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Ausgabe:

1917 Nr. 1

Spalte:

19-21

Autor/Hrsg.:

Greiner, Hermann (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Kirchenbuch für evangelisch-protestantische Gemeinden 1917

Rezensent:

Schlosser, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. l.

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Aprioribegriffs, ift oben abfichtlich nicht eingegangen. Es liegt nahe,
darin eine Umbildung ins Pfychologifche zu fehen, zumal bei dem reichlichen
Gebrauch des Wortes ,Anlage'. Allein, wenn man die Erörterungen
des Herrn Verladers genau nimmt, wird man dielen Vorwurf nicht
für begründet anfehen muffen. Er fagt ja nicht, jene fünf elementaren
Pflichten feien a priori in untrem fitflichen Bewußtfein enthalten, fondern
unfrem Geift fei die Forderung, unfer Wollen in Einklang zu fetzen
mit unfrem Wiffen, a priori gegeben, und aus ihr entwickele fleh das
Bewußtfein um jene Pflichten dadurch, daß uns die Erfahrung den .Sachverhalt
' (f. o.) darbietet, auf den fich unfer Verhalten beziehen foll.

Tübingen. Th. Haering.

Kirchenbuch für evangelifch-profeitantiiche Gemeinden. Unter
befond. Berückficht, der liturg. Überlieferg. in der Badi-
fchen Landeskirche m. den Pfrn. Bender, Dr. Eifien-
löffel, Götz ufw. bearb. v. Pfr. Lic. Hermann Gr ein er.
Hrsg. v. der Evangel. Konferenz in Baden. (XVIII,
422 S.) 40. Leipzig, A. Deichert 1915. M. 10 —

Ein groß angelegtes Friedenswerk mitten im Krieg!
Und doch felbft aus Kampf erwachfen, aus dem die ba-
difche Landeskirche feit lange bewegenden Agendenftreit.
Man kann die evangelifche Konferenz nur beglückwünfchen,
wenn fie den Kampf, zu dem fie fich gewiffenshalber gedrungen
fühlt, mit einer fo würdigen pofitiven Leiftung
und folcher Sachlichkeit führt. Das gilt auch von dem
Vorwort des Herausgebers, Lic. Greiner, in Frankfurt a/M.

Subjektiven das Ewigkeitsgemäße und Objektive zurücktritt
', und daß die ,für den chriftlichen Heilsftand und die
evangelifche Frömmigkeit ausfchlaggebenden Gebetsanliegen
' ,doch ftark abgefchliffen' werden, ,daß fie ihr eigentümliches
Gepräge verlieren'. Auf die gerade hier durch
den Krieg ftark angeregten Fragen des religiöfen Lebens
möchte ich nicht eingehen. Nur das möchte ich fagen:
Gebete, die fich nicht ernftlich bemühten, die zeitlichen
Dinge in das Licht der Ewigkeit zu ftellen, find mir, von
einzelnen Entgleifungen abgefehen, kaum noch vorgekommen
.

Dagegen muß ich zugeben, daß allzu Subjektives und
Kafuelles in einem Kirchenbuch ftillos wirkt. Das follte
dem freien Gebet vorbehalten bleiben, dem ich allerdings
einen breiteren Raum in unferen Gottesdienften verftattet
wünfchte.

Ich keDne die dagegen beftehenden Bedenken wohl. Das öffentliche
Gebet ift ein befonderes Charisma, das nicht jeder hat; und wo es
fehlt, da entftehen unter Umftänden wahrhaft blasphemifche Zerrbilder
von Gebeten. Was für Seelenqualen muß man da in Gebetsverfamm-
lungen ausliehen! Andrerfeits wird feiten ein lluchgebet die Gemeinde
fo zum Mitbeten erwecken, wie ein aus rechtem Gebetsgeift geborenes
freies Gebet. So beruht z. B. die große Anziehungskraft, die die Gottes-
dienfte von Pfarrer Dr. Veit in der Katharinenkirche dahier üben, zum
minderten ebenfowiel auf feinen kräftigen fchlichten Gebeten, wie auf
feinen geiftesgewaltigen Predigten. Solche Gaben müßten zur Geltung
kommen. Davon, daß fie unter uns gemehrt werden, hängt viel für die
Neubelebung unferes gottesdienftlichen Lebens ab.

An deffen fachlichen und gefchichtlichen Ausführungen und jm übrigen kann man das, was in der Vorrede über

Urteilen wäre gewiß im einzelnen manches zu beanftanden. ! die Form der Gebete gefagt wird, nur Wort für Wort
Z. B. fleht dem Anfpruch eines der befonderen badtfchen unterftreichen. Zugleich kann man den Herausgebern die
liturgifchen Uberlieferung entfprechenden Gepräges fchon Anerkennung nicht vorenthalten, daß fie ernftlich bemüht
die Tatfache entgegen, daß die gefamte Gottesdienftord- gewefen find, diefe Grundfätze auch in die Tat umzu-
nung eben doch in die durch die preußifche (markifche) j fetzen. Mit dem liturgifchen Schwulft und den überAgende
weithin zur Geltung gebrachten Formen einge- flüffigen Redensarten ift recht gründlich aufgeräumt Es
lenkt^ ift. Wenn die Herausgabe des Werkes trotz der | fmd zunächft wirkliche Gebete, fchlicht und fachlich.

