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Ausgabe:

1913 Nr. 4

Spalte:

108-109

Autor/Hrsg.:

Rink, Jos.

Titel/Untertitel:

Die christliche Liebestätigkeit im Ordenslande Preußen bis 1525 1913

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 4.

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Inverüonen fcheint S. nicht loszuwerden (z.B. S. 49: ,Nicht
wie dem Origenes fchwebte Athanafius ein allumfaffendes
Syftem der Religionsphilofophie vor'), und in der Über-
fetzung griechifcher Quellenftücke verfährt er mit unnatürlicher
Wörtlichkeit, z. B. S. 313:,Und nicht fteht es,
wie einige durch Irrlehren berückt fagen, daß ganz und
gar der Menfch geftorben ift und durchaus nicht etwas
Gutes zu tun vermag. Denn auch das Kind, obgleich es
nichts zu vollbringen vermag oder (!) mit feinen Füßen
zur Mutter zu gehen unfähig ift, wälzt fich gleichwohl
und ruft und weint, indem es nach der Mutter verlangt'.
Ein Satz aus Gregor von Nyffa S. 310, Z. 3 ff. kommt
freilich noch fchlechter weg (oder S. 37, 10 ft).

Gelegentlich paffiert es auch S., daß er feine Quellen
mißverfteht, z. B. S. 313 n. 2 den Photius zweimal; denn
deffen Kodex 177 handelt nicht von Theodoret, fondern
von dem Mopfueftener Theodor, und in Kod. 54 bringt
Photius nicht Auszüge aus einer Schrift Cyrills wider
Cäleftius bei, fondern aus einem anonymen Werk, in dem
bloß gelegentlich Cyrill zitiert worden war. — Öfter ver-
miffe ich genauere Zeitangaben, namentlich in der Ge-
fchichte der monophyfitifchen Streitigkeiten; aber auch
S. 326 wären die Regierungsjahre für Germanus und Gregor
II. wie fchon vorher die der bilderftürmerifchen Kaifer
eine recht nützliche Zugabe. Den Zufammenhang mit der
allgemeinen Kirchen- und Weltgefchichte, für den S. doch
einigen Sinn hat, könnte er auch fonft noch etwas kräftiger
herausheben.

Auf eine Auseinanderfetzung über Einzelnes laffe ich
mich hier nicht ein; in ganz wefentlichen Fragen befteht
ja wohl ziemliches Einverftändnis. Für die Vorliebe S.'s
für Neftorius bzw. die antiochenifche Chriftologie habe ich
wenigftens Verftändnis, und beherzigenswerte Wahrheiten,
die noch nicht fo allgemein angenommen find, birgt der
§ 30, zumal Kapitel 4. Doch follte diefer Paragraph noch
viel umfänglicher fein: warum erfährt man z. B. nichts
darin über die morgenländifche Theorie vom xgiö/xa ? Auch

und her geht, etwas erfährt, fo ift das ein methodifcher
Fehler. Und zwar ein ernfter zu nehmender als die zu
niedrige oder zu hohe Einfehätzung der mitwirkenden
realpolitifchen Machtfaktoren.

Die einzelnen Theologen in ihrer Eigenart bedeuten
für die Dogmengefchichte nicht fo viel wie die Schulen
und deren Tradition: darum fchadet es weniger, wenn
meines Erachtens S. in der Zeichnung der für fein Gebiet
maßgebenden Individualitäten häufig fich vergreift. Für
die Größe des Maximus Confeffor ift er beinahe begeiftert,
auch Cyrill wird zu hoch gefaßt, aber wie kann man Athanafius
nun gerade als ,freien Griechen' feiern (S. 47) oder
Arius (S 29) als ,den liebenswürdigen und rührigen Mann'?
Das Maß von Eigenfinn und Befchränktheit, das ihnen
Beiden anhaftet, verträgt fich fchlechterdings nicht mit
den Prädikaten liebenswürdig und frei: von den liebenswürdigen
und freien Geiftern, an denen es in der nach-
nieänifchen Kirche auch nicht fehlt, redet die Dogmengefchichte
am wenigften. — Schade, daß das Regifter bis
zum Abfchluß des ganzen Werkes verfchoben wird, es follte
hinter jedem Bande eins flehen, hinter diefem zweiten ein
möglichft umfaffendes Regifter der Sachen, der Begriffe
, der Bibelftellen.

Marburgi. H. Ad. Jülicher_

Rink, Relig.- u. Ob.-Lehr. D. Jof.: Die chriftliche Liebestätigkeit
im Ordenslande Preußen bis 1525. (Diff.) (XX, 163 S.)
gr. 8°. Freiburg i. B., Caritas-Verlag 1911.

