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Ausgabe:

1913 Nr. 17

Spalte:

519-521

Autor/Hrsg.:

Delehaye, Hippolyte

Titel/Untertitel:

Les Origines du Culte des Martyrs 1913

Rezensent:

Holl, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 17.

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gering. Der Terminologie der heidnifchen Myfterien verdankt
der Apoftel jedenfalls nichts.

Die Mühe, die fich der Verf. um feinen Gegenftand
gemacht hat, verdient alle Anerkennung. Er hat es fich
fauer werden laffen und erreicht, was von feinem Standpunkt
aus überhaupt zu erreichen ift. Er handhabt nicht
die gefchwätzige Phrafeologie einer billigen Apologetik.
Und wenn ich mich hier darauf befchränken mußte, in
großen Zügen den Charakter des Werkes zu kennzeichnen,
fo foll damit nicht geleugnet fein, daß auch der Gegner
in Einzelheiten vieles aus ihm lernen kann. Pr. ift ein
ernft zu nehmender Arbeiter.

Um fo mehr hat die deutfche Gelehrtenwelt Anlaß, fich Anzüglichkeiten
zu verbitten wie die: ,H. Beck s'empara de la these de Barmby,
mais sans le citer, suivant un usage assez repandu chez les erudits d'outre-
Rhin' (II 365). Es erweckt auch fonft manchmal den Aufchein, als ärgere
fich Prat darüber, daß deutfche Wiffenfchaft auf feinem Arbeitsfeld an der
Spitze marfchiert. Scheut er fich doch fogar vor dem Urteil nicht, H.
Iloltzmann habe fich eingebildet, die Grenzen wahrer Wiffenfchaft fielen
mit denen Deutfchlands zufammen (II 31). Dafür daß Holtzmann überwiegend
deutfche Arbeiten zitiert, follte doch ein Franzofe Verftändnis
haben, der in eine Bibliographie von ca. 190 Nummern über 130 Publikationen
aus dem deutfchen Sprachgebiet aufnimmt.

Breslau. Walter Bauer.

Delehaye, Hippolyte, S.J.: LesOriginesduCulte desMartyrs.

(VIII, 503 S.) gr. 8°. Bruxelles, Bureaux de la Societe
des Bollandistes 1912.

Das neue Buch, das Delehaye vorlegt, bildet eine
Ergänzung zu feinen Legendes hagiographiques. Dort
hatte er die Heiligenverehrung vorgeführt, fo wie fte in
den fchriftftellerifchen Denkmälern fich fpiegelt; diesmal
will er fie aus dem Leben felbft heraus fchildern.

Er zeichnet zuerft in vier Kapiteln die allgemeinen
Grundzüge der Entwicklung: Ch. I. La dignite du martyre
(die Hochfehätzung des Märtyrers ergibt fich aus dem
Gefühl der Bewunderung für feine Tapferkeit, mit dem
die Kirche den Schmerz über feinen Tod überwindet; fie
kommt zum Ausdruck in den ehrenden Bezeichnungen
/laxaQtog, benedictus, fortissimus, in dem Glauben, daß
Chriftus in dem Märtyrer wirke, in dem Begnadigungsrecht
der Märtyrer, in der fchwärmerifchen Fürforge für
die Bekenner); Ch. II. L'anniversaire et le tombeau (die
Verehrung im eigentlichen Sinn beginnt erft nach dem
Tod des Märtyrers; fie geht aus von der Feier des Jahrtags
, die beim Märtyrer dadurch ihr Auszeichnendes erhält
, daß die Gemeinde als folche fich daran beteiligt; daß
Märtyrerkapellen fchon vor Konftantin errichtet wurden,
bezweifelt D.); Ch. III. Developpements du culte des
martyrs (nach der Anerkennung des Chriftentums löft fich
die ftrenge Bindung an den Ort, die bisher für die Verehrung
des Märtyrers gegolten hatte; es kommen die
Übertragungen und die Verteilungen der Reliquien auf —
beides hat, wie D. meint, im Often feinen Anfang genommen
; daran fchließen fich die ,Auffindungen', die Einführung
fremder Märtyrer, und endlich die Anreihung der
verftorbenen Bifchöfe und der Asketen an die Märtyrer).
Ch. IV. L'invocation des martyrs (die Anrufung der Märtyrer
, im Unterfchied von der allgemeinen Bitte um ihr Eintreten
bei Gott, hebt nach Delehaye im 3. Jahrhundert an;
im 4. (erft im 4.!) kommt hinzu der Glaube an die in der
Reliquie verborgene Kraft; als Wirkungen traut man ihr
zu Vertreibung der Dämonen und Heilung von Krankheiten).

Nunmehr folgt in weiteren vier Kapiteln die Ausfüllung
des Rahmens. Ch. V und VI gibt die Lifte der
prineipaux centres du culte des martyrs für den Often,
Ch. VII und VIII für den Werten. — Ein Schlußkapitel
(Deductions et systemes) hebt in Auseinanderfetzung mit
der religionsgefchichtlichen Forfchung noch einmal die
treibenden Kräfte der Heiligenverehrung hervor.

