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Ausgabe:

1913 Nr. 21

Spalte:

659-660

Autor/Hrsg.:

Wolff, Eugen

Titel/Untertitel:

Faust u. Luther 1913

Rezensent:

Petsch, Robert

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659

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 21.

660

find und infofern etwas Göttliches an fich haben, auf Grund
deffen ihnen eine gewiffe religiöfe Verehrung gebührt und
erwiefen werden muß', fo werde ich nicht aufhören, dies
als ,Heidentum' zu bezeichnen. Aber andrerfeits wenn Religion
gleich Patriotismus gefetzt, ihr Spielraum auf die

Züge zufammen, deren eingehende Befprechung wohl
ein eigenes Buch erfordern würde. Hier nur einzelnes*).

Das Fauftbuch foll noch Spuren der katholifchen
Tendenz enthalten, die freilich z. T. bei der Überarbeitung
verwifcht worden fei; wäre es an fich, falls deutliche

Nationalität befchränkt, und das ,Una Sancta' als Schemen katholifche Spuren vorhanden wären, nicht ebenfo mög
ideologifcher Träumer abgetan wird, ftehe ich auch nicht | lieh, daß fie erft ein Überarbeiter hineingebracht hätte?
an, dies .heidnifch' zu nennen. — Immerhin möchte ich Wolff zugeben, daß viele Anfpie

In fehr zahlreichen Nachträgen hat fich Grifar teils
mit feinen Kritikern auseinandergefetzt, teils feine Er-
gebniffe beleuchtet, erhärtet und an einigen Stellen auch
berichtigt. Hierher gehören auch die drei Artikel, die
oben verzeichnet find.

Wer in Zukunft über Luther fchreiben wird, wird an
diefen drei Bänden Prozeßakten' nicht vorüber gehen
können und wird fich mit ihnen auseinanderfetzen müffen.
Veralten werden fie nicht fo bald. Aber wie Grifar felbft
keine Biographie fchreiben wollte, ja wie er in vielen
Fällen felbft die Akten als nicht abgefchloffen beurteilt,
fo wird diefes Werk die Forfcher zwar begleiten, aber
nicht leiten können. Die katholifche Gefchichtfchreibung
wird fich neue und nicht nur Grifar-exzerpierende Arbeit
auferlegen müffen, wenn fie — nachdem doch das eindeutige
Denifle'fche Lutherbild in der Verfenkung ver-
fchwunden ilt — ein komprehenfives und dem Tatbeftande
entfprechendes Lutherbild zeichnen will.

Berlin. A. Harnack.

Wolff, Eugen: Fauft u. Luther. Ein Beitrag zur Entftehung
der Fauft-Dichtung. (V, 189 S.) 8°. Halle, M. Niemeyer
1912. M. 5 —

Die Frage nach der Entftehung, den Quellen und der
Tendenz des alten Fauftbuchs, das 1587 zum erften Male
im Druck erfchien, ift feit Milchfacks glücklichem Funde
eines älteren handfehriftlichen Textes auf der Wolffen-
büttler Bibliothek wiederholt erörtert worden. Kawerau
hat das feltfam-widerfpruchsvolle, fchriftftellerifch unge-
fchickte und doch anziehende Büchlein m. E. fehr richtig als
,eine lehrhaft-erbauliche Unterhaltungsfchrift' bezeichnet
(Theol.Lit.-Ztg. Band XXII, Sp. 488 fr.). Der erbauliche
Charakter bedingt natürlich eine gewiffe konfeffionelle,
wenn auch nicht notwendig polemilche Tendenz. Gegen
Milchfack, der eine antiphilippiftifche Spitze des Ganzen
nachweifen wollte, wandte fich Erich Schmidt als Verteidiger
der älteren Anficht, wonach das Büchlein einen
ftreng lutherifchen, womöglich theologifch gebildeten,
mindeftens aber in Luthers Schriften bewanderten Verfaffer
gehabt habe; diefer Meinung habe auch ich mich in meiner
Neuausgabe des Fauftbuchs angefchloffen (Neudrucke
deutfeher Literaturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts,
Heft 7. 8, Halle 1911); ich nehme mit Kluge und Witkowski
eine lateinifche Grundfaffung an, (die m. E. antihumaniftifche
Tendenz hatte und) aus der erft durch mindeftens zwei
Umarbeitungen hindurch die Wolffenbüttler Handfchrift
(W) und die gedruckte Hiftorie (H) unabhängig von einander
genoffen find. Die Umarbeitungen haben das
Original zunächft ungeheuer aufgefchwemmt, dann wieder
vieles verkürzt und den urfprünglichen Charakter stark
verwifcht. Eugen Wolff, der meine Ausgabe anfeheinend
fall nur noch für feine Anmerkungen benutzen konnte,
leugnet das lateinifche Original, gibt die Umarbeitung zu,
will aber beweifen, daß das ganze Buch von Haufe aus
als Satire gegen Luther und feinen Kreis gedacht, alfo
in katholifchen Kreifen entftanden und vielleicht gar ein
Erzeugnis des ftimmführenden Polemikers Johannes Nas
fei. Ich kann Eugen Wolfis Beweisführung, fo beftechend
fie in Einzelheiten fein mag, nicht als zwingend anerkennen,
fondern fehe den Hauptwert feiner Arbeit in dem nachdrücklichen
Hinweis auf den kritifchen Wert von W, fo-
wie in den reichen Zufammenftellungen aus der polemifchen
Literatur der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Wolfis
Indizienbeweis fetzt fich aus einer großen Fülle einzelner

lungert auf konfeffionelle Dinge in einer gewiffen Un-
beftimmtheit gelassen find, fodaß ich eher auf einen feft
im Luthertum wurzelnden, als auf einen theologifchen
Verfaffer fchließen möchte. Vor allem aber will Wolff
(S. 22 ff) aus einigen Äußerungen über das Zentraldogma
von der Buße den katholifchen Grund Charakter des Fauftbuchs
feftftellen; ich glaube in meiner Ausgabe (S.XXIXff.)
überzeugend dargetan zu haben, daß der Verf. des Fauft-
buches katholifierende Anflehten Faufts als irrtümlich
brandmarkt.

