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Ausgabe:

1911 Nr. 21

Spalte:

660-661

Autor/Hrsg.:

Külpe, Oswald

Titel/Untertitel:

Einleitung in die Philosophie. 5. verb. Aufl 1911

Rezensent:

Goedeckemeyer, Albert

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 21.

660

dort wahrzunehmen find, dem Lager der böfen Liberalen I
entflammen, — die Entfcheidung darüber mag dem Gewinen
der Septemviri überlaffen bleiben. Nur eine Schlußbemerkung
kann ich nicht unterdrücken. Die Anklage
auf Wortumdeutungen und Falfchmünzerei wird auch
hier wiederholt. Diefer fchweren Befchuldigung gegenüber
darf man wohl die Frage aufwerfen: ift denn der
in den konfervativen Kreifen beliebte und geführte Sprachgebrauch
der genuin evangelifche und chriftliche? Sind
nicht die Ausdrücke Sohn Gottes, Erlöfung, Trinität,
Glaube, Auferftehung, Himmelfahrt (die Aufzählung
ift bei weitem nicht vollftändig) gerade in der dogmati- j
fchen Schultradition in einer Weife verkehrt worden, welche
die Rücküberfetzung aus der metaphyfifchen oder juridi- 1
fchen Terminologie in die ethifch-religiöfe als Hauptpflicht
der wiffenfchaftlichen und der praktifchen Theologie er- !
icheinen läßt? Wahrlich, es gehört ein nicht geringes j
Maß von Mut, vielleicht auch etwas Unwiffenheit dazu,
um die Urfprünglichkeit und Echtheit der hergebrachten
Schulausdrücke zu vertreten und fie gegen jede angeblich
heterodoxe Interpretation wie ein unantaftbares Heiligtum
zu fchützen. — Doch genug. Legen wir diefer Schrift
nicht eine größere Bedeutung bei als diejenige, die fie
felber in Anfpruch nimmt. ,Wir bilden uns nicht ein,
etwas Hervorragendes gefchrieben zu haben': dieferVer-
ficherung des Vorwortes wird jeder Lefer unbedingt beipflichten
.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Logos. Internationale Zeitfchrift f. Philofophie der Kultur
I. Bd., 3. Heft. gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1910. j

pro Bd. M. 9 —

Das dritte Heft des Logos enthält wieder eine Reihe
intereffanter Auflatze.

In einem erften handelt Edmund Hufferl von der J
,Philofophie als ftrengen Wiffenfchaft'. Er wendet fich
darin zunächft gegen die naturaliftifche Philofophie im
allgemeinen, insbesondere proteftiert er gegen den von
der experimentellen Pfychologie erhobenen Anfpruch,
,die Pfychologie, die pfychologifche Wiffenfchaft in vollem
Sinne zu fein', und lenkt im Gegenfatz dazu die Aufmerk-
famkeit auf die von ihm auch fonft befürwortete Wiffenfchaft
, die er als .Phänomenologie des Bewußtfeins' bezeichnet
. Aber auch der modernen, nach feiner Meinung
durch den Hiftorizismus begünftigten, praktifch begründeten
Weltanfchauungsphilofophie fetzt er ernfte Bedenken
entgegen. Sie ift allerdings augenblicklich unentbehrlich,
ein nicht zu miffendes Hilfsmittel angefichts der.radikalften
Lebensnot, an der wir leiden, einer Not, die an keinem
Punkte unferes Lebens halt macht'. Alles Leben ift ja
,Stellungnehmen, alles Stellungnehmen fleht unter einem
Sollen, einer Rechtfprechung über Gültigkeit oder Ungültigkeit
, nach prätendierten Normen von abfoluter
Geltung. Solange diefe Normen unangefochten, durch
keine Skepfis bedroht und verfpottet waren, gab es nur
eine Lebensfrage, wie ihnen praktifch am bellen zu genügen
fei. Wie aber jetzt, wo alle und jede Normen
beftritten oder empirifch verfälfcht und ihrer idealen

Geltung beraubt werden?..... Es ift ficher, daß wir

nicht warten können. Wir müffen Stellung nehmen, wir
müffen uns mühen, die Disharmonien in unferer Stellungnahme
zur Wirklichkeit — zur Lebenswirklichkeit, die
für uns Bedeutung hat, in der wir Bedeutung haben
follen — auszugleichen in einer vernünftigen, wenn auch
unwiffenfchaftlichen ,Welt- und Lebensfchauung'. Und
wenn uns der Weltanfchauungsphilofoph darin hilfreich
ift, follten wir es ihm nicht danken?' Darüber ift indeffen
nicht zu vergeffen, daß es fich doch nur um einen Notbehelf
handelt, und daß die Philofophie ihrer Aufgabe
nur dann ganz gerecht zu werden vermag, wenn fie das
Streben nicht fallen läßt, ftrenge fheoretifche Wiffenfchaft
zu fein. Ift fie gleich heute noch fo weit entfernt von '

diefem Ideal, fie darf darauf nicht verzichten. Ein wichtiger
Schritt aber auf dem Wege zur Verwirklichung des-
felben wäre eben die Erarbeitung und Aufftellung einer
.Phänomenologie des Bewußtfeins'.

