H. eher dazu gezwungen, den Hauptsatz
zurückhaltend auszusprechen; teilt man sie nicht, so ergibt
sich aus H.s Tatsachensammlung die noch weit
umfassendere Aussage, daß das rheinische evangelische
Christentum entscheidend mitgearbeitet hat an der
Prägung dessen, was wir heut rheinische Art nennen.
Was H. nun im einzelnen zu sagen hat, entzieht
sich selbstverständlich meinem Berichte; es ist unmöglich,
eine Epitome zu epitomieren. Ich kann nur als Exempel
ein paar Punkte herausheben, an denen H.s Darstellung
auch über das Rheinische hinaus wichtig bleibende
Probleme fördert, a) Bei der Darstellung des rheinischen
Wirtschaftslebens kommt H. auf das Problem
Calvinismus und Kapitalismus. Er erweist sich als ein
vorzüglicher Kenner der ganzen Debatte (nur daß Holl
in der 2. Aufl. seines Lutherbuchs zur Beurteilung der
Wirtschaftsethik Calvins und des Calvinismus neue Gesichtspunkte
ins Feld führt, ist ihm zum Schaden seiner
Darstellung entgangen; es wäre Wasser auf seine Mühle
gewesen). Was er bringt, ist — obwohl er eine gewisse
Scheu vor den Autoritäten von M. Weber und E.
Troeltsch hat — eine starke Umgestaltung der durch
diese gängig gewordenen Thesen. So stark der Calvinismus
durch die ethischen Eigenschaften, die er anerzog
, den wirtschaftlichen Unternehmungsgeist förderte
, so stark sind doch auch die von ihm vollzogenen
Bindungen — Pflege der Familie, kirchlicher Sinn,
starke soziale Verantwortlichkeit — einer schrankenlos
kapitalistischen Entwicklung. Eben davon, wie durch
das Wirksamwerden dieser Bindungen die rheinische
Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis tief ins 19. Jahrhundert
hinein und abgeschwächt bis jetzt mit gestaltet
worden ist, gibt H. ein anschauliches Bild. ß)An verschiedenen
Stellen (Kap. 1 und Kap. 3) findet sich wertvolles
Material für die Vorgeschichte der Union. Es
wird gezeigt, wie die eng beieinanderwohnenden Lutheraner
und Reformierten durch eine Periode scharfer
— nur in Verfolgungszeiten gemilderter — gegenseitiger
Gehässigkeit hindurch sich immer mehr zum
gemeinevangelischen Bewußtsein und zu gegenseitiger
Nothilfe hindurchringen, wie — hier ist neues schönes Material
ausgebreitet — am Anfang des 19. Jahrh. die Unionswünsche
im Rheinland spontan entwickelt waren, und
welch Echo darum der Unionsgedanke des preußischen
Königs fand. Läßt man die Tatsachen, zusammen mit
der erst im Anfang des 19. Jahrh. abbrechenden Leidensgeschichte
des rheinischen evangelischen Christen-