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Ausgabe:

1912 Nr. 7

Spalte:

209-211

Autor/Hrsg.:

Thomas, Jules

Titel/Untertitel:

Le Concordat de 1516, ses origines, son histoire au XVIe siècle. 3 parties 1912

Rezensent:

Holtzmann, Robert

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 7.

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Zeit vor dem Druck und den Nachfchlagebüchern'. Der
mittelalterliche Literat mußte fich auch Gelefenes viel
energifcher und in viel größerem Umfang einprägen, weil
er beim Produzieren auf Reproduzieren des Gelefenen
angewiefen war. Natürlich fchoben fich bei ihm die Bilder
und Ideen, die er maffenhaft in fich auffpeicherte, durch
und in einander, fodaß ein Zitat nur feiten rein und un-
verfälfcht erfcheint. Ferner ift gerade auch in Bezug auf
me mittelalterliche Literatur immer die Möglichkeit in
Betracht zu ziehen, daß einzelne Literaturdenkmäler zu
Grunde gegangen find und fo einzelne Zwifchenglieder
und Urquellen uns unbekannt bleiben. Fräulein Marti hat
mit der durch folche Erwägungen diktierten Vorficht geurteilt
und nur diejenigen Quellen, bei denen es fo gut
wie ficher ift, daß Heinrich fie benutzt hat, als direkte
Vorlagen bezeichnet, im übrigen aber viele Parallelen
und Anklänge angeführt, ohne auf ein Abhängigkeitsverhältnis
zu fchließen.

Im erften Buche, ,Menfchwerdung Gottes', nennt Heinrich
als feine Hauptquelle den Anticlaudianus des Alanus
he Insulis. Ferner ift die Legenda aurea und die Vita
beate Marie rhythmica benutzt. Im zweiten Buche, Jefu
Leben, Tod und Erhöhung', zitiert Heinrich den fälfchlich
St Bernhard zugefchriebenen Sermo de vita et passione
homini und bei der Epifode von Maria Magdalena am
Grabe eine Homilie des Origenes. Dem 3. Teile, ,Anti-
chrift, Vorzeichen und jüngftes Gericht', liegt das Com-
pendium theologicae veritatis und wohl auch Adfo-Alcuins
Traktat de Antichristo zu Grunde.

Fräulein Marti hat fich jedoch nicht damit begnügt,
hiefe Quellen aufzufpüren und feftzuftellen, in welchem
Umfange fie benutzt worden find, fie zeigt auch fehr fein,
wie Heinrich fie fich dienftbar gemacht hat. Allen Vorjagen
gegenüber wahrt er fich (eine Selbftändigkeit. Wir
Jernen in ihm einen Mann kennen von aufrichtiger Frömmigkeit
, Tatkraft und doch Gefühlsinnigkeit, von lebhaftem
Temperament und gefundem Wirklichkeitsfinn. — Übrigens
gibt die Verfafferin auch einige beachtenswerte Text-
verbeflerungen zu Singers Ausgabe.

Beiffels Gefchichte der Verehrung Marias in Deutfch-
land während des Mittelalters (1909, nicht, wie S. 122
fleht, 1900, erfchienen) wurde der Verfafferin erft nach
Abfchluß des Druckes bekannt. Das Werk wäre z. B.
fchon S. 37f. zu den Vorbildern Marias (Thron Salomos,
Einhorn ufw.) zu zitieren gewefen. Überfehen fcheint fie
Preuß' Antichrift (1906) zu haben. Sonft aber zeigt fie
fich ungewöhnlich beleien.

Zwickau i. S. O. Clemen.

Thomas, D.Jules: Le Concordat de 1516, ses origines, son
histoire au XVE siede. 3 parties. Ouvrage recom-
pense par l'academie des sciences morales et politiques
sur le prix du budget. 8°. Paris, A. Picard et Fils.

Jeder Band fr. 7.50
I. Les Origiues du Concordat de 1516. (XIII, 448 S.) 1910. —
II. Les documents concordataires. (415 S.) 1910. — III. Histoire du
Concordat de 1516 au XVI« siecle. (480 S.) 1910.
In drei ftattlichen Bänden gibt der Abbe Thomas,
der fich bisher hauptfächlich durch eine Reihe lokalhifto-
rifcher Arbeiten über Dijon und die Bourgogne bekannt
gemacht hat, eine ausführliche Gefchichte des im Jahre
1516 zwifchen Leo X. und Franz L von Frankreich ge-
mhloffenen Konkordats, durch welches die Pragmatifche
Sanktion von Bourges (1438) befeitigt und die kirchen-
■"echtlichen Beftimmungen getroffen wurden, die von da
*8 bis ans Ende des Ancien regime in Frankreich in
Geltung waren. Die Verteilung des Stoffs ift fachgemäß.
Her erfte Band enthält die Vorgefchichte; das Konftanzer
und Bafler Konzil, die Entftehung des Gallikanismus und
die Pragmatifche Sanktion, ihr Inhalt und ihre wechfeln-
den Schickfale bis zum Abfchluß der Verhandlungen mit