Daß die Fauftgefchichte in der Lutherftadt fpielt,
ohne doch Luther und Melanchthon und die Überlieferung
von der Begegnung des letzteren mit Imuft zu erwähnen,
ift durch Pietätsrückfichten nicht fchwer zu erklären; was
Wolff aber an Parallelen zwifchen Fauft und Luther im
einzelnen vorbringt, wirkt in keinem Falle zwingend; weder
die biographifchen Berührungen noch die Beziehungen
zwifchen Faufts Faftnachtsftreichen und gewiffen Lieb-
lingsausdrücken bei Luthers Gegnern können mich von
Wolfis Thefe überzeugen.

Ebenfowenig feine Schliifle aus der heftigen Polemik Auguftin
Lercheimers, der in der 3. Auflage feiner Schrift über den Hexenwahn
(1597) wütend über das Fauftbuch herfiel, weil er, wie fo mancher andere
, den romanhaften Charakter des Büchleins und feine lutherifch-anti-
humaniftifche Tendenz verkannte; der Held verläßt die lauteren Quellen
der Wahrheit und wendet fich fchnöder Scheinwiffenfchaft zu, die zum
Verderben der Seele führt; in der Einleitung zu meiner Ausgabe habe ich
gezeigt {S. XXXIV ff.), daß gewiffe Berührungen zwifchen Lercheimer und
dem Fauftbuch fich erklären laden, ohne daß wir die Benutzung einer
handfehriftlichen Falfung der ,Historia' bei dem temperamentvollen Verfader
annehmen müden, der in diefem Fall ficherlich rechtzeitig gewarnt
hätte vor folchen umlaufenden ,Schmähfchriften' und der feine Quellen
überhaupt nicht zu verfchleiern liebt 1, Auch das gedruckte Fauftbuch
dürfte L. nur obenhin kennen gelernt haben; daher die fonderbaren Fehler
in der Wiedergabe von Eigennamen, daher aber auch die falfche Angabe,
Fauft werde am Karfreitag vom Teufel geholt. Hier liegt wohl eine Ver-
wechfelung mit anderen Fauftgefchichten vor, die L. kannte; denn Wold hat
felbft wahrfcheinlich gemacht (158L), daß in einem Zweige der Überlieferung
Faufts Ende auf diefen Feiertag verlegt wurde. Am wenigften
überzeugt hat mich, was W. über die ,Spuren des katholifchen Fauft-
dichters' beibringt. Wie fchon gefagt, foll der Dichter der alten Historia
J. Nas fein. Deffen Sprache foll trotz fo mancher Umarbeitungen, ja
bis in die Zufätze fpäterer Ausgaben hinein, noch erkennbar fein! Doch
auf die rein philologifchen Fragen kann ich an diefer Stelle nicht eingehen
. Was den Stil angeht, fo bedürften wir einer viel eingehenderen
Uuterfuchung (und zwar unter forgfältiger Vergleichung einer ganzen Reihe
anderer Schriftfteller der Zeit,), als fie W. auf S. 176—179 bietet!2

Im übrigen ftehen und fallen folche Hypothefen mit
der Auffaffüng, die wir über das Verhältnis des Dichters
zur Lehre von der Sünde, Buße und Gnade gewinnen,
und gerade in diefem Punkte hat mich eben Wolff trotz feines
erftaunlichen Aufwandes von Fleiß und Scharffinn nicht
überzeugt. Mögen wir aber die Grundthefe ablehnen, fo
erkennen wir dankbar an, daß der Verfaffer die Einzelerklärung
an vielen Stellen durch feine Belefenheit gefördert
und reiche Materialien für die Gefchichte einzelner
Schlagwörter und Motive im konfeffionellen Kampfe beigebracht
hat.

Liverpool. Robert Petfch.

*) Die vorliegende Anzeige mußte wegen Raummangel erheblich gekürzt
werden.

1) Genaueres über die Lercheimerfrage in den .Beiträgen zur Gefchichte
der deutfehen Sprache und Literatur' Bd. XXXIX, Heft 1.

2) Gerade die von Wolff herangezogene Schrift von J. Nas (abgedruckt
bei Jung ,Zur Gefchichte der Gegenreformation in Tirol', 1874)
beweift gegen feine Annahme. Sie zeigt N. polemifche Begabung in
glänzendem Lichte: wie er mit dem Gegner Katz und Maus fpielt und
ihn plötzlich in feinen eigenen Worten wie in einer Schlinge fängt oder
ihm mit einem Sprichwort ein Bein ftellt. Dem ftelle man das ungefchickte
Sprichwörterkapitel im Fauftbuch (H. c. 65) gegenüber und entfeheide!