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Ausgabe:

1912 Nr. 23

Spalte:

718-719

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Franz

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte. 25. Heft 1912

Rezensent:

Clemen, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 23.

718

Edited by J. Maitland Thomson, LL. D. (XXIX,
472 S.) gr. 8°. Glasgow, J. Maclehose a. Sons 1912.

s. 12.6

Durch die gefchickte Ausgabe diefer, ,Notes on the
Lives of the Bishops of Scotland' (vor der Reformation)
hat fich Dr. J. Maitland Thomson die die mittelalterliche
Gefchichte Studierenden zu Dank verpflichtet. Unfere
Kenntnis der fchottifchen Kirche während der 4 'l2 Jahrhunderte
, in denen fie unter der römifchen Herrfchaft
ftand, ift fo gewachfen, daß Keiths Catalogue of Bishops,
1755 veröffentlicht und von Ruffel im Jahre 1824 fchlecht
revidiert, völlig unzulänglich geworden ift. Es wäre ein
fchwerer Verluft gewefen, wenn die Refultate der müh-
famen Forfchung eines fo hervorragenden Gelehrten wie
des verstorbenen Bifchofs Dowden verloren gegangen
wären. Man bedauert nur, daß D.s .Notes' nicht in fich
felbft abgefchloffen find, fondern zugestandenermaßen ein
Supplement zu Keith bilden, fo daß der Studierende
beide Bücher vor fich haben muß. Die hauptfächlichften
neuen Quellen, die von D. benutzt wurden, find: 1. Die
zahlreichen Klosterurkunden und Akten der fchottifchen
Abteien und Kirchen, die von Gefellfchaften für Gefchichte
und Altertumskunde veröffentlicht find. 2. Solche Einzel-
befchreibungen wie Jofeph Robertfons Statuta, Theiners
Monumenta, Bradys Episcopal Succession, Eubels Hier-
archia Catholica medii aevi und die ganz kürzlich er-
lchienenen Bücher von Lawrie, Herkleß und Hannay.
3. Das Kalendar der Aufnahme in die päpstlichen Akten,
herausgegeben unter der Leitung des Urkundenbewahrers.
Aus diefem verfchiedenen Material hat D. die wichtigen
Tatfachen mit dem Unterfcheidungsvermögen eines wahren
Gelehrten ausgefucht und fie mit meisterhafter Gefchick-
lichkeit geordnet, die eine einzigartige Bekanntfchaft mit
der Literatur über diefes Thema verrät. Er verallgemeinert
feiten, fast zu feiten, wenn das .desiderium tarn
cari capitis' einem das zu fagen erlaubt. Doch hält er
fich ftreng an feine Rolle, indem er mehr als ein Kirchen-
hiftoriker und Altertumsforfcher auf geistlichem Gebiet
denn als Historiker fchreibt. Es ift viel, Selbftbeherr-
fchung zu üben und frei von Parteilichkeit zu fein in
einer Region, wo Vorurteil und Dogmatismus nur zu oft
die Wahrheit vorzerren. D. fällt kein Urteil, zieht keine
Folgerungen und wagt keine Hypothefen, außer wo es
am gefchichtlichen Zeugnis mangelt. Es ftellt feft z. B.
daß, felbft nachdem Schottland in Diözefen geteilt war,
es Nicht - Diözefen - Bifchöfe gab, Überbleibfel der kelti-
fchen Kirche. Doch unterläßt er es, über die fo gefchaffene
Situation mit ihren eigenartigen Konfequenzen für die
Gültigkeit von Verordnungen und die fog. .Succeffion'
Theorien aufzustellen. In ähnlicher Weife zeigt er die
Schwäche des Einfluffes, den die römifche Kirche auf
die Außen-Diftrikte gewann und die befondere Verwirrung,
die im Werten und Norden von der Infel Man bis zu
den Orkneys herrfchte, ohne das System oder die handelnden
Perfonen zu tadeln oder zu rechtfertigen. Wenn
er einen offenkundigen Aufruhr an der Glasgower Kathedrale
zwifchen den Anhängern miteinander rivalifieren-
der Erzbifchöfe behandelt und findet, daß die Tatfachen
von gleich guten Autoritäten verfchieden angegeben find,
nimmt er nicht feine Zuflucht zu der oft geübten Gewohnheit
, die eine Autorität als ,Proteftanten' oder die
andere als Papisten herabzufetzen, fondern ift .geneigt zu
glauben', daß zwei (verfchiedene) Aufstände stattgefunden
haben müßten. So erweckt das Ganze den Eindruck,
daß er bei feinen Unterfuchungen völlig unparteiifch gewefen
ift, und daß feine .Liften', obgleich fie vielleicht
Verbeflerungen erfordern, nach feinen eigenen Worten
,viel beffer find als alle, die früher existierten'. Sie müflen
ficherlich von jedem, der über das Schottland des Mittelalters
fchreibt, ir Rechnung gezogen werden.

