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Ausgabe:

1922 Nr. 8

Spalte:

166-167

Autor/Hrsg.:

Heinrici, C. F. Georg

Titel/Untertitel:

Die Hermes-Mystik und das Neue Testament 1922

Rezensent:

Bauer, Walter

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165 Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 8. 166

rias bemühte fich Hiskia bei den Affyrern, freilich vergeblich
, um die Anerkennung feiner Anfprüche auf das
Nordreich. Die letzte Redaktion von E dagegen ent-
ftand zur Zeit Jonas, von deffen Reform fie noch Kunde
gibt. Gleichwohl läßt fie ein ftark nordisraelitifches Inter-
effe erkennen; das erklärt fich nicht nur daraus, daß
ältere Ausgaben im Nordreich entftanden waren, fondern
wohl auch daraus, daß der Verfaffer für die jofianifche
Reform im nordisraelififchen Gebiet Propaganda machen
und deswegen zeigen wollte, daß auch Juda ,alles anerkennt
und heilig hält', was in Nordisrael hochgehalten
wird, ,die Erzählungen von den großen Propheten des
Nordreichs, Elia und Elifa .... von den Heiligtümern
Bethel, Dan und Sichern .... von Jofeph u. a.' Den
Gewinn leiner Ergebniffe fieht B. darin, daß 1. an die
Stelle zahlreicher Einzelfchriften (David-, Salomo-, Elia-,
Ephraimitifche Kriegs-Gefchichten ufw.) zwei uns wohlbekannte
Quellen treten, 2. daß wir jetzt ein klares Bild
der von Rd zitierten D^TI "nm erhalten (aus ihnen
Hammen nicht die ausführlichen Gefchichten; fie waren
alfo nichts anderes als kurze annaliftifche Aufzeichnungen
, die fowohl J und E wie dem Redaktor bekannt
waren), 3. daß auch fchon für die vordeuteronomifche
Periode an die Stelle ,der zerhackten Gefchichtswerke
Richter, Samuel, Könige, die keinen rechten Anfang und |
kein rechtes Ende haben, .... zwei große, vollftändige j
Gefchichtswerke' treten, J und E, die beide die ganze
Gefchichte behandeln.

