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Ausgabe:

1922 Nr. 1

Spalte:

390-392

Autor/Hrsg.:

Beer, Georg

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung des Ariertums für die israelitisch-jüdische Kultur 1922

Rezensent:

Baumgartner, Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 18/19.

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ganze, lange Abfchnitte noch mal im Zufammenhang zu
lefen und zu genießen. Dabei habe ich denn auch left-
geftellt, wie oft kleine bedeutfame Verbefferungen in
fcheinbar unverändert gebliebenen Abfchnitten flecken.

Wenn das Buch von 524 auf 600 S. angewachfen ift,
fo liegt das z. T. am Druck, hauptfächlich aber an Erweiterung
des Inhalts. Kleine und kleinfte Zufätze,
nicht nur Buchtitel betreffend, find über das ganze Buch
zerftreut. Viele, z. T. umfangreiche Stücke find ganz neu
gefchrieben. So gleich am Anfang die einleitenden Kapitel
über Wahrheit und Frömmigkeit. W. fetzt fich mit
der Lofung des Tages: ,Los von der Vergangenheit und
der Herrfchaft des Intellekts' wirkfam und hoffentlich
viele überzeugend auseinander. Lebhaft begrüße ich den
neuen Abfchnitt über die bleibende Spannung zwifchen
Wiffen und Glauben. Ein Theologe darf fich nicht verbergen
, daß Wiffenfchaft und Frömmigkeit als zudräng-
liche Neugier und anbetende Ehrfurcht tiefe Gegenfätze
find. Darin befteht die Tragik feines (notwendigen!) Berufes
. Wertvolle Erweiterungen bringt der religionsge-
fchichtliche Teil über Animismus und Religionsparallelen.
Ganz neu gefchrieben ift der Abfchnitt über die Reformatoren
; W. hat ja inzwifchen in den bekannten drei
Monographieen diefe drei Großen neu dargeftellt. Umgearbeitet
ift auch das ganze Kapitel über Aufgabe und
Methode des dogmatifchen Denkens.

Über das ganze Buch hin findet man natürlich die
Spuren der gewaltigen weltgefchichtlichen Ereigniffe der
letzten Jahre. Das Bemühen um gerechtes Urteil ift
offenfichtlich: „Den jetzigen Völkerbund der Siegerftaaten j
zum Zweck der Wahrung ihres augenblicklichen Macht-
befitzes mit dem chriftlichen Ideal zu vermengen, wäre
tieffte Unfittlichkeit." Aber „der Weltkrieg hat vor allem
die Gefahren des autokratifchen Regimes offenbart" — ift
diefer Satz nicht mindeftens mißverftändlich, weil man
nicht weiß, wo man dies „autokratifche Regime" fuchen
foll? Auch die im wefentlichen unverändert gebliebene
Auseinanderletzung mit dem Sozialismus gewinnt unter
dem Eindruck der Revolution ein neues Licht. Aber ob
Wernle, wenn er fein Buch heute und in Deutfchland
fchriebe unter der furchtbaren Erfahrung der Unterfchät-
zung geiftiger Arbeit und geiftiger Werte, die uns mit
dem Untergang unferer Kultur (nicht Zivilifation) bedroht
, nicht die Akzente noch etwas anders verteilen
würde?

Auch einige andere Wünfche darf ich andeuten.
Ich vermiffe eine angemeffene Würdigung des Problems
der Abfolutheit des Chriftentums. Ein ähnliches
Defiderium nach mehr Gefchichtsphilofophie hat fchon
Eck vorgetragen. Im N. T. ift das Problem einer
„Biographie" Jefu, aber nicht das einer Charakterfchil-
derung Jefu behandelt. So ift auch Weideis kraftvolle
Studie, die fchon in dritter Auflage vorliegt, nicht
genannt. Die Spannung zwifchen Religion und Sittlichkeit
ift S. 448 fcharf gezeichnet. Hier, wie auch fonft,
vermiffe ich die deutliche Unterfcheidung von Religion
und Glaube. Es gibt viel Religion, die nur Karrikatur,
nur Hinderung des Glaubens, der wahrhaften Berührung
mit Gott ift. Dagegen gibt es viel Moral, in der tieffter
Glaube, wahrhafte Berührung mit dem lebendigen Gott
fleckt. In der Praktilchen Theologie läfe ich gern ein
Wort über Diafpora (Bußmann, Diafporakunde). Die
fchönen Ausführungen über Religionsunterricht (kein
Stichwort im Regifter) können den Eindruck erwecken,
als feien das alles fromme Wünfche. Von dem heißen und
nicht erfolglofen religionspädagogifchen Bemühen der
letzten Jahrzehnte gewinnt der Lefer kein Bild. Über
die fchweren politifchen Nöte des Rel.-Unt. im neuen
Deutfchland erfahrt der Leier nichts. Endlich eine Kleinigkeit
: der Begründer diefer Zeitung heißt Emil (nicht
Ed.) Schürer (S. 107).

Ich durfte diefe kleinen Bedenken und Wünfche vortragen
ohne Sorge, als würde damit meinem Dank etwas

abgebrochen. Es ift wirklich ein köftliches Buch. Das
Schönfte ift wohl dies, daß feine tiefe und vielfeitige Ge-
lehrfamkeit fich gar nicht vordrängt; man vergißt fie faft
über dem Harken Eindruck warmer Liebe zur Sache und
fprudelnder Frifche.

Hannover-Kleefeld. Schuft er.