der Kurie und dem fünften Laterankonzil flehen im Vordergrund
des Intereffes. Der zweite Band befchäftigt fich
mit dem Konkordat felbft, mit den Urkunden, die zu ihm
in Beziehung flehen, mit der Approbation durch das
Konzil, mit feinen einzelnen Beftimmungen und den
fchwierigen Verhandlungen, die nötig waren, um die
Regiftrierung des neuen Gefetzes beim Parifer Parlament
zu erzwingen; denn die Parlamente wollten in Überein-
ftimmung mit zahlreichen anderen Kreifen des Landes
an der Pragmatifchen Sanktion feilhalten. Der dritte
Band fchließlich betrachtet die Gefchichte des Konkordats
im 16. Jahrhundert, die fortgefetzte Oppofition, die es in
Frankreich gefunden hat (Aktionen der Parifer Univerfität
1518, 1560, 1579) und die erft unter dem abfohlten Königtum
des 17. Jahrhunderts allmählich verftummt ift, fodann
den Einfluß auf den Geilt der franzöfifchen Kirche, die
verfchiedenen Strömungen, mit denen es fich auseinander-
zufetzen hatte (Gallikanismus), fowie den allgemeinen
Charakter und Wert des Vertrags. Daß die Arbeit bedauerlicherweife
mit dem 16. Jahrhundert abfchließt, erklärt
fich daraus, daß fie aus einer ebenfo begrenzten Preisaufgabe
hervorgegangen ift. Der erhebliche Umfang des
ganzen Werks hätte durch eine konzifere IRffung namentlich
in den Partien, die längft Bekanntes ausführen, und
durch eine ftrenge Befchränkung auf das zur Sache Gehörige
wefentlich verkürzt werden können.

Eine Beurteilung des Buchs hat zunächft dankbar
des vielen Neuen und Guten zu gedenken, das uns hier
geboten wird. Ich rechne dazu beifpielsweife die klare
und erfchöpfende Analyfe des Konkordats, die lücken-
lofe Aufdeckung feiner Beziehungen zu den früheren
Ordnungen, die Schilderung der parlamentarifchen Oppofition
u. a. m. Die urkundlichen Beilagen, die jeder Band
bringt, find zwar keineswegs alle, aber doch zu einem
guten Teil bisher gleichfalls unbekannt gewefen. Dennoch
erweckt das Werk auch Bedenken; fie Rheinen mir hauptfächlich
nach zwei Richtungen zu liegen.

Einmal fällt eine mangelnde Kenntnis der Literatur
auf, infonderheit der deutlichen Literatur. Wo der Verf.
mit feinen Urkunden und Akten arbeitet, ift er felbftändig.
Sonft aber ftützt er fich zumeift auf einige gangbare
franzöfifche Werke, wie die von E. Laviffe herausgegebene
Histoire de France und die Bücher von Imbart de la
Tour, Valois, Madelin. Von Arbeiten in deutfcher Sprache
find nur diejenigen benutzt, die auch in franzöfifcher
Überfetzung erfchienen find, befonders Hefele und Paftor.
Dagegen fehlen ganz die wichtigen Werke von Denifle,
Finke, Haller, Scheffer-Boichorft und vielen anderen; nicht
einmal das Quellenwerk ,Concilium Basiiiense' ift dem
Verf. bekannt. Als einzige Lutherbiographie wird das
alte, ziemlich wertlofe franzöfifche Buch von J.M.V. Audin
benutzt. Und ähnliche Mängel ließen fich leicht noch
mehr anführen; weift doch das, dem 1. Band vorangeftellte
Literaturverzeichnis fogar in den franzöfifchen Werken
zahlreiche Fehler und Ungenauigkeiten auf. So ift es
gekommen, daß das Buch in manchen Teilen nicht unerheblicher
Berichtigungen und Ergänzungen bedarf.

Sodann zweitens fchadet dem Werk die fich überall
aufdrängende Tendenz. Verf. ift nämlich ein begeifterter
Anhänger der Konkordatspolitik im allgemeinen und der
im Jahre 1516 gefundenen Form im befonderen. Dazu
befitzt er eine ftrenge katholifche Rechtgläubigkeit, die
auf katholifch-theologifcher Gelehrfamkeit bafiert und
allzeit darauf bedacht ift, dem Lefer die richtige Wahrheit
aus der traditionell interpretierten Bibel, den Kirchenvätern
und den Synoden bis herab zum Vaticanum zu
demonftrieren. Diefe Fürforge geht fo weit, daß in dem
eben genannten Literaturverzeichnis fogar vermerkt ift,
welche der zitierten Bücher auf dem Index flehen. Die
Darfteilung bringt häufig ganze Seiten voll Ausführungen,
die mit einer hiftorifchen Erkenntnis der zur Debatte
flehenden Ereigniffe nicht das geringfte zu tun haben,
dogmatifche Erörterungen gegen das heutige franzöfifche