Der Raum geftattet nicht, die großzügig angelegte und überreichende
neue Rerfpektivcn eröffnende l'nterfuchung im einzelnen nach-
zuprülen. Ich muß mich daher auf folgende allgemeinen Bemerkungen
befchränken. [, Daß B. auf eine Reihe von Schwierigkeiten aufmerk- :
fam geworden ift, für die wir eine befriedigende Löfung erft fuchen i
muffen, und daß daher fein Schriftchen wertvoll auch für die ift, die
feine Löfung nicht annehmen können, loll zunächft mit allem Nach- !
druck anerkannt werden. 2. Es ift eine unverkennbare Tatfache, daß
die ausführlichen Erzählungen die durch das Rahmenfchema gekenn- j
zeichnete Struktur des deuteronomifchen Königsbuches zum großen
Teil empfindlich ftören, woraus zu ichließen fein dürfte, daß fie erft j
nachträglich aufgenommen find; J und E aber müßten Rd als Quellen
vorgelegen haben und von ihm hier ebenfo benutzt fein, wie in andern
Teilen feines großen Gefchichtswerkes. Auf diefe Strukturprobleme
geht B nicht ein, feine Löfung wird ihnen daher auch nicht gerecht.
3. B. will an die Stelle von Einzelfchriften zufammenhängende Erzählungsquellen
gefetzt haben; das aber ift ihm tatfächlich nicht gelungen,
denn Zwilchen Jerobeam und Ahab klafft auch bei ihm eine Lücke
und ebenfo wieder zwifchen Joas und Alias. 4. Den von B angenommenen
Quellen fehlt die genügende Gleichartigkeit des Charakters;
wenn z. B. E für die jofianifche Reform im Nordreich l'ropaganda
machen foll oder überhaupt nur die deuteronomifche Reform fympathifch
begrüßt, wie kann er dann Erzählungen bieten oder unverändert laffen,
welche die Heiligtümer des Nordreiches anerkennen, ja verherrlichen?
5. Daß B. bei der Analyfe die Abweichungen der LXX vom MT in
Rechnung ftellt, ift gewill ein Vorzug feiner Arbeit vor vielen anderen;
daß er fie aber richtig verwertet habe, kann ich nicht anerkennen. Er
lieht fich zu der Annahme genötigt, daß ein großer Teil befonders
der J-Texte, die noch zur Zeit der Entftehung der LXX im hebräifchen
Königsbuch ftanden, nachträglich daraus geftrichen feien; aber dazu
fehlt es doch an Analogien. Bei feiner Annahme müßte LXX B die
originalere Quellenftruktur der Salomo- und Jerobeamgefchichte bieten;
aber daß ßao. y 12 gegenüber MT original fei, wagt auch B. nicht
zu behaupten: hier loll der tirlprüngliche Bericht von J, der einft auf
■2, 24 o folgte, auch in LXX ß geftrichen und durch eine verkürzte
Wiederholung des Berichtes von E 12,1 ff. erfetzt fein; die Streichung
wäre begreiflich, aber die Wiederholung wird febwerlich begreiflich zu
machen fein. 6. Endlich fcheint mir, daß B. feine Thefen durch eine
geniale Vermutung zu einzelnen Erfcheinungen gewinnt, fich dann nach
einigen beftätigenden Indizien umfieht und zufrieden ift, wenn er folche
'indet, daß er es aber nicht für nötig hält, zu fragen, ob feine Thefen
mit der Gefamtheit der Erfcheinungen zufammeuftimmen, oder ob die
Gründe, die er für fie anfühlt, nicht doch nur Scheingriinde find, weil
be fich ebenfogut auch für andere Thefen ausnützen laffen. Die Tendenzen
, die den letzten Ausgaben von J und E zugefchrieben werden,
erfcheinen mir nicht einmal als diskutabel.

Im Ganzen alfo muß ich urteilen: B. regt vielfach
an, indem er Lücken in den bisherigen Löfungen und
neue Probleme zeigt; feine eigene Löfung jedoch ift
ficht befriedigend; im wefentlichen werden fich befriedigende
Löfungen im Rahmen der bisherigen Erkennt-
"iffe gewinnen laffen.

Breslau. C. Stetiernagel.

Heinrici, weil. Prof. C. F. Georg; Die Hermes-Myftik und
das Neue Teftament. Hrsg. v. Ernft v. Dobfchütz.
(Arbeiten zur Rel.-Gefch. des Urchriftentums i. Bd.,
1. Heft.) (XXII, 212 S.) 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs
1918. M. 64.80

Das Buch, ein nachgelaffenes Werk Heinricis, wird
durch ein Geleitwort Leipoldts als erftes Heft der Ar-
beiten zur Religionsgefchichte des Urchriftentums', die
das Sächfifche Forfchungsinftitut für vergleichende Religionsgefchichte
in Leipzig (nt. Abteilung) erfcheinen
laffen will, vorgeftellt. E. v. Dobfchütz, der den Druck der
pofthumen Schrift geleitet hat, fandte ihr ,zur Einführung
' eine Würdigung des Lebenswerkes ihres Verfaflers
voraus, und ließ ihr eine Anzahl von Nachträgen folgen.
Auch verfchiedene Verzeichniffe find beigegeben.

Die Arbeit des eigentlichen Verfaffers gliedert fich
in zwei an Umfang fehr ungleiche Teile. Im erften
werden nach kurzen einleitenden Bemerkungen über
.Myftik und Philofophie', das ,Alter der Hermesmyftik',
den ,Geift der Hermesmyftik' und die .Überlieferung und
Ausgaben' der Hermesfchriften, die einzelnen Stücke
diefer merkwürdigen Literatur, foweit fie religiöler Art
find, analyfiert und befprochen. Das Ziel der Unterfu-
chung ift die Gewinnung eines Einblickes in die Welt
diefer Myftik, die dann im zweiten Teil mit der geiftigen
Welt des Urchriftentums verglichen werden foll. Erweckt
der erfte Abfchnitt den Anfchein,' als ob er ziemlich ab-
fchloffen gewefen wäre, fo läßt der zweite den Eindruck
weitgehender Unfertigkeit zurück.

