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Ausgabe:

1916

Spalte:

233-235

Autor/Hrsg.:

Stutz, Ulrich

Titel/Untertitel:

Kirchenrecht, Geschichte und System. 2. Aufl 1916

Rezensent:

Lietzmann, Hans

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auch ihrerfeits Symbolismus ift. Nur pflegt in diefen
Fällen die grundlegende religiöfe Intuition fchwächer und
weniger gehaltreich zu fein, als bei den fpezififch religiöfen
Perfönlichkeiten, an welche fleh die großen Religionskreife
angefchloffen haben. 3. Das Chriftentum fcheint mir

zum Abfchluß gekommene Periode ftärkfter Produktivität
der katholifchen Gefetzgebung brachte es mit fleh, daß
die Lehrbücher rapide veralteten: Stutzens Buch ift zum
Glück im Moment des Endes erfchienen und fomit zur
Zeit die einzige proteftantifche — des Katholiken Sägheute
noch trotz aller Erfchütterungen und Ermattungen | müller's Lehrbuch ift eben gleichfalls neu erfchienen —
immer noch reicher und tiefer als irgend eine rationelle ! zufammenfaffende Darftellung des gegenwärtig geltenden

Metaphyfik, und eine Löfung der Religionskrife durch
ein allgemein anerkanntes philofophifches Syftem im Sinne
des Verf. halte ich für wenig wahrfcheinlich. Doch hier
muß die Zukunft entfeheiden. Nur muß ich geliehen, daß
ich für eine Entfcheidung im Sinne des Verf. wenig Zutrauen
zu unferer heutigen Philofophie habe trotz des
allmählichen Zurücktretens der mechaniftifchen Philofophie.
Der ,Monismus' ift in diefer Hinficht wenig ermutigend.
Und in Indien beruht alles auf dem Kaftenfyftem, das
dem Brahmanen die Spekulation und Wiffenfchaft vor-
Ichreibt und vorbehält, während die übrigen Mafien
bei der mythifchen Volksreligion bleiben. Das find Ver-
hältniffe, die mit den unferen nicht vergleichbar find. Was
bei uns werden foll und kann, weiß niemand. Deshalb
halte ich mich möglichft an das, was da ift. Es ift doch
nicht fo ganz wenig.

Berlin. Trpeltfch.

Stutz, Ulrich: Kirchenrecht, Gefchichte und Syltem. 2. Aufl.
(Separatabdr. aus Holtzendorffs Enzyklopädie der
Rechtewiffenfchaft, 7. Aufl. 1914.) (S. 266—479) gr. 8°.

Der Bonner Kirchenrechtslehrer Stutz ift der Mehrzahl
der Theologen zunächft durch feine Artikel in der
Hauck'fchen Realenzyklopädie wohl bekannt: feine zahlreichen
Einzelftudien, die von ihm herausgegebenen ,Kir-

chenrechtlichen Abhandlungen' und die kanoniftifche Ab- j die Konftatierung des Tatbeftandes befchränken. Über

katholifchen Kirchenrechts. Das Bild des damals ja noch
lebenden Papftes zeichnet Stutz mit einer gewiffen Sympathie
, ohne freilich feine unpolitifche und undiplomatische
Art zu verkennen; und der von ihm in die Wege geleiteten
Neukodifikation des kanonifchen Rechts ift er
geneigt große Bedeutung für die Zukunft beizumeffen.
Das mag fein: noch im Sommer 1914 konnte niemand
ahnen, vor welche Riefenprobe mit der ganzen Welt auch
das Papfttum geftellt werden würde. Aber für Deutfch-
land — und auch für andere Länder — dürfte jede Neukodifikation
des kanonifchen Rechtes eine Ära fchwerer
innerer Kämpfe bringen: denn es würde dabei notwendig
viel verftaubtes Mittelalter auferftehen, und es ift nie gut,
wenn Staat und Kirche gegen einander ihre Prinzipien
zitieren muffen. Und die Kurie muß ja nicht! — Zu § 10
wäre unter den Quellen des Kirchenrechts auch die Ausgabe
der Werke Leos d. Gr. durch die Ballerini zu
nennen, fowohl wegen der Briefe wie wegen des III. Bandes;
auch ein kurzer Hinweis, wo man die Dionyfiana, Hifpana,
Ifidoriana gedruckt findet, ift an diefer Stelle nützlich.
Uber die Sammlungen der Kaifergefetze könnte hier
oder in § 15 einiges gefagt fein: zu beiden Arten von
Quellen vgl. G. Loefchcke zwei kirchengefchichtlicheEntwürfe
S. 46K 52 fr. § 3 über ,vorkirchliche Verfaffungs-
beftandteile' kann bei einem knappen Grundriß und an-
gefichts der noch fo ftark auseinandergehenden Meinungen
mit Vorteil ganz ,neutral' geftaltet werden und fich auf