Hier und da weitergehende Wünfche würden wohl unter

fcharfen grundfätzlichen Ablehnung von ,Privatagenden
damit gerechtfertigt wird, daß Privatagenden zwar ein Übel,
aber ,zu gewiffen Zeiten und unter gewiffen Bedingungen,
ein notwendig es Übel'feien, und das u.a. damit begründet
wird, daß der Fortfehritt auf liturgifchem Gebiet daran
gebunden fei, weil landeskirchliche Agenden nicht experimentieren
, fondern nur das bereits in Geltung flehende
zur Darftellung bringen dürfen, fo wird diefe Agende dadurch
eigentlich nicht gedeckt. Denn neue Bahnen be-
fchreitet auch fie tatfächlich nicht. Der treibende Nerv
dafür liegt vielmehr, wie am Schluß ausgeführt wird, in
der Bekenntnisfrage. Das Vorwort ift darauf nicht eingegangen
, fondern hat fich mit einer kurzen würdigen
Erklärung begnügt. Sie fcheidet auch für die liturgifche

das Verdikt des Nationalismus' fallen.

Nur zuftimmen kann man auch, wenn die Forderung
der kompofitorifchen Einheit des Gottesdienftes fo ftark
geltend gemacht wird. Die Agende geht darin nur
in den Spuren des fonft fo bekämpften oberkirchenrät-
lichen Entwurfs. Im Grunde genommen ift fie ja felbft-
verftändlich. Wenn der Gottesdienft etwas erreichen
will, fo muß er in Lied und Spruch, in Gebet und in
Lektion, und fchließlich in der Predigt, auf einen Ton
geftimmt fein und feinem Ziel zuftreben. Sonft zerflattert
alles wirkungslos. Das empfinden fromme Gemeindeglieder
fehr, und da liegt ein Hauptgrund der
Erfolglofigkeit unferer Gottesdienfte.

Beurteilung des Werkes aus. Es kann und foll nur an Auch diefe Forderung drängt aber im Grunde zu einer freien Kon-

den Maßftäben, die es felber aufftellt, gemeffen werden, j zeption jedes Gottesdienftes in allen feinen Teilen. Von allem werden
So darf dies Kirchenbuch mit Recht für fich in An- : Predigt und Lektion aufeinander geftimmt fein müffen, womit das Peri-
r u 1 j n : c„ -..u«.. r«k«u« ca,.- kopenfyftem hinfiele. Da eine Landeskirche aber nicht nur mit miten

fpruch nehmen, daß es in Spruchen und Gebeten fehl . f Jderny auch mit recht vielen fchlechten Lit rechnen muß, fo wird

reichhaltiges Material biete, und daß es dabei doch ,dle i man mit einer durchgehenden Anerkennung fo weit gehender Forderungen

Einheitlichkeit in Form und Inhalt wahre'. Was das kaum rechnen dürfen.

letztere anlangt, fo ift eine folche Einheitlichkeit für eine Darum ift es nur zu begrüßen, wenn die Agende,

Privatagende, die aus einem einigermaßen einheitlich ge- wie diefe, ein reiches nach religiöfen Gedankengruppen
ftimmten Kreis erwachfen ift und ihm dienen will, natür- geordnetes Material bietet, aus dem Gottesdienfte von
lieh leichter zu erreichen, als für ein amtliches Werk der kräftiger Eigenart geltaltet werden können.
Landeskirche, das den nun einmal vorhandenen indivi- Was die Formulare für Amtshandlungen anlangt, fo

duellen Ausprägungen der Frömmigkeit Rechnung tragen j habe ich dabei nichts befbnders Eigenartiges gefunden,
muß. Es verdient deshalb noch nicht einmal das etwas 1 Aber was zum Lobe der Formulare bisher gefagt wurde,
geringfehätzige Urteil ,Kompromißarbeit'. Vielmehr er- gilt auch von diefen. Daß für das apoftolifche Glaubens-
fcheint mir die Fähigkeit, fich in andersartige Frömmig- I bekenntnis, wie im Gottesdienft, fo auch hier eine refe-
keit einzufühlen, für folch ein Werk wichtiger, als der rein rierende Parallelformel zugelaffen ift, ift ein Zugeftändnis
formal literarifche Vorzug der Einheitlichkeit. für ein, wohl auch unter JMitglieder'n der Ev. Konferenz

Aber freilich, der Herausgeber fleht mit Sorge ,auf ! nicht völlig fehlendes Bedürfnis. Unter den Beo-räbnis-
liturgifchem Gebiet eine rationaliftifche Welle im Auf- ; Formularen fehlt eines für Leichenverbrennung &Das ift
fteigen'. Verkennt er es auch nicht als ein berechtigtes j natürlich Abficht, aber, wie man auch perfönlich zur
Moment in der liturgifchen Praxis des Rationalismus, Leichenverbrennung flehen mag, annefichts der fich meh-

daß in den agendarifchen Formularen ,durchgehends das rp-nrfon Fblfo h^r ^„„r. c-----' , t------u~

profane Leben ftärker mit dem gottesdienftlichen in Beziehung
gefetzt werden follte', fo fürchtet er, bei der
neuften Wendung, ,daß über all diefem Zeitgemäßen und

renden Fälle, daß auch fromme Menfchen die Feuerbe-
ftattung wünfehen, eine nicht glückliche. Bei einem
Kirchenbuch, das fo fehr Vollftändigkeit erftrebt, hätten
auch Formulare für die Einrichtung eines Gemeinde-