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Ausgabe:

1917

Spalte:

101-103

Autor/Hrsg.:

Wyß, Johann J.

Titel/Untertitel:

Vittoria Colonna. Leben, Wirken, Werke. Eine Monographie 1917

Rezensent:

Goetz, W.

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ICH

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 5.

102

reiche Analogien bei Eufebius haben. Z. B. to tpvXov,
yiverai, JtaQaöö^mv t(>ywv jroirjxijq, . . . ovxoq r/v, öf ep
slotxi vvv xxX., etc. Nun poltuliert G. folgenden Entwicklungsgang
. Ein echtes Teftimonium bei Jofephus wird
vorausgefetzt. Dies hat Eufebius erftmalig in der Demonftr.
fummarifch und offenbar verändert, chriftlich zugefpitzt,
zitiert, und mit kleinen Änderungen ift diefe chriftianifierte
Wiedergabe des Zeugniffes in alle Jofephushandfchriften
hineingebracht worden, und zwar wohl auf Eufebius Betreiben
, der einflußreich genug war, die Exemplare des
Jofephus in feine Hände zu bekommen. Auch das Werden
diefer Fälfchung, für die G. übrigens einige harmlofere
Parallelen nachzuweifen vermag, glaubt G. erklären
zu können. Vermutlich war von Porphyrius auch das
echte Zeugnis des Jofephus gegen die Chriften ausgefpielt
worden; durch kleine Zufügungen wurde nun fein ur-
fprünglich chriftenfeindlicher Charakter in das Gegenteil
gewendet.

Ohne Zweifel hat G. feine Anficht über den Urfprung
des chriftlichen Jofephuszeugniffes plaufibel zu machen
verftanden. Er hat denn auch die Zuftimmung von O.
Holtzmann erfahren (Deutfche Lit.-Ztg. 1916 Nr. 32/33).
An dem fprachlichen Beweife könnte man vielleicht einiges
abmarkten mit Hilfe der Annahme, daß Eufebius, dem
die Jofephusftelle offenbar fehr geläufig war, ihren Stil
nachahmte oder auf fie anfpielte. Einige Stellen kann
man vielleicht fo erklären, nicht alle. Wichtiger ift die
Frage, ob die Gefchichte des Jofephustextes der Hypo-
thefe von G. günftig ift. Kürzlich ift AI. Slijpen in der
Mnemosyne 1914 96—100 gerade für die Echtheit des
ganzen Zeugniffes eingetreten unter Anführung folgender
Argumente: daß alle Codices das Zeugnis haben, daß es
unmöglich in alle Codices nachträglich eingefügt werden
konnte, daß es insbefondere nach Eufebius unmöglich
war, daß fchon um 300 Jofephus viel gelefen wurde, und
(vor allem), daß fchon vor Eufebius eine Spaltung der
Codices in zwei Familien verfchiedener Güte ftattgefunden
habe, wobei Eufebius felbft die fchlechteren Lesarten
aufweife. In der Tat vermutet Niefe (Jof. op. III p. XIX)
daß der Ahne aller vorhandenen Codices Mitte des 2. Jhdts.
entftanden fei; trotzdem nimmt Niefe an, das unechte
Zeugnis fei inter Origenis et Eufebii tempora h. e. tem-
poribus Severianis (?) aut paullo post in Jofephus hineingekommen
. G.s Hypothefe wird alfo durch die Textge-
fchichte nicht unmöglich gemacht, aber doch erfchwert.
Es kommt darauf an, ob Eufebius es wirklich durchfetzen
konnte, daß die Textform, die er dem Teftimonium
gegeben hatte, in alle Handfchriften eingefügt
wurde. Vielleicht wäre auch denkbar, daß das chriftianifierte
Zeugnis auch ohne eine befondere Aktion fich
durchfetzte.

Mit dem chriftianifierten Jefuszeugnis will G. übrigens auch die
beiden benachbarten Epifoden der Pauliua und Fulvia (XVIII 3, 4. 5)
(Ireichen: fie paffen nach G. nicht zum Charakter UDd zur Tendenz des
Geichichtswerkes; auch fie follen zur Verhüllung des Einfchubs von
Eufebius eingefalfcht fein. Hier fcheint mir die Argumentation kaum
genügend vgl. O. Holtzmann a. a. O. — Zum Schluß vermutet G. noch,
daß das von Origenes (In Mt. X 17) und Eufebius (Hift. eccl. II 23. 20)
gemeinte in unferem Texte fehlende Jofephuszitat (wonach einige Juden
in dem Untergang Jerufulems eine Strafe für die Hinrichtung des Jacobus
gefehen haben follten), urfprünglich wirklich in einem der letzten llücher
gefunden habe, und Hellt meiner Annahme, daß Origenes Jofcph mit
Hegefipp verwechfele, allerlei nicht leicht wiegende Gegengründe entgegen
. Aber warum ift der Text, der den Chriften kaum anftößig fein
konnte, dann fpäter verfchwunden? Ich hoffe fpäter noch einmal auf
die Frage zurückkommen zu können.

Leiden. Hans Windifch.

