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Ausgabe:

1911 Nr. 4

Spalte:

102-103

Autor/Hrsg.:

Wundt, Max

Titel/Untertitel:

Griechische Weltanschauung 1911

Rezensent:

Wendland, Paul

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IOI

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 4.

102

werden die pfychologifchen Gefichtspunkte hervorgekehrt,
'in einem Nachwort zu Kählers Artikel über das Gewiffen
die evolutioniftifche Betrachtungsweife eingeführt. Freilich
beherrfcht B. nicht allein das Feld. Neben ihm hat
S. Schaff bedeutfame Artikel in der Hand, dem noch
J. A. Dorner der Normaltheologe ift und der in einem
Auffatz über Fundamentalartikel das Tifchtuch zwifchen
dem kirchlichen Chriftentum und dem entfchiedenen
Kritizismus ,von Harnack bis Paul Wernle' zerfchneidet
(IV, 413). Neben ihm aber fleht als ein nicht minder gewichtiger
Mitarbeiter B. B. Warneid, für den .Zukunft
wie Vergangenheit des Chriftentums felbft an die Ge-
fchicke des Calvinismus gebunden bleiben' (II, 363).

Das Gebot der Kürze zwingt mich, mit der allgemeinen
Verficherung mich zu begnügen, daß auch in
allen andern Abteilungen rege eigne Arbeit zu bemerken
ift, Als neue felbftändige Artikel, die fich auf die
Gegenwart beziehen, feien erwähnt: Chrifllicher Sozialismus
, Ekklefiologie (eine foziologifche Betrachtung der
Kirchen), ethifche Kultur, Bibelkritik in der römifch-
katholifchen Kirche, Modernismus, Los von Rom-Bewegung
, Schulbibel. Über amerikanifche Verhältniffe
bieten fehr wertvolle Auskunft die Artikel: Archive,
Bibelwerke, Home Missions, die verfchiedenen Lectures,
Kommunismus in A. (mit fehr merkwürdigen Gebilden),
Kirche und Staat, Homiletik, Hymnologie, Kirchliche
Disziplin, Stadtmiffion und Auslandsmiffion u. a. Daß
man über das englifch-amerikanifche Kirchen- undSekten-
wefen, das für uns faft unüberfehbar ift, wertvolle authen-
tifche, bis auf die unmittelbare Gegenwart reichende
Auskunft erhält, bedarf kaum der Erwähnung.

Die erden 7 Bände find im Zeitraum von 2 Jahren
veröffentlicht; mögen die noch ausdehenden gleich fchnell
erfcheinen, und möge das Gefamtwerk in gleicher Weife
wie bisher die Beziehungen unterer deutfchen zur eng-
lifch-amerikanifchen Theologie enger und feder gedalten
helfen. Die deutfche Theologie hat hier nicht nur zu
geben, fondern auch zu lernen. Erwünfcht wäre es, wenn
die Herausgeber die Abfaffung eines Regifters wie in RE.
ins Auge fallen wurden, um fo den gewaltigen Stoff, den
fie uns darbieten, noch bequemer zu erschließen.

Göttingen. Titius.

1) Department Editors find neben den fchon erwähnten (Beckwith
und Nash) H. K. Caroll (kleinere Denominationen), J. Fr. Driscoll (Li-
turgica pp.), J. Fr. Mc. Curdy (A. TV), A. H. Newman (Kirchengefchichte),
Fr. H. Vizetelly (Ausfprache und Typographie).