Beer, Prof. Dr. Georg: Die Bedeutung des Ariertums für
die ifraelitilch-jüdifche Kultur. (36 S.) gr. 8°. Heidelberg
, Willy Ehrig 1922. M. 18 —

Nachdem namentlich Kittel feit der zweiten Auflage
feiner „Gelchichte des Volkes Ilrael" und Meinhold in
der Baudiffin-Feftfchrift (1918) 331fr. die Frage des Indo-
germanentums in Kanaan berührt haben, ftellt Beers
Schrift, die Wiedergabe einer akademifchen Feftrede, die
erfte umfallende Behandlung diefer Frage dar. Beer be-
fpricht zunächst die arifchen Völker, mit denen Ifrael feit
feinen Uranfängen in Berührung gekommen (S. 2—4).
Ein erfter Teil (S. 4—12) behandelt die älteren Einflüffe
auf Ifrael: Kulturpflanzen und Haustiere, Erzählungswelt,
Kriegswefen, Religion. Ein zweiter (S. 12—18) die per-
fifchen Einflüffe auf das Judentum: politifche Begünfti-
gung des Wiederaufbaues, Erlöfungs- und Auferftehungs-
gedanke, Dualismus, Engelwelt, Teufel, Hölle, Totengeficht
ufw. Ein dritter (S. 18—24) die helleniftifchen EinflüfTe:
griechifche und lateinilche Sprache, Gymnafien, Theater,
Stadien, Hauseinrichtung, Kleidung, Effen, Namengebung,
Mythen und Sagengut, Gerichtswefen, Medizin, Natur-
wiffenfchatten, Mufik, Philofophie. Den Schluß (S. 24—36)
machen 247 Anmerkungen mit Quellen- und Literaturverweifen
und Erörterung einiger Einzelfragen.

Sind die perfifchen und helleniftifchen Einflüffe auf
das Judentum fchon öfter unterfucht und dargeftellt worden
, fo richtet fich das Intereffe des Lefers vornehmlich
auf die durch die Ausgrabungen an die Hand gegebenen
neuen Probleme, auf die Frage, feit wann Indogermanen
in Kanaan auftreten und wie weit fchon das alte Ifrael
von ihnen direkt oder indirekt beeinflußt worden fei.
Und hier fordern Beers Aufhellungen auch am meiften
Widerfpruch heraus. Im übrigen fei ausdrücklich bemerkt
, daß er im Tone fachlich bleibt und Israel ebenfo
wie dem Judentum gerecht zu werden fucht. „Es ift
viel, was das Judentum dem Ariertum verdankt, es
ift aber noch mehr, was wir dem Judentum verdanken
(S. 24).

„Ariertum", womit „arifclie Völker", „arifche Rade", „Völker ari-
fcher Raffe oder Kultur" gelegentlich Weddeln, ift für Beer foviel wie
Indogermanentum. Darüber, wie er fich die Einheit denkt, äußert er
fich nicht, da diefe bekanntlich durchaus nicht immer zufammenfallen,
und gerade der Begriff „indogermanifch" nach den meiften nurfprach-
liche Vcrwandtichaft bezeichnet. Über eine „indogermanifche Raffe"
pflegte fchon der Sanskritift Max Müller zu lpotten, man könne mit
demielben Recht von einer makrokephaen Grammatik und einem mikro-
kephalen Wörterbuch reden; wenn Beer „arifch" gebraucht ftatt „indogermanifch
", fo ändert das fachlich nichts. Und wer die wilfenfchaft-
licbe Raffenforfchung etwas verfolgt hat, weiß von den Schwierigkeiten,
die auf diefem Gebiete liegen, weiß, daß es abfolut fichere Raffenmerk-
male überhaupt nicht gibt.

Wie wenig klar Beers diesbezügliche Vorftellungen lind, zeigt der
eine Satz (S. 3), daß die Hetiter „zwar hinfichtlich ihrer Bewaffnung,
aber nicht mit ihrem fehr kurzen Schädel ... als Vertreter der arifchen
Raffe gellen" können. Auch fonft macht es fich Beer mit diefen fchwie-
rigen Fragen etwas leicht. Die Philifter weifen ihm in Gefichtsbildung
und Kleidung „arifchen Typus" auf: nach den Denkmälern gehören
fie zu den Völkerfchaften der vorhellenifchen ägäifchen Kultur, die nach
dem Urteil der heften Kenner im allgemeinen keine „Arier" waren.
Wenn etwas bei den Philiftern doch zu diefer Annahme berechtigt, fo
ift es nicht die Gefichtsbildung, fondern der Name, der nach Illyrien
weift: dort gab es einen Hafen nazaioztj, eine Landfchaft nazaiozhij,

und einen Fluß nazaiQZtvoq, und die Art, Landes- und Volksname mit
demfelben Suffix- ivog zu bilden, ift fpezififch illyrifch, vgl.Jakobfohn,

j Berk philolog. Wochenfchrift 1914, 883, Arier und Ugrofinnen (1922)
236'). — Auch Hugo Wincklers Gleichfctzung der alRcftamentlichen
Choriter und der Charri der Boghazköi-Texte ift wegen des Kehllautes
am Wortbeginn nicht einwandfrei; das zur Befeitigung dicles Bedenkens
herangezogene charria der Achämenideninlchriften findet fich dort immer
nur im elamitifchen Text, beweift fomit nicht das was es beweiben follte.
Und ähnlich fteht es mit H. Wincklers Zurückführung des aramäifchen,
nicht „hebräifchen" (Beer S. 8)! — mär aus dem hetitifchen marjannu,