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Ausgabe:

1914 Nr. 12

Spalte:

365-368

Autor/Hrsg.:

Grabmann, Martin

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der scholastischen Methode. 2. Bd 1914

Rezensent:

Heim, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 12.

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faßt, dann muß man es doch wohl als berechtigt anerkennen,
wenn über das Buch zunächft einmal vom pädagogifchen
Standpunkt aus geurteilt wird. Der Student in den erften
Semeftern—da treibt manja vornehmlichKirchengefchichte
— ift die Fortfetzung des Primaners. Und wenn ich nun
die Erfahrungen hinzunehme, die ich felbft in den erften
Semeftern gemacht habe, dann muß ich eben das Bedenken
äußern, daß das Buch, wenigftens ftreckenweife,
viel zu viel Stoff (auch viel zu viel Literaturangaben) mit
fich fchleppt und großenteils auch zu gedankenfchwer ift.

Um nur ein Beifpiel herauszugreifen, was foll der Student mit folgendem
Satze anfangen: ,Die verbreitetften Blockbücher waren fonft (d. h.
außer dem Speculum humanae salvationis und der Biblia pauperum, worüber
vorher einige nähere Angaben) außer der Grammatik des Donat
(Kennt den der Student?) die Ars moriendi des Matthäus von Krakau (?),
ein Hoheslied, eine Apokalypfe, ein Liber Regum, der .EndchrifV, die
Ars memorandi notabilis per figuras Evangelistarum ufw.' Für den Studenten
find das bloße Namen. Vollftändigkeit ift kein pädagogifches
Prinzip. (Daß H. felbft von diefen Blockbüchern keine ganz zutreffende
Vorftellung hat, zeigt der folgende Satz: ,Sie gehören ebenfo wie die Biblia
pauperum zur IJteraturgattung der Hiftorienbibeln, d. h. es handelt fich um
lehrhafte und meift mit Bildern verfeheue Bearbeitungen des biblifchen
Stoffes'.)

Verfetzt man fich freilich auf einen andern Standpunkt
und beurteilt das Buch nach der darin fleckenden Gelehr -
famkeit und nach der gedanklichen Durchdringung und
Ordnung der Stoffmaffen, dann kann man nur im Tone
der Bewunderung davon reden und die beiden Autoren
beneiden, daß fie Zeit und Kraft gefunden haben, den
ungeheueren mannigfachen Stoff zu meiftern, und ebenfo
die Lefer, die imftande find, das Buch durchzuarbeiten
und dadurch mit einer Menge verfchiedener Perfönlich-
keiten, Erfcheinungen und Bewegungen bekannt und z. T.
vertraut zu werden.

Daß einige Druckfehler durchfchlüpften, war bei der
Unmenge von Namen, Verweifungen ufw. kaum zu vermeiden
. Hier und da ift auch neuere Literatur unberück-
ficht geblieben.

Zwickau i. S. O. Clemen.

Grabmann, Martin: DieGeTchichte der IcholaltilchenMethode.

2. Bd. Die fcholaftifche Methode im 12. u. beginn. 13.
Jahrb.. (XIII, 586 S.) gr. 8°. Freiburg i.B., Herder 1911.

M- 9—i geb- M- io4°
Der erfte Band von Grabmanns Werk (f. Theol.
Literaturz. Jahrg. 35. 1910, Nr. 1) hatte mit Anfelm, dem
Vater der Scholaftik, abgefchloffen. Der zweite führt bis
an die Schwelle der Hochfcholaftik. Diefer zweite Band
ift befonders wertvoll, weil wir hier an der Hand eines
reichen, vielfach noch ungedruckten Quellenmaterials in
den Werdeprozeß eingeführt werden, der zur Entftehung
der Summen der Hochfcholaftik geführt hat. Zunächft
fallen durch Grabmanns Queilenforfchungen auf die drei
bekannten Faktoren, aus denen das Schema der Summen
enftanden ift, das Väterftudium, die fortfchreitende Ari-
ftotelesrezeption und die Technik der fchulmäßigen Disputationsübungen
, neue Schlaglichter. Was das Väterftudium
betrifft, fo wird die Anfchauung von Hertlings
und de Ghellincks, die Scholaftiker des 12. und 13. Jahrhunderts
hätten die Väterftellen gewöhnlich aus Florilegien,
Zitatenfammlungen, alfo aus zweiter Hand entnommen,
korrigiert. Grabmann beftätigt hier Denifles Beobachtung
(vgl. Denifle, die Univerfitäten des Mittelalters), daß nur
die einfeitig dialektifche und hyperdialektifche Stimmung
mit einer atomifierenden Behandlung der Vätertexte verbunden
war, während die Männer der konfervativen anti-
dialektifchen Richtung die Abnahme des originalen Vä-
terftudiums beklagten (S. 85). Bezüglich der Ariftoteles-
rezeption flehen wir innerhalb diefer vor dem Beginn der
Hochfcholaftik, alfo vor der Rezeption des ganzen Ari-
ftoteles liegenden Periode, vor allen Dingen vor der
philofophiegefchichtlich bedeutfamen Frage nach der Herkunft
und Entftehung des der folgenden Scholaftik vorliegenden
lateinifchen Textes der beiden Analytiken, der