Thureau-Dangin, Fr.: Lettres et Contrats de l'epoque de
la premiere Dynastie Babylonienne. Paris, P. Geuth-
ner 1910. (VIII, 68 p. av. CXVI pl.) 40 fr. 30 —

Zu den bisher edierten altbabylonifchen Briefen und
Kontrakten der Mufeen zu Berlin, London, Philadelphia
und Kondantinopel bieten die hier größtenteils zum
erdenmal veröffentlichten 242 Täfelchen des Louvre eine
wertvolle Ergänzung. Von den Texten find nur eine
ganz kleine Anzahl (meid aus Tello dämmend) in fume-
rifcher Sprache, alle übrigen im femitifchen Babylonifch
abgefaßt. Von den letzteren wiederum dämmen bei
weitem die meiden aus Sippar, und zwar — wie fo viele
der fchon publizierten Tafeln der anderen Mufeen —
aus dem gagüm genannten Stadtviertel, in dem zur Zeit
der 1. Dynadie von Babylon (etwa 2050—1750 v. Chr.)
die Priederinnen des Sonnengottes Schamasch, wie es
fcheint in einer Art Kloder, lebten. Wir begegnen daher
unter den Perfonen, welche die hier veröffentlichten
Vertrage abgefchloffen haben, häufig alten Bekannten.
Nur wenige Tafeln dämmen aus Babylon (darunter einige
Briefe Hammurabis an Sin-idinnam), etwa 30 aus Dil-
bat, 2 aus Kifch, zwei aus der wahrfcheinlich am oberen
Euphrat gelegenen Stadt Tirqa. Zwei weitere endlich
gehören der bekannten Gruppe von kappadozifchen

Tafeln an, die wahrfcheinlich aus dem heutigen Gül Tepe
(Kara Euyuk) bei Caefarea dämmen, und deren zeitliche
Einordnung bisher noch nicht mit Sicherheit bedimmt
werden konnte1.

Thureau-Dangins meiderhaften Kopien diefer Tafeln
geht ein kurzes Vorwort, ein Verzeichnis der Briefe und
Kontrakte, fowie eine forgfältige Lide der in den Texten
begegnenden Eigennamen voraus. Unter den Perfonen-
namen finden fich wieder eine ganze Anzahl wedfemi-
tifcher (,amoritifcherl) Namen, fo Iabliatum, Iarhabum
Iasi-el, Iaschmach-Dagan, Iaschub-Dagan, Iazzib-Da-
gan, Iazi-Dagan, Iawi-Dagan, — der letztere von be-
fonderem Intereffe, da er endgültig zeigt, daß der Name
Jawi-ilu nicht als Jahwe id Gott' aufgefaßt werden darf2.
Die Lide der Götternamen gibt dem Verfaffer Gelegenheit
zu mehreren wertvolle Exkurfen, — in einzelnen
Fällen wird freilich auch der Widerfpruch hervorgerufen 3.
Alles in allem id die affyriologifche Literatur durch
die vorliegende Publikation um ein gediegenes Werk
bereichert, für das dem um die ältede babylonifche Ge-
fchichte fchon fo verdienten Verfaffer der Dank aller
Fachgenoffen gewiß id.

