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Ausgabe: | 1914 Nr. 2 |
Spalte: | 645-646 |
Autor/Hrsg.: | Jirku, Ant. |
Titel/Untertitel: | Materialien zur Volksreligion Israels 1914 |
Rezensent: | Gressmann, Hugo |
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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 24/25.
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zwar bereits in einer Zeit, als fie fich noch nicht zum ! urteile und das Sitzen am Bach; endlich wendet er fich
Glauben an Einen Gott durchgerungen hatten (S. 23). der Traumdeutung zu. Das Buch befchäftigt fich dem-
Ihres Vermittleramtes haben fie gewaltet durch diejenigen i nach mit dem Aberglauben und der Zauberei, die für
ihrer Volksgenoffen, die fchon fehr früh nach Griechen- I die Volksreligion Ifraels infofern nicht gerade charakte-
land übergefiedelt find. Zwar die Ausgrabungen auf j riftifch find, als fie überall in der Welt ihre Parallelen
griechifchem Boden wifien wenig von femitifchem Einfluß ! haben. Das gilt namentlich für die märchenhaften Motive
(S. 3. 24). Aber viele alte griechifche Schriftfteller erzählen ' wie das fchwimmende Eifen Elifas (S. 7), den blühenden
von einer Einwanderung von Phönikern in Griechenland, ; Stab Aarons (S.9ff.), die Verblendung der Augen (S.77f.)
und fie haben zu diefen ,zweifellos' die Juden gerechnet, und die Ausfetzung des Helden (S. 127 f.), für die folklo-
H. gewinnt fein Refultat indem er alles, was das AT ! riftifches Material in noch weiterem Umfange hätte herüber
das Laubhüttenfeft fagt, zu einem einheitlichen Bild i angezogen werden muffen, als gefchehen ift; vielleicht
zufammenfaßt und diefes dann mit einer ebenfo fumma- ' hätten die Ausführungen dann in mancher Beziehung
rifch gewonnenen Darfteilung der eleufifchen Feier ver- i anders gelautet. Jirku befchränkt fich im allgemeinen
gleicht. Aber das Laubhüttenfeft hat, wie die Quellen ! auf das femitifche und fpeziell auf das babylonifche Ma-
deutlich erkennen laffen, eine Gefchichte. Seine ältefte j terial. aus dem er mancherlei Gutes, Altes und Neues,
uns noch fichtbare Geftalt weiß nichts von dem, H. fo hervorholt (vgl. S. 8 über das Eruholz; S. 13 über das
wichtigen, Datum, das mit dem des eleufifchen Feftes zu
fammenftimmt (S. 3. II. 21). Da ift das Feft vielmehr,
entfprechend feinem Charakter als Erntefeft, nicht unlöslich
an einen Termin gebunden, fondern (oll ,am Ausgang
des Jahres' (Ex. 23, 16) begangen werden.
Und wie denkt fich H. die Verpflanzung der Feier
von Paläftina nach Griechenland? Er fcheint zu meinen,
daß die Diafporajuden die großen Fefte im Ausland ganz
ebenfo gefeiert haben wie die G-laubensbrüder in der
Heimat. Nur fo ift doch eine Übertragung vorftellbar.
H. vergleicht die Leviten, Priefter und Sänger mit den
eleufifchen Eumolpiden (S. 9). Aber find jene jüdifchen
Tempelbeamten jemals in Griechenland in Funktion getreten
? Und haben die Juden dort je Opfer gefchlachtet?
Gewiß heißt es Dtn. 31, 10 f., daß am Laubhüttenfeft ganz
Ifrael das Angefleht Jahwes fchauen folle. Aber man
kann darin doch nicht den Grund fehen, weshalb auch
die eleufifchen Zeremonien als Wichtigstes die Gottes-
fchau ermöglichen. Denn jene Stelle fährt fort, daß
Ifrael, um Jahwe zu fehen, ,an die Stätte kommt, die er
Salzftreuen; S. 61 f. über den Speichel; S. 83 über Kran-
kenbefchwörung; S. 90 über Wolkendämonen). Diefe
Parallelen, die fich noch hätten vermehren laffen, verdienen
befondere Beachtung, während andere (S. 48. 50.
52) weniger einleuchtend find.
Es wird, wie mir fcheint, zu viel der Magie zuge-
wiefen. Zauberhaft ift nicht nur der Kuß (S. 64), fondern
auch der Handkuß (S. 59), ja fogar der Gefchlechts-
verkehr (S. 114, wo Jirku freilich das obszöne Bild Cant.
