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Ausgabe:

1914 Nr. 1

Spalte:

18-19

Autor/Hrsg.:

Menke-Glückert, Emil

Titel/Untertitel:

Die Geschichtsschreibung der Reformation und Gegenreformation 1914

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 1.

18

möglichft zu verwifchen, gilt es vielmehr, fie möglichft
fcharf zu erfaffen, wozu der Verf. ein vortreffliches Hilfsmittel
bietet. Darum geben die beiden letzten Kapitel
(25 u. 26), betitelt ,Zwei Kirchen', einen vortrefflichen
Abfchluß, weil fie uns deutlich die Verfchiedenheit der
von gerneinfamem Boden ausgegangenen Schöpfungen
zeigen, die fo groß war, daß die angelfächfifch-römifche
Kirche die alte britifche nur mehr als häretifch betrachten
und bezeichnen konnte, während doch ihre Härefie nur
in dem treueren Fefthalten an dem Urfprünglichen beftand.

Nicht weniger Wert hat W. auf die kritifche Unter-
fuchung der Legenden über die Anfiedlung des Chriften-
tums in Britannien (Kap. 2.), über die Zeit der Verfolgung
(Kap. 5) gelegt; die verfchiedenen Anflehten über den

Zeitalter teilt. Aber es geht mindeftens zu weit, wenn
Kern im Convivio und in der Monarchia einen Wider-
fpruch der beiderfeitigen Einflüffe und ein .unverföhntes
Ringen zwifchen Ethik und Soziologie (I), danach in der
Commedia bei entfehiedener Unterordnung des Ariftoteles
unter Auguftin die klare Scheidung des Sittlichen und
des Sozialen und zugleich die großartigfte Entwickelung
diefes aus jenem' entdeckt zu haben meint. Wohin überhaupt
den Verfaffer das Irrlicht einer fich allmählich ge-
ftaltenden fyftematifchen Kulturtheorie Dantes verleitet,
deren Urkern das Convivio im ,früheften Reifegrade
der Dantefchen Wiffenfchaftslehre'(l) aufweifen foll,
mögen die Kapitelüberfchriften des erften Hauptteiles, auf
die er felbft befonderen Wert legt, andeuten.

Bericht des PapftbucllS von Papft Eleutherus und König Die ,Analyfe der Dantefchen Kulturlehre' baut fich folgendermaßen

Lucius werden befprochen, wobei W. nicht unbedingt i auf: !• Convivio. — IL Monarchia (Staats- und Kirchenlehre). — III. In-
Harnacks Erklärung beipflichtet; über das Martyrium ' ffa° (Gefellfchaftslehre im engeren Sinn) _ IV Purgatorio (Ethifche
, t t 1 . 11 , 5 r , - ', , 1 Genefis der Kulturlehre): i. Das Vorpurgatonum (Ubergang von Gefell-

des Hl. Alban Handelt ein belonderer tvxKurs. W. ver- I fchaft zu GemeinfehaftU — 2 Das ei^entiiehe p,,rff!,tn

fleht es fehr gut, die mittelalterlichen Gefichtspunkte der
Gefchichtsfchreiber zu entfernen, die fie in ihre Berichte
über das chriftliche Altertum eingetragen haben (fo Kap. 7).
Darum erhalten wir auch fehr forgfame und wertvolle Unter-
fuchungen über die Quellen, fo über Gildas Kap. 5 u. ö.,
über die Annales Cambriae vel Brittonum Kap. 23, wie ja
auch bei jedem Abfchnitte die Quellen, aus denen ge-
fchöpft wird, angegeben werden.

In der Natur der Sache liegt es, daß das Mönch-
tum befonders ausführlich behandelt wird, Kap. 16, 17, 19,
21, 22. Hier treten die großen Geftalten des Dubricius
(Dyvric), Iltutus (Illtud) u. a. hervor; hier wird auch darauf
hingewiefen, wie viel von diefem älteften Mönchtum
fich noch in Ortsbezeichnungen u. in anderen Namen
erhalten hat, wie ja der Verf. überhaupt gern fprachliche
Unterfuchungen anfleht, fo über die in Britannien gebrauchte
Bibel, auch einen Abfchnitt über die Erwähnungen
von ältefter Literatur in britifcher Zunge bietet (Kap. 24.)

Es ift felbftverftändlich, daß der Verf. eine Reihe von
Urteilen fällt, die von den herkömmlichen abweichen; fo,
um einiges zu nennen, bekämpft er die Anfchauung von
dem monaftifchen Epifkopat in der britifchen Kirche;
die Kuldeer find nach ihm die konfequenten Gegner der
Einführung der römifchen Ofterfeier; überall ift feine
Meinung wohl erwogen und wohl begründet.

Es ift des Verfaffers Verdienft, uns wieder einmal
den großen Reichtum der in fo feltfamer Weife durch
fpätere Anfchauungen übermalten älteften Gefchichte des
britifchen Chriftentums vorgeführt zu haben, das gewiß
nicht im Sinne Ebrards romfrei, aber ebenfowenig im
Sinne Gregors I. und Gregors VII. römifch war, fondern
chriftlich etwa im Sinne des chriftlichen Kaifertums im
Imperium Romanum.

Kiel. Gerhard F ick er.