Das Schwergewicht des Buches liegt in den Kapiteln
V—VIII. Hier hat D. etwas gefchaffen, was vorher nicht
da war, und was außer ihm kein anderer hätte fchaffen

können. Er hat zwar auf das Höchfte verzichtet, alle in
den einzelnen Provinzen verehrten Heiligen, foweit fie
bekannt find, zu buchen. Das hätte die Kraft eines Ein-

' zelnen überfliegen. Er befchränkt fich darauf, überall die
,Mutterkirchen' d. h. die am beftimmten Ort einheimifchen
Märtyrer zu verzeichnen; mit der zeitlichen Begrenzung,

J die durch das martyrologium Hieronymianum gegeben ift.
Auch fo noch bleibt die Leiftung gewaltig genug. Was
bisher nur für einzelne Quellen oder Gebiete verfucht
wurde, ift hier für das Ganze vollbracht. Der Riefen-
ftoff des martyr. Hieron. ift, foweit es fich um Märtyrer
handelt, verarbeitet und mit allen erreichbaren Nachrichten
aus Schriftftellern und Denkmälern in Beziehung gefetzt.
Man vermag nunmehr zu überfchauen, welchen Beitrag
die einzelnen Teile des Reichs zur Zahl der gefeierten
Märtyrer geliefert haben, und es wird keine Seite der
kirchengefchichtlichen Forfchung geben, für die daraus
nicht Nutzen zu ziehen wäre. Möchten nur alle die, die
künftighin auf diefer Grundlage weiterbauen und dabei
felbftverftändlich auch an ihr zu beffern finden werden,
fich des Dankes bewußt bleiben, den fie Delehaye fchuldig
find.

In den grundfätzlichen Fragen verteidigt D. wiederum
die Stellung, die er in den Legendes hagiographiques
eingenommen hatte. Diesmal in der Form, daß er nach-
zuweifen verfucht, die alte Götter- und Heroenverehrung
hätte weder auf den Gegenftand des Kultus einen nennenswerten
Einfluß geübt (es fei nie ein Gott fchlankweg in
einen chriftlichen Heiligen verwandelt worden), noch auch
fei in den Formen der Verehrung etwas Bedenkliches
herübergenommen worden; es gelte hier das Wort des Hieronymus
: illud fiebat idolis et ideirco detestandum est, hoc
fit martyribus et ideirco reeipiendum est. Was die Kirche
entlehnt hätte, fei nur der damals natürliche Ausdruck für
die Hochfehätzung gewefen; und endlich bedeute auch
der Geift diefer Verehrung keinen Abfall vom Chriften-
tum: für die große Maffe fei der Verkehr mit den Heiligen
das zugänglichfte Mittel, um fich über die Welt
zu erheben.

Gegenüber einer groben Behandlung der Sache ift es
gewiß nützlich, wenn D. die in der Heiligenverehrung
wirkfamen chriftlichen Antriebe unterftreicht. Ich möchte
bei diefer Gelegenheit an das treffende Wort von Baur
erinnern (Gefch. d. chriftl. Kirche II 274): ,fo fehr . . . der
chriftliche Heiligenkultus das Gepräge des heidnifchen
Götter- und Heroenkultus an fich trug, fo hing ihm doch
von feinem Urfprung her etwas an, womit fich der Grieche
der alten Zeit nie befreunden konnte. Einem äfthetifch
gebildeten Griechen, wie der Kaifer Julian war, fchien
wegen diefes Märtyrer- und Reliquienkultus aus dem
Chriftentum nur der Modergeruch der Gräber und Totengebeine
entgegenzukommen.'

Nur hätte D. einmal bezüglich der aus dem Chriftentum
flammenden Beweggründe etwas tiefer graben dürfen.
Von den allgemeinen Gefühlen aus, die er nennt, den
Gefühlen des Dankes, der Bewunderung, der Hochfehätzung
erklären fich doch fo beftimmte Dinge, wie der Glaube
an die Einwohnung Chrifti im Märtyrer oder die dem
Märtyrer zugefchriebene Schlüffelgewalt nicht Hier muß
noch etwas Weiteres zu Grunde liegen. Es ift bezeichnend
für diefen Mangel, daß D. mit dem Namen Märtyrer nichts
Rechtes anzufangen weiß.

Dann aber trifft feine Auseinanderfetzung doch nur
die Ausfchreitungen und Übertreibungen der religionsgefchichtlichen
Forfchung. Ich ftimme D. ganz zu, daß
die .Auffindung' eines verfchollenen Märtyrers 1— eine
j Frage, zu der fich D. übrigens zwar mit Zurückhaltung,
| aber immerhin deutlich genug äußert —, die Errichtung
I einer Kirche an Stelle eines Tempels, vollends ein Gleich-
j klang des Namens an fich nichts für Herübernahme eines
heidnifchen Kults beweifen. Auch darin bin ich völlig
, mit ihm einverftanden, daß die chriftliche Kirche niemals
j einen heidnifchen Gott fozufagen als Ganzes bei fich ge-