Topik und der Elenchen, alfo des weitaus größeren Teils
der ariftotelifchen Logik. Bisher war die Annahme faft
allgemein verbreitet (vgl. z. B. Überweg-PIeinze, Grundr.
d. Gefch. d. Philof. 9. Aufl.), Bifchof Otto von Freifing,
der erfte Schriftfteller des 12. Jahrb.., der über das ganze
ariftotelifche Organon ausführlichere Auskunft gibt, habe
Topik, Analytiken und Elenchen in der boethianifchen
Überfetzung nach Deutichland gebracht. Dazu flimmt aber
nicht das fchlechte Latein der ,logica noya', verglichen
mit dem vorzüglichen Latein der Consolatio des Boethius
fowie feiner Überfetzung von den Kategorien und von
Perihermeneias. Es ift darum weit einleuchtender, daß
wir hier ein Werk italienifcher Autoren, fpeziell des Jacob
von Venetia vor uns haben, der in einer aus dem 12. jahrh.
flammenden Chronik als Ariftotelesüberfetzer genannt ift
(S. 74ff). Befonders bedeutfam ift das neue Licht, das
durch Grabmanns Forfchungen auf den dritten Faktor
fällt, der zur Erklärung der fcholaftifchen Methode in
Betracht gezogen werden muß, die Disputationstechnik
der Hochfchulen. Schon Robert hatte in feiner Monographie
über den frühmittelalterlichen Schulbetrieb (G.
Robert, Les Ecoles et l'enseignement de la theologie
pendant la premiere moitie du XD> siecle, Paris 1909)
auf die disputatio als eine von der lectio verfchiedene
Form des theologifchen Unterrichts und die Bedeutung
derfelben für die Entftehung der Quäftionenliteratur hin-
gewiefen. Aber die mit diefem Schulbetrieb zufammen-
hängende ältere Schicht von Quäftionen- und Sentenzen -
werken, die fich befonders an die Namen Wilhelms von
Champeaux, des Begründers der Schule von St. Victor,
und Anfelms von Laon knüpft, ift bisher überhaupt noch
nicht hinreichend unterfucht und in ihrer Bedeutung gewürdigt
worden, vor allem, weil man fich gewöhnt hat,
diefe älteren Theologen ,durch das Verkleinerungsglas
Abaelard'fcher Werturteile anzufehen' (S. 139). Grabmann
gibt eine Überficht über das handfchriftliche Material
(S. 141 ff). Diefe führt zu dem überrafchenden Refultat:
Erftens, in diefer älteren, noch fehr wenig bekannten Schicht,
die noch vor dem Bekanntwerden der logica nova entftan-
den ift, liegen die Anfänge der fcholaftifchen Quäftionenliteratur
(S. 151), und zwar haben wir hier, wenn auch in
rudimentärer Entwicklung, fchon ganz die Form der
quaestio, die uns in der fpäteren Frühfcholaftik und in
der Hochfcholaftik begegnet (S. 155). Zweitens, wir finden
hier die erfte größere Gruppe von fyftematifchen Gefamt-
darftellungen der Theologie, die erften Sentenzenwerke, in
denen die Hauptteile des fcholaftifchen theologifchen
Syftems im Rohbau, noch ohne Einbauten und Ornamentik
vor uns flehen (S. i57ff-)> Werke, die fchon einen
ziemlichen Einfluß der aus dem Schulbetrieb flammenden
Dialektik verraten, ohne daß jedoch die Autorität der
Väter, vorallem Auguftins, irgendwie erfchüttert wird (S. 168).
.. Damit ift der dunkle Weg, den die Scholaftik in der
Ubergangszeit zwifchen Anfelm von Canterbury und den
Vorläufern der Hochfcholaftik, Abaelard, Hugo von St.
Victor und Petrus Lombardus, zurückgelegt hat, durch
eine Reihe bedeutfamer Schlaglichter erhellt worden. In-
folgedeffen heben fich die Hauptwerke jener Vorläufer,
mit denen man bisher die fcholaftifche Sentenzen- und
Summenliteratur beginnen ließ, vom Hintergrunde fehr
bedeutfamer Vorarbeiten ab. Dadurch erfährt die herr-
fchende Vorftellung von der dogmengefchichtlichen Bedeutung
diefer vermeintlichen Begründer der fcholaftifchen
Methode eine gewiffe Modifikation. Bei der Befprechung
Abaelards wendet fich Grabmann befonders gegen die
auf proteftantifcher Seite vielfach vertretene Meinung, als
trete er aus dem dunklen Hintergrunde des mittelalterlichen
Traditionalismus als erfter Prophet der freien
Wiffenfchaft hervor (Windelband), der in fkeptifcher und
oppofitioneller Abficht (Reuter, Deutfch) den Wahn einer
einhelligen Überlieferung habe zerftören wollen (Nitzfeh,
Harnack, Loofs). Grabmanns Argumente werden jedoch
kaum vollftändig davon überzeugen, daß der Zweck von