Kern, Priv.-Doz. Fritz: Humana Civilitas. (Staat, Kirche u.
Kultur.) Eine Dante-Unterfuchung. (Mittelalterliche
Studien. I, 1.) (XII, 146 S.) 8°. Leipzig, K.F. Koehler
1913- M. 7.50; geb. M. 9.50; Subfkr.-Pr. M. 5.80

Der Verfaffer kennt feinen Dante — die Commedia,
wie die profaifchen Schriften —, auch hat er fich fleißig
lm älteren und neueren Schrifttum über Dante wie bei
denen mittelaltrigen und antiken Meiftern: Ariftoteles,
Auguftmus, Thomas Aquinas ufw., umgefehen. So findet
man in feinem Buche, das ,die Kulturwiffenfchaft Dantes
in ihrem Syftem zeigen' foll, kaum tatfächlich Unrichtiges
und im einzelnen manches beachtenswerte Urteil. Aber
um als erheblicher .Beitrag zur befferen Erkenntnis Dantes'
vorbehaltlos anerkannt zu werden, fehlt ihm doch manches.
Herr Kern tritt mit fertigem modernem Rahmen an den
mittelaltrigen Dichter und Denker heran und rückt ihn
dadurch in fchiefes Licht. Treffend betont er Dantes

Abhängigkeit von Ariftoteles nicht nur fondern auch von mäßigkeit der Gefchichte befeffenl Das Wefen der Ge-

fchaft zu Gemeinfchaft); — 2. Das eigentliche Purgatorium (Das Individuum
in feiner Erziehung zur Kultur); — 3. Das Irdifche Paradies (Das fouveräne
Individuum). — V. Paradiso (Reine Kulturlehre): 1. Die unteren Planetenhimmel
(Hingabc der Individualität an die Kultur); — 2. Die oberen
Planetenhimmel (Syftem der Kulturberufe); — 3. Fixfternhimmel und
Primum Mobile (Weltgefchichte und Weltkaifertum); — 4. Das Empyreum
(Die Gemeinfchaft der Heiligen). —

Ähnlich — geiftreich oder gefucht? — ift der kürzere
zweite Teil (,Umriß einiger Hauptprobleme') disponiert.
Dante felbft hat nicht nur in dem angezweifelten Briefe
an Cangrande della Scala, fondern auch im Texte felbft,
wiederholt fein großes Gedicht als mehrdeutig bezeichnet.
Ob er damit auch folche überfeine Freiheiten der Exegese
geftatten wollte? — Übrigens zeigt der Stil des
Kernfchen Buches manche bald mehr, bald weniger bedenkliche
Mißgriffe oder Wagniffe.

Seite 41 lieft man z. B. von dem, ,was Dante auf dem Reißbrette
derTheorie entwarf; S. 44 wird ,der apokalyptifche Glaube der fran-
ziskanifchen Joachimiten als der Kitt der (Dantefchen) Gedanken-
maffe' bezeichnet; S. 48 begegnet: der ,ftets bereite Schutzmantel
der Offenbarung und übernatürlichen Stiftung1; S. 139 der ,bio-
logifche Begriff der Autarkie', der ,für ibziale Organismen nie
mehr als ein unbeftimmtes Gleichnis fein kann'.

Bremen. Sander.

Menke-Glückert, Priv.-Doz. Dr. Emil: Die Gefchicht-
Ichreibung der Reformation und Gegenreformation. Bodin
u. die Begründg. der Gefchichtsmethodologie durch
Bartholomäus Keckermann. (VIII, 152S.) gr.8°. Leipzig,
J. C. Hinrichs 1912. M. 4.50; geb. M. 5.50

Der Titel diefes Buches hieße beffer ,Beiträge zur
Gefchichtfchreibung der Reformation und Gegenreformation
'; denn den Anfpruch, eine Gefamtwürdigung der
Hiftoriographie in jener Periode zu geben, kann der Verf.
wirklich nicht erheben und will das auch laut Vorwort
gar nicht — warum erweckt er dann aber falfche Hoffnungen
? Wirklich eingehend behandelt wird nur Melanch-
thon und Carion fowie Keckermann; das Melanchthon
Voraufgefchickte über Luther und Seb. Franck macht
mehr den Eindruck einer Flofkel und kann in keiner
Weife genügen. Bei Luther ift E. Schäfer wefentlich Gewährsmann
, deffen Buch über ,Luther und die Kirchen-
gefchichte' für den Quellennachweis gewiß fehr verdienft-
lich ift, aber gerade die methodologifchen Fragen nach
Wefen, Art, Zweck der Gefchichte im Sinne Luthers bei
Seite läßt. Einiges fügt M.-G. zwar hinzu, aber zu wenig
(meine Schriften: Luther und die Kirchengefchichte, und
Idee und Perfönlichkeit in der Kirchengefchichte, kennt
er nicht). Bei Seb. Franck ift Onckens bekannter Auffatz
in der ,Hiftorifchen Zeitfchrift' zwar zitiert, aber in keiner
Weife ausgenutzt. Der Satz: ,eine Bedeutung für den
Fortgang der gefchichtlichen Studien können wir ihm
nicht zugeftehen' ift zwar für feine Zeit und die anfehheßende
Periode richtig, aber wie fein hat doch Franck Einficht
in das hiftorifche Werden, die Relativität und Gefetz-

Auguftinus, die Dante übrigens, wie er weiß, mit feinem

fchichte hat er beffer verftanden als Luther, und die