In einem andern Auffatz befchäftigt fich Hans Cornelius
mit der .Erkenntnis der Dinge an fich'. Er behauptet
, daß fie möglich fei, führt fie jedoch zurück auf
die Erkenntnis des .gefetzmäßigen Zufammenhangs' unferer
Wahrnehmungen. Offen bleibt die große Frage, worauf
die Geltung diefer Erkenntnis beruhe.

Die übrigen Artikel des Heftes Hammen von P. v.
Struve (Über einige grundlegende Motive im national-
ökonomifchen Denken), von Leopold Ziegler (Die Tyrannis
des Gefamtkunftwerks), von Graf Keyferling (Zur Pfychologie
der Syfteme).

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

KUIpe, Osw.: Einleitung in die Philofophie. 5. verb. Aufl.
(IX, 362 S.) gr. 8°. Leipzig, S. Hirzel 1910.

M. 5 —; geb. M. 6 -

Die Aufgabe einer Einleitung fleht K. nicht in der
Hinführung zu einem beftimmten Standpunkte, fondern
darin, durch eine gleichmäßige Berückfichtigung des Standpunktes
der Gegenwart und feiner hiftorifchen Voraus-
fetzungen in den Betrieb der fyftematifchen Philofophie
unferer Tage einzuführen. Doch will er dabei wenigftens
Andeutungen über die eigene Auffaffung nicht ausfchließen
(S. 4f).

Diefer Aufgabe kommt er in folgender Weife nach.
Im 1. Kapitel äußert er fich über die hiftorifchen Definitionen
und Einteilungen der Philofophie vom Altertum
bis zur Neuzeit. Auf Grund einer Einteilung der philof.
Disziplinen in allgemeine und fpezielle wendet fich das 2.
Kapitel zunächft den allgemeinen Disziplinen, dem A
und O aller Wiffenfchaft (vgl. S. 348) zu, d. h. der Logik
und Erkenntnistheorie umfaffenden Wiffenfchaftslehre und
der Metaphyfik. Sodann bringt es einen Überblick über
die fpeziellen philof. Disziplinen, die Naturphilofophie,
Pfychologie, Ethik, Rechtsphilofophie, Afthetik, Religions-
philofophie, Philofophie der Gefchichte, während die Philofophie
der Mathematik und die Sprachphilofophie mit
begründeter Ablicht beifeite gelaffen werden. In diefem
Kap. geht K. fall durchweg fo vor, daß er zugleich unter
Berückfichtigung des Verhältniffes der jeweils behandelten
Disziplin zur allgemeinen Philofophie zunächft eine Begriffs-
beftimmung gibt, darauf eine hiftor. Überficht folgen läßt
und mit einer kritifchen Betrachtung abfchließt, in der
auch feine eigene Stellungnahme zum Ausdruck kommt.

Das 3. Kapitel wendet fich den philof. Richtungen
unter Einfchränkung auf Erkenntnistheorie, Metaphyfik und
Ethik zu. In der Erkenntnistheorie werden die verfchie-
denen Richtungen hinfichtlich des Urfprungs und der
Geltung der Erkenntnis fowie hinfichtlich des Realitätsproblems
behandelt. In der Metaphyfik wird eine Überficht
gegeben über die Richtungen, die hinfichtlich der
quantitativen Beftimmung der zur Welterklärung verwandten
Prinzipien aufgetreten find, fodann über die, welche
fich geltend gemacht haben hinfichtlich der Qualität der
Prinzipien (Materialismus u. a.), hinfichtlich des realen
Gefchehens (Mechanismus und Teleologie), des Wertes
der Welt, der Willensfreiheit, der theologifchen Betrachtung
der Welt (Theismus ufw.), und endlich der Auffaffung
der Seele. In der Ethik wird in derfelben Weife
das Problem des Urfprungs des Sittlichen, feines Wefens,
feiner Begründung, feines Objekts und feines Zieles erörtert
. Das allgemeine Verfahren entfpricht dem des 2.
Kapitels.

Endlich bringt das 4. Kapitel in Ergänzung des I.
Külpes durch die vorhergehenden Ausführungen vorbereitete
eigene Auffaffung von der Aufgabe und dem
Syftem der Philofophie. Jene charakterifiert er durch drei
Momente: die Philofophie hat als Metaphyfik eine wiffen-