Als die Abftattung meines Dankes an den Parifer Affyriologen
möchte ich es auch angefeheu wiffen, wenn ich im Folgenden einige
Bemerkungen mitteile, die ich mir bei einer flüchtigen Durchficht feiner
Eigennamenlifte notiert habe. (Meine ,Early Babylonian Perfonal Names'
zitiere ift als ,P. N.') — S. II. Ab-da-täbum Vater des Ibknsa ift offenbar
identifch mit A-ab-ba-tabum V. d. Ibkuäa, P. N. 57! Wie ift der
Name zu lefen? ! — S. 13. Zu Aknanu (Kontrakt aus Tirqa) vgl.
Azaknanum, P. N. 71. — S. 16. Zu Asdugamum vgl. P. N. 209 u!
Anm. 6. — S. 20. Dulakum, Sohn des Zi . . .; nach P. N. 79 ift der
Vatername zu Zizu-näwirat zu ergänzen. — S. 22. Lies A-bi-il-ki-num
(anftatt nu-um). Nach dem deutlichen Hajamkidum ift P. N. 85 Hajam-
diduin vielleicht zu verbeffern; doch fleht öfters ki für di, vgl."s. 12,
Anm. 3. — S. 23. Zu Iasi-Adad und Iasi-el gehört auch der P. N. 114
vergeffene Name IasU. . . ti, vgl. P. N. 105, unter Ilusu-bäni. Mit iasi-
ift iazi- offenbar identifch. — S. 24. Zu Iazi-erah vgl. Iama(?)-erah P. N. 113,
wofür vielmehr Iasi-erah zu lefen ift. — S. 26. Zu Idin-Irra, Sohn d.
Tabi-gi . . . vgl. P. N. 97. — S. 29. Ilusu-abusu V. d. lllma-ahi; danach
ift P. N. 105 llusu-ali V. d. Ilima-ahi zu verbeffern, und -äli als Namenelement
S. 221 zu ftreichen. — S. 30. Zu Inilbaäti vgl. Inilsak(q)T, P. N.
109. — S. 31. Ishi-anum; vgl. Ishatija, P. N. 110. — S. 34. Manuüm-
klma-Enki; anftatt Euki fcheint vielmehr Sin oder Ellil dazuftehn Lies
übrigens 231 : 19 anftatt 31: 19. — S. 55. Isidare ift Perfonenname, nicht
Ortsname, vgl. P. N. 111; die Orte heißen alfo Al(um ?)-Isidari3 bezw
Kaprum-Isidare, vgl. Al(um?)- Sin-iqisam, Maskan-Ammiditana.

Heidelberg. Hermann Ranke.

') Nach einer Mitteilung Thureau-Dangins (Seite VIII, Anm. 2)
wären fie durch das Siegel einer noch unveröffentlichten (wo befindlichen
? I) Tafel derfelben Gruppe, auf dem Jbi-Sin, der letzte König der
Ur-Dynaftie (um 2300 v. Chr.), erwähnt wird, nun endgültig datiert. Eine
Veröffentlichung diefer Tafel wäre von großem Intereffe.

2) Der erfte Beftandteil enthält wahrfcheinlich, wie bei den meiften
diefer weftfemitifchcn Namen, eine Imperfektform; genaueres läßt fich
zurzeit nicht fagen.

3) Ob (dingir) IM in den Perfonennamen überall Adad gelefen werden
darf (S. 59), fcheint mir zum mindeften zweifelhaft. Denn daß die
Kofenamen Adaja, Adajatum, Ad(d)atum und der Name Addi-liblut mit
den mit (dingir) IM zufammengefetzten Namen etwas zu tun haben, läßt
lieh durch nichts beweifen. Auffallender ift, daß (dingir) IM als einziger
gut babylonifcher Gott in Verbindnng mit weftfemitifchen Elementen
vorkommt (Iakun-IM, Iarib-IM, Iasi-IM, Iasu-IM); hier will die Lefung
Rammän auch mir nicht gefallen. Sollte die Frage fo zu löfen fein, daß
(dingir) IM in echtbabylonifchen Namen Rammän, in weftfemitifchen
dagegen Adad (oder vielleicht anders?) zu lefen ift? — Daß Zililum,
Sillium (S. 66 Anm. 2) Varianten von Sin-ilum fein follen, ift nicht
recht wahrfcheinlich.

Wundt, Priv.-Doz. Max: Griechifche Weltanfchauung. (Aus
Natur u. Geifteswelt. 329.) Leipzig, B. G. Teubner 1910.
(IV, 132 S.) 8° M. 1—; geb. M. 1.25

Der Verf. will nicht einen neuen Abriß griechifcher
Philofophie, fondern mehrere Längsfchnitte geben, in
denen die typifchen Richtungen des griechifchen Denkens
hervortreten. Darin, daß die Griechen die fpäter nur
in Einzelzügen abgewandelten typifchen Formen der
Weltanfchauung überhaupt gefunden haben, findet er
mit Recht ihre Bedeutung für alles philofophifche Den-