WyH, Johann J.: Vittoria Colonna. Leben, Wirken, Werke.
Eine Monographie. (V, 275 S.) gr. 8°. Frauenfeld,
Huber & Co. 1916. M. 12 —

Diefe neue Biographie der Vittoria Colonna will
mit einigen Legenden aufräumen, die fich nach des Ver-
faffers Meinung um ihr Bild gefponnen haben: Die

Dichterin wird kritifch eingefchätzt, das Verhältnis zu
Michelangelo als ein Sichherandrängen des Demokraten
an die Fürftin gezeichnet, ihre religiöfe Stellung als im
wefentlichen proteftantifch beftimmt, ihre letzte Lebenszeit
als ein feelifcher Zulämmenbruch unter dem Druck
der Gegenreformation, gegen die fie fich nicht offen zu
ftellcn vermochte, gefchildert. Was Thode zuletzt von
Michelangelo und Vittoria Colonna gefagt hat: daß er in
voller Freiheit feinen Weg ging, während fie den Kompromiß
,zwifchen perfönlicher Glaubenshingebung und
kirchlicher Disziplin' wählte, ift hier ins Gegenteil verändert
: Michelangelo hat die Tiefe religiöfen Lebens nie
erreicht, und Vittoria ftirbt mit ihrem religiöfen Ideal.

Ich bin weit entfernt, die Thodefchen Ekftafen für
gefchichtliche Wahrheit zu nehmen. Aber deshalb braucht
das Gegenteil noch nicht richtig zu fein. In den Wyß'
fchen Unterfuchungen, befonders der Gedichte Vittorias,
liegt vieles Beachtenswerte. Aber die Schlüffe des Ver-
faffers werden nur dann wirken, wenn der Gang feiner
Unterfuchung überall ein ficheres Vertrauen einzuflößen
vermag. Es fei die Probe an jenem Abfchnitt gemacht,
der das Verhältnis Michelangelos zu Vittoria behandelt.

Auf zwei Quellen — neben den Briefen und Sonetten
— beruht nach des Verfaffers Meinung der Glaube an
diefe Seelenfreundfchaft: auf der Schilderung Condivis
in feinem Leben Michelangelos und auf den Aufzeichnungen
des Francisco de Hollanda, die fich auf 1538 beziehen,
aber erft 1547—49 entftanden find. Beiden Quellen
gegenüber find fchon längft mancherlei Einwände gemacht
worden: niemand wird fie ungeprüft als Zeugen
verwenden dürfen. Aber wenn zwei von einander völlig
unabhängige Quellen im Bericht über etwas im wefentlichen
übereinftimmen, fo ergibt fich, wenn fie auch
fonft nicht durchaus zuverläffig find, für diefes Etwas
eine relative Gewißheit. Condivi berichtet von der
Freundfchaft Vittorias mit Michelangelo als von einer
auf gegenfeitiger tiefer Neigung beruhenden Tatfache;
Francisco de Hollanda berichtet in anderer Form das
gleiche. Und dabei fei hinzugefügt, daß in der neueften
wiffenfehaftlichen Behandlungen Thieme-Beckers Künftler-
lexikon Bd. XII) ausdrücklich die Glaubwürdigkeit
Franciscos gegenüber geäußerten Zweifeln behauptet
wird. Hat Wyß nun irgend etwas vorgebracht, was die
Glaubwürdigkeit diefer beiden Zeugniffe direkt erfchüttern
könnte? Er fagt lediglich, daß Condivis Biographie als
fubjektiv und tendenziös erkannt fei und daß Franciscos
Schilderung in die Klaffe der zugeftutzten Dialoge des
16. Jahrhunderts gehöre. Aber darüber hinaus wird
keinerlei Verfuch gemacht, die einzelnen Angaben Condivis
und Franciscos über den befondern Fall der Freundfchaft
Vittorias und Michelangelos als unrichtig zu er-
weifen. Der Beweis, daß es fich um eine ganz einfeitige
Verehrung von feiten Michelangelos handelte, wird, nachdem
jene Zeugniffe beifeite gefchoben find, mit einer
Analyfe der Gedichte Michelangelos an Vittoria geführt,
und der Brief Vittorias von 1543 gibt den letzten Schluß:
fie gibt dem unbequemen Anbeter den Laufpaß.

Wenn man allein fchon die Urteile des Verf. über
Michelangelo zufammenftellt (daß es fich bei den Gedichten
auf Vittorias Tod ,um eine bloße Reimübung' und
nicht um ein inneres Erlebnis handle, daß er Vittoria überhaupt
nicht verftanden habe, daß feine allzugroße
Eitelkeit die von Vittoria gewünfehte religiöfe Bekehrung
vereitelt habe, daß Künftlereitelkeit ihn fein Leben lang
beherrfcht habe, daß fich ,der florentiner Bürgersmann
mit ariftokratifchen Anfprüchen' ungeheuer gefchmeichelt
gefühlt habe, als eines Tages die Fürftin Colonna
dAvalos ihm die außergewöhnliche Ehre eines Atelier-
befuches erwies', ,der Bourgeois .. . wird fich der Protektion
der vornehmen Ariftokratin bedienen, um feiner
Spießbürgerlichkeit ein Denkmal zu fetzen'), fo ergibt
fich wohl eine Tatfache ohne irgendwelche Einfchränkung:
von Michelangelos innerftem Wefen ift dem Verf. nichts