M. 3 —; geb. M. 3.80

Die vorliegende Darftellung der Liebestätigkeit im
Ordenslande füllt in trefflicher Weife eine Lücke aus. Wir
befaßen bisher keine genauere Darlegung der chari-
tativen Leiftungen des deutfehen Ordens in Preußen.
Nach einer kurzen Einleitung über die erften Hofpitäler
des deutfehen Ritterordens außerhalb Preußens und über
die preußifchen Zuftände vor Beginn feiner Wirkfamkeit,
offenbart fich an" eben diefer Stelle der Schaden, der | Hellt der Verfaffer die ,ftaatliche und ftädtifche Kranken-

durch die herkömmliche Abfonderung der auguftinifchen pflege' im Ordenslande, die Waifenpnege, die Behandlung
Dogmatik von der morgenländifchen Dogmengefchichte ; der Frauenfrage, die genofienfchaftliche Armenpflege und
entfteht. Ohne Kenntnis der Kämpfe in Afrika feit j die Hilfeleiftung durch gefetzliche und wirtfehaftliche
411, von denen doch erft von § 32 ab die Rede ift, find ! Maßnahmen dar. Das Schlußwort Hellt die charakteri-
manche Ausführungen des § 30 gar nicht verftändlich. ftifchen Verdienfte noch einmal zufammen, durch welche
In der Gefamtauffaffung von dem großen Prozeß, ] der Orden fich auf diefem Gebiet kraft feiner organifierten
den S. hier durch 4 bis 6 Jahrhunderte zu analyfieren bemüht I Zentralifation vor aller andern Liebestätigkeit feiner Zeit
ift, würde ich für meine Perfon die Hoffnungslofigkeit I auszeichnete.

aller diefer riefigen Anftrengungen mit dem Fehler im Die lokalen und allgemeinen Quellen find fehr forg-
Ausgangspunkt und in der Zielfetzung ftärker zu begründen j fältig benutzt und zahlreiches Detail aus der Verwaltung
fuchen. Aus der Bibel als dem unfehlbaren Gotteswort ; der einzelnen Ordensburgen illuftriert die Ausführungen

fucht die alte Kirche die Antwort auf Fragen, die es für 1 des kundigen Verfaffers. Freilich wäre es der Darfteilung

die biblifchen Autoren noch gar nicht gegeben hat, zum j zu Gute gekommen, wenn das Einzelmaterial in Anmer-

Teil nicht geben konnte, und als Garantie für die Ab- j kungen oder in einem Anhang gegeben worden wäre,

folutheit der chriftlichen Religion fordert fie naiv die ohne die allgemeine Charakteriftik im Text zu unter-

Abfolutheit eines Syftems religiöfer Gedanken. Auf der brechen. Ob der Ausdruck ,Staat' und .ftaatlich' auf die

Bibel als einzigem Fundament wollen alle Parteien inner- Ordensorganifation übertragen werden darf, ift mir frag

halb der alten Kirche ihren Turm erbauen; als fpäter die
Tradition neben die Bibel tritt, ift's im Grund bloß die Arbeit
früherer Generationen in Bibelauslegung, die man nicht
noch einmal machen will. Nur weil der fchwach gewordene
Geift fich nicht mehr bis zur Höhe des geheimnisvollen
Berges — Bibelwort — aufzufchwingen wagt, läßt er fich
den Buchftaben Mofe's, die für feine befcheideneren Bedürf-
niffe zurecht gemachten Formeln der ,Väter' an Stelle des

lieh, fo gewiß die Auffaffung der Ordensleitung von den
obrigkeitlichen Pflichten im Lande dem modernen Begriff
des .Staates' vorarbeitet. Befonders lichtvoll und beachtenswert
find R.'s Unterfuchung über die Einrichtung
der Hofpitäler, über die Fürforge für Jungfrauen und
Witwen, für gefallene Mädchen und für Irrenpflege. Hier
find in der Tat damals fchon fehr intereffante Einzelaufgaben
angefaßt worden, und man hat damit der neueren

Bibelworts gefallen; die Idee, daß die eine Inftanz mit der Zeit vorgegriffen. Freilich wird hier wie insbefondere auch
andern konkurrieren, oder gar ihr widerfprechen könne, bei der genoffenfehaftlichen Armenpflege von R. nicht überkommt
Niemandem. Die Gefchichte der Dogmen ift im all genau unterfchieden zwifchen dem,wasalsBetätigungdes
letzten Grunde nichts weiter als Gefchichte des Bibel- Ordens felbft anzufehen ift und was fich unter feiner allge-
verftändniffes, oder leider meift Mißverftehens in der j meinen obrigkeitlichen Protektion in feinem Gebiet aus
Kirche, und wenn in der Dogmengefchichte als Quellen 1 andern allgemeinen Wurzeln entwickelte. Doch gereicht es
die Concilienakten und Streitfchriften überreichlich, die 1 jedenfalls dem Buche nur zum Vorteil, daß auch das Letztere
Kommentare zui heiligen Schrift aber — und die Predigten! in die Darftellung aufgenommen ift, fodaß man das Rinkfche
— fo gut wie gar nicht auftreten, und man kaum Buch für die gefamte Liebestätigkeit im Ordenslande
von den Hauptftellen der Schrift, über die der Streit hin ' heranziehen kann, wie auch der Titel befagt.