Das Buch war zunächft einem anderen Mitarbeiter der ThLZ. zur
Befprechung überwiefen worden und ift erft nach deffen Tod in meine
Hände gelangt. So erklärt fich die Verfpätung der Anzeige. Daraus
ergibt fich aber auch eine befondere Sachlage. H. hatte feine Unter-
fuchungen bewußt eingeftellt auf eine Widerlegung der fog. Religi-
onsgefchichtler, die für das Urchriftentum eine gewiffe Abhängigkeit
von der helleniftifchen Myfterienfrömmigkeit behaupten. Die Art, wie
feine Ausführungen gleichfam programmatifch das neue Unternehmen
der .Arbeiten zur Religionsgefchichte des Urchriftentums' eröffnen, hat
nun den in erfter Linie angegriffenen Vertreter der befehdeten Richtung,
R. Reitzenftein, veranlaßt, fich in einer ausführlichen Anzeige mit
dem Jnbalt des Buches auseinanderzufetzen (Gotting, gel. Anzeigen
1918, 241—274). Wer heute H.'s Werk befpricht, kann gar nicht umhin
, auch zu R.'s Rezenfion Stellung zu nehmen. R. weift mit einer
Fülle von Belegen nach, wie wenig H. noch in den Stoff eingedrungen
war uud wieviel ihm fehlte, um feinen fchwierigen Gegenftand
in förderlicher Weife behandeln zu können. Ich habe R.'s Darlegungen
und Beanftandungen nachgeprüft und muß ihm durchaus
recht geben.

Von der Vorführung der Einzelheiten, die R. befprochen hat, darf
ich wohl abfehen. Jeder, der den Wunfch hat, ift ]a in der Lage, fich
felbft zu orientieren und zu einem eigenen Urteil zu kommen. Aber
auch fobald man über das von R. unterbreitete Material hinausgeht,
flößt man auf Mängel. Dem Theologen liegt es nahe, beim zweiten
Teile einzufetzen. Da hören wir bei der Vergleichung fchon der erften
der vorgeführten Begriffe (S. 169J: .Für den Vorgang der Offenbarung
wird einmal änoxakvmtiv gebraucht (sc. in den hermetifchen Schriften
) . . . einmal fodann ipavtywoii; (XI 1). Beide Ausdrücke gehören
zu dem geläufigen nt. Sprachgut'. Aber darf man einen Ausdruck,
der, wie (pavigwoiq zweimal im NT. vorkommt, dazu nur in den
Korintherbriefen, zum geläufigen nt. Sprachgut rechnen? Die ge-
famte Wortgruppe vom gleichen Sprachftamm kann nicht gemeint fein,
denn dann würde das ,einmal' für die Hermetica wieder nicht ftimmen.
Solche Erfahrungen erzeugen ein berechtigtes Mißtrauen gegen die
auf derartige Unterlagen aufgebauten Schlöffe.

Doch nicht nur das Einzelne läßt vielfach die nötige
Sorgfalt vermiffen, auch die Unterfuchungen als Ganzes
betrachtet verraten eine gewiffe Unausgeglichenheit.
Bald fcheinen fie erweifen zu wollen, daß das Urchriftentum
dem Myfterienwefen überhaupt nichts fchuldet,
fondern lediglich als der gebende Teil in Frage kommt.
Bald wieder wird von Anleihen der älteften Chriftenheit
bei den Myfterien als etwas Selbftverftändlichem geredet
und die der Prüfung unterliegende Frage vielmehr fo
geftellt (S. 16;): ,Hat das Chriftentum diefe Entlehnungen
durch feine originalen Grundanfchauungen umgeformt
und mit neuem Gehalt erfüllt, oder ift es durch fie feiner
Eigenart entfremdet worden?' Von den in jener
Richtung gehender Ausführungen muß ich fagen, daß
es H. an keinem Punkte gelungen ift, die Beeinfluffung