teilung der ,Zeitfchrift für Rechtsgefchichte' haben ihn ! den Urfprung des Kardinalats § 30, 1 und feine jetzigen
unslängft als einen Meifter rechtsgelchichtlicherForfchung Zuftände § 68 ift dagegen angefichts der fehr weitgehen-
gezeigt. Aber daß er auch ein zufammenfaffendes jetzt j den Unkenntnis der meiften Lefer etwas mehr Ausführ-
fchon in2. Auflage vorliegendes,Kirchenrecht' gefchrieben lichkeit am Platze. Bei der Darftellung der Reformations-
hat, wiffen die Wenigften. Das hat darin feinen Grund, I zeit meint St. §45 ,nach den Ereigniffen des Jahres 1520,
daß diefe Darftellung ein nicht gefondert erfchienener j infonderheit nach Aufgabe der Meffe... im Jahre 1523, ließ
Beftandteil der Holtzendorfffchen Rechtsenzyklopädie ift, fich Luthers und des konfervativeren Melanchthon anfäng-
und fomit der theologifchen Bibliographie gemeinhin ent- j licher Anfpruch, die eine, alte, katholifche, wenn auch nicht
geht. Als ich im Sommer 1914 durch des Verfaffers j römifche Kirche fortzufetzen, nicht mehr mit Erfolg aufGüte
einen Sonderdruck der 2. Aufl. erhielt, befchloß ich i rechterhalten' und erklärt dann, der Augsburger Reichs-
lofort, darüber in diefer Zeitfchrift zu berichten: der Krieg : tag von 1530 habe der deutfehen Reformation Gelegenheit
ift daran fchuld, daß ich erft jetzt und nicht fo eingehend, gegeben, mit einem eigenen Bekenntnis, der confessio
wie ich möchte, dazu komme. Augustana, hervorzutreten. Das ift vom Standpunkt des

Was dem Stutzfchen Buche feine ganz eigene Note modernen Juriften aus unzweifelhaft richtig: aber der,
gibt, und es zugleich auch dem Kirchenhiftoriker fo wert- Hiftoriker wird nicht verfäumen dürfen anzumerken, daß
voll macht, ift der breite hiftorifche Unterbau, auf dem fowohl Luther wie Melanchthon den genannten Anfpruch
fich dann die fyftematifche Darftellung erhebt. Der erfte nie aufgegeben, fondern ftets nachdrücklich erhoben haben
Teil gibt eine .Gefchichte des Kirchenrechts', knapp, wie und daß eben die Confessio Augustana den Nachweis
fich bei einer Befchränkung auf 110 Oktavfeiten von felbft erbringen will, daß die Lutherifchen die echten Katho-
verfteht, aber in meifterhaft erwogener Kürze überaus liken find (vgl. das Schlußwort hinter Art. 21), welche
inhaltreich: es ift für einen Kirchenhiftoriker ein wahrer lediglich die eingefchlichenen abusus befeitigt haben. In
Genuß, fo einmal die ganze Kirchengefchichte unter dem der Literatur § 45 ergänze v. Schubert, Bekenntnisbildung
Gefichtspunkte der Rechtsbildung an fich vorüberziehen und Religionspolitik 1910; zu 4? 48, 3 die Nr. 87 (Melanch-
zu laflen und sehr lehrreich, die eigenen Urteile über thons Unterr. d. Vifitatoren), tj 48, 4 die Nr. 88 (Bugen-
Dinge und Menfchen mit denen des Rechtshiftorikers zu hagens Braunfchweiger Kirchenordnung 1528) der Kleinen
vergleichen, ganz abgefehen von dem Gewinn an mate- Texte: diefe beiden haben es recht nötig, zitiert zu werden,
rieller Belehrung auf den befonderen Forfchungsgebieten denn es kauft fie faft niemand! Bei § 49, 1 ift der Späteren
des Verfaffers. Der Stoff ift in Paragraphen geteilt, deren Bezeichnung landesherrlicher Summepiskopat' nur neben-
Text jeweils von Literaturangaben gefolgt ift: da ift es her gedacht: aber das Wort ift doch in den Sprachgebrauch
befonders zu begrüßen, daß der übliche wertlofe alte fo ftark übergegangen, daß es fich empfiehlt, auf feine
Ballaft völlig fehlt, und daß von Lehrbüchern durchweg volle Bedeutung aufnierkfam zu machen: daß nämlich der
nur Hinfchius zitiert wird. Dagegen ftrebt die neuere Landesherr nicht bloß dem Bifchof fondern fogar dem
Literatur von Monographien und Zeitfchriftenauffätzen Papfte gleich zu achten ift. Über die Unfehlbarkeit des
nach Vollftändigkeit. In gleicher Weife ift der fyftema- Papftes beliehen allerorts fo fchiefe Vorftellungen, daß es
tifche Teil angelegt, der nach zwei Titeln über .Allgemeine fich allein fchon aus pädagogifchen Gründen empfiehlt,
Lehren' und ,das deutfehe Staatskirchenrecht' auf 50Seiten darüber eingehender zu fprechen, als es in § 67 gefchieht:
das Katholifche, auf 20 das deutfeh-evangelifche Kirchen- auch das Negative ift dabei doch recht wichtig. Aber als
recht behandelt. Die mit dem Tode Pius' X. doch wohl Ganzes ift die fyftematifche Darftellung des katholifchen