Die fchottifchen Bifchöfe waren, wie aus diefem
,riccum lumen' erfichtlich ift, interefiante Geftalten, den

Bifchöfen anderer Länder in mancher Beziehung unähnlich
. Viele von ihnen waren legitime oder illegitime
Abkömmlinge von königlichem oder hochadligem Stamm;
viele waren Kapläne oder Sekretäre des Königs gewefen.
Wenige von ihnen waren Fremde, felbft in Zeiten wo
fchottifche Äbte und Priore, Dechanten und Domherren
Franzofen oder Engländer waren; doch die bedeutendsten
waren in Paris erzogen. Mit 3 oder 4 Ausnahmen waren
fie tapfere Patrioten, wenn Haß gegen England und die
Bereitfchaft, Rom in Verteidigung nationaler Unabhängigkeit
Trotz zu bieten, Patriotismus ift. In ihrer Weigerung,
fich einander unterzuordnen, waren fie völlig cyprianifch:
ihr Eintreten für .Gegenpäpfte' und ihr Eifer um Befreiung
von ihren eigenen Erzbifchöfen ift manchmal faft komifch.
Die Frömmften von ihnen, fogar Elphinfton und Kennedy,
waren fo fehr am Hofe und mit Diplomatie befchäftigt,
daß eine beständige Überwachung ihrer Diözefen unmöglich
war. Hektor Boece führt es als Probe von Elphin-
ftones Pflichttreue an, daß er feine Verwandten durch
Kircheneinkünfte bereicherte, und die Mythe, daß E.'s
Anhänglichkeit an feine Diözefe ihn dazu führte, das
Amt des Erzbifchofs auszufchlagen, verfchwindet vor der
urkundlich feststehenden Tatfache feiner Bewerbung um
die Ernennung. Viele Bifchöfe waren gleich forglos in-
bezug auf ihre öffentliche Ehre wie auf ihre perfönliche
Moral. Wenige kamen in der Tat Lamberton als Ver-
fchwörer oder David Beaton in fchamlofem Eigennutz
gleich. Wahrfcheinlich ftand ihre Durchfchnittsmoral
weder tiefer noch höher als diejenige des gewöhnlichen
Barons. Die Religion war nicht der beherrfchende Ton
ihres Lebens, und perfönliche Hingabe an die Pflichten
für die Diözefe war fo feiten, daß das eine Ausnahme
bildete. Man erzählte von einem Mann, daß er der
,armen Leute Bifchof war. Doch ficherte ihr Eifer um
die Unabhängigkeit der fchottifchen Kirche ihrem Amt
einen nationalen und repräfentativen Charakter, bis beim
Beginn des 16. Jahrhundert die Intereffen der Nation und
die der Kirche offenkundig auseinander gingen. Dann
urteilte die Nation, daß das Amt, felbft wenn es nicht
hindernd auftrat, religiös wertlos fei, und entfchied fich
für eine nicht-bifchöfliche Kirche — nicht aus Grundfatz,
fondern weil die Erfahrung zu beweifen fchien, daß per-
fönlichen ijtioxoxoi nicht ijciOxojcrj anvertraut werden
könnte. Dadurch, daß fie folchen Folgen nachgehen, die
von den politifchen Historikern gewöhnlich unbeachtet
gelaffen werden, werden diefe ,Notes' außerordentlich
nützlich. Die bifchöfliche Verfaffung würde fich in
Schottland anders gestaltet haben, wenn die vorreforma-
torifche Kirche Bifchöfe gehabt hätte wie der Autor, um
den wir trauern — vir pietate gravis, litterarum fautor,
veritatis ac justitiae amator.

Der Herausgeber bittet befcheiden um Verzeihung
wegen des einzigen Falles in dem er von Bifchof Dowden
.abzuweichen wagt'; aber feine Anmerkungen als Herausgeber
haben einen unabhängigen Wert.

Edinburgh. A. R. Mac E wen.

Beiträge zur Sächlilchen Kirchengefchichte, hrsg. im Auftrage
der .Gefellfchaft f. fächf. Kirchgefchichte' v. Frz. Dibe-
lius u. Thdr. Brieger. 25. Heft (Jahresheft f. 1911)
m. Gefamt-Regifter zu Heft 1—25. (III, 183 S.) gr. 8«.
Leipzig, J. A. Barth 1912. M. 4 —

Diefes Heft bringt außer einem fehr dankenswerten
Gefamtregifter zu Heft 1 — 25 Auffätze aus allen Zeiten
der fächfifchen Kirchengefchichte. Am weiteften zurück
in die Vergangenheit führt uns Bönhoff, Die deutfchen
Könige und das kirchliche Wefen in den füdforbifchen
Markländern. Er zeigt, wie die deutfchen Könige (bis
Philipp), befonders Otto I., ihre Schutzpflicht gegenüber
der Kirche bei ihrer Miffionsarbeit unter den Südforben
d. h. den flavifchen Bewohnern des jetzigen Königreichs