2,15 von den ,kleinen Füchfen' nicht verftanden hat). Abzulehnen
find die Ausführungen über die Füchfe (S. 111 ff.),
über Milch und Honig (S. 29 ff.), über das Sitzen am Bach
(S. 122 ff.) und zum Teil auch diejenigen über das Salz
(S. 14 ff). Alle diefe Dinge erklären fich fehr viel einfacher
aus den natürlichen Verhältniffen als aus der Magie: Die
Füchfe find charakteriftifch für die Einöde; Milch und
Honig ift die Idealfpeife des Beduinen; am Bache fitzt
man im Orient, weil es dort am kühlften ift; das Salz
ift typifch für die Wüfte. Im übrigen aber find die Auf-
ftellungen Jirkus erwägenswert. Sie zeichnen fich aus
erwählen wird', d. h. nach Jerufalem (vgl. Sach. 14, 17). durch einzelne neue Erklärungen und kühne Vermutungen,
Den Beweis dafür, daß auch in Griechenland eine jüdifche I die der Nachprüfung bedürfen; fo wird auf Grund von
Feier abgehalten worden ift, um den Teilnehmern die 2 Reg- 6- 18 behauptet, daß die Sanwerim urfprünglich
Jahwefchau zu vermitteln, ift H. uns fchuldig geblieben, i eine beftimmte Gattung von Geiftern waren (S. 65 ff), was
Wenn dann H. die Weihe in Eleufis mit der Be- j durch den Ausdruck doch wohl ausgefchloffen erfcheint.
fchneidung vergleicht, weil beide dem Menfchen das Glück I Immerhin lieft man gerade deshalb die klaren Ausfüh-
nach dem Tode verfchaffen, fo wird man zunächft fragen I rungen mit befonderem Intereffe und freut fich auch da,
dürfen was die Befchneidung mit dem Laubhüttenfeft zu i wo man nicht zuftimmen kann, des Mutes, mit dem der
tun hat. Vor allem aber wird kein Sachverftändiger die
Worte: ,Nach Anfchauung der Juden konnten nur die
Befchnittenen auf ein feiiges Leben hoffen, alle Unbe-
fchnittenen fuhren hinab in die Grube' (S. 8) für korrekte
Befchreibung eines Zuftandes halten, der in jener grauen
Zeit beftanden hat, als die Juden fich noch nicht zum
Monotheismus bekannten und den Griechen das Modell
des eleufifchen Feftes brachten.
Nur eben erwähnen kann ich die philologifchen und religionsge-
fchichtlichen Betrachtungen, durch die H. zahlreiche dem Bakchoskult betreffende
Worte aus dem Semitifchen ableitet. Als Probe diene die
Gleichung Jah (= Jahwe)- Bakchos = Jakchos (S. 14 f.). Sie wird fo wenig
überzeugen, wie die Beobachtung, daß fich Jahwe und Bakchos auch
darin gleichen, daß beide fich als Reittier des Efels bedienen, erfferer
nach Sach. 9. 9 (S. 13).
Ich bedauere, mein Gefamturteil dahin zufammenfaflen zu müffen,
daß H.s Schrift in hohem Maße jene methodifche Solidität vermiffen
läßt, ohne die nun einmal auf dem Boden religionsgefchichtlicher Ver-
gleichung Ergebniffe nicht zu erzielen find. Luftige Einfälle und Hypo-
thefeu bringen uns nicht weiter.
Breslau. Walter Bauer.
Jirku, Priv.-Doz. Lic. Dr. Ant: Materialien zur Volksreligion
Ifraels. (VIII, 150 S.) 8°. Leipzig, A. Deichert
1914. M. 3.60
Der Verfaffer behandelt die wunderwirkenden Ge-
genftände wie Stab, Salz, Pflanzen, Milch und Honig,
dann allerlei Bräuche wie Händezauber, Speichelzauber,
Sanwerim, Totenerweckung, Regenzauber, Omina, Gottes-
Verfaffer feine eigenen Wege zu gehen wagt.
Berlin-Weftend. Hugo Greßmann.
Eberharter, Prof. Dr. Andr.: Der Kanon des Alten Tefta-
ments zur Zeit des Ben Sira. Auf Grund der Beziehgn.
des Sirachbuches zu den Schriften des A. T. dargeftellt.
(Altteftamentliche Abhandlungen. III. Bd., 3. Heft.)
(IV, 77 S.) gr. 8°. Münfter, Afchendorff 1911. M. 2.10
Das kurz vor der fyrifchen Religionsverfolgung ent-
ftandene Buch Jefus Sirach ift ein wichtiger Markftein
in der Gefchichte des altteftamentlichen Kanons, und
der der griechifchen Überfetzung vorangeftellte Prolog
ift nicht minder wichtig für die Entftehung der griechifchen
Bibel.
Die von Eberharter geftellte Aufgabe, den Kanon
des AT auf Grund der Angaben des Jefus Sirach feft-
zuftellen, ift alfo ein fehr lockendes Thema. Leider befriedigt
die Löfung nicht. AufS. 177 kommt E. zu dem
Ergebnis, Jefus Sirach kennt: I. die Tora, 2. fämtliche
frühere und fpäterePropheten (Nahum S.77ift nur vergehen,
vgl. S. 21), 3. von den Hagiographen: Pfal., Prov., lob,
Klagel., Pred., Eft., Neh., I u. II Chron. Zweifelhaft
bleibt Hohesl., Esth. und Daniel (doch f. S. 51). S. 4 ift
es hingegen ficher oder wenigftens wahrfcheinlich, ,daß
der Sirazide fämtliche protokanonifche Schriften verwendet
'. — Dazu ftimme nur zu gut, daß zur Zeit des
Artaxerxes I (465—424) der ,Kanon der protokanonifchen
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