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Ausgabe:

1911 Nr. 1

Spalte:

5-8

Autor/Hrsg.:

Soden, Hermann Freiherr von

Titel/Untertitel:

Die Schriften des Neuen Testaments in ihrer ältesten erreichbaren Textgestalt hergestellt auf Grund ihrer Textgeschichte. Band I, 3. Abteilung. B 1911

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 1.

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neuerdings von anderer Seite empfohlene Lesart ^ptßV]
rTtna TOVO cf. Gefenius-Buhl, hebr. Handwörterb. 15'.
AufV. 1910 f. *V3 I), die M. nicht zu kennen fcheint, verdient
gewiß vor dem faden ,fchließet euch an ihn an'
den Vorzug. Graphifch nicht ungefchickt ift 8,2 HS'iK
ttjj-p für n:n "lt?X des MT. rp 22,17 foll iSISfipn in iiB Wfi
zu verbeffern fein: ,fie zerfchlugen mein Angefleht,' wie
ein Löwe meine Hände und Füße' —, jedenfalls ein recht
feltfamer Löwe! iSIS^pri ift durch das parallele wniD
gegen Angriffe gefchützt. xp 45, 5 pni" HlSSn mit Müller in
piip TtiTi ,und zeuge für Gerechtigkeit' zu ändern, iß nicht
erlaubt. Denn die von M. angeführten Stellen Gen. 30, 33
1 Sam. 12,3—5 beweifen, daß a ffilP nur mit perfön-
lichem Objekt verbunden wird. xp'go,^ wird der MT.
nsti "Pttni umgelefen in Pb© DP© % was heißen foll
,d'ie, welche tot find feit Jahren". Die Fortfetzung lautet
dann: ,glichen am Morgen dem Gräfe, das dahinfehwindet'
— aber warum gleichen nur die, die etliche Jahre tot
find, — nicht jedoch die fchon länger Toten oder eben
Verftorbenen — dem fchnell vergehenden Gräfe?

Die auf gut Glück herausgegriffenen Stellen erwecken
kein günßiges Urteil über das textkritifche Können des
Verfaffers. Es kann aber fein, daß an einer anderen Stelle
feiner Schrift etwas Brauchbares zu finden iß. Zweierlei
will ich aber gern hervorheben. Der Verfaffer kennt viele
Wunden in dem Text unferer Pfalmen und müht fich
fehr um die Heilung. Er kann Hebräifch, doch iß damit
nicht fofort die Kunß des Textkritikers gegeben. Es
tut mir herzlich leid, nicht mehr zum Lobe einer Arbeit
fagen zu können, die mit viel Liebe, Fleiß, Geduld und
Entfagung gefchrieben iß. Aber gibt es für einen prote-
flantifchen Pfarrer, der diefe Tugenden befitzt und Beiträge
zur Förderung chrißlicher Theologie' liefern will,
keine lohnenderen und weniger fchwierigen Probleme im
Alten Teßament als textkritifche Pfalmen-Studien?

Heidelberg. Georg Beer.

Soden, D. Hermann Freiherr von: Die Schriften des Neuen

TettamentS in ihrer älteflen erreichbaren Textgeßalt
hergeßellt auf Grund ihrer Textgefchichte. I. Teil.
Unterfuchungen. III. Abteilung. B. Der Apoßolos
mit Apokalypfe. Berlin, A. Glaue 1910. (S. 1649
—2203.) gr. Lex. 8° Für vollßändig M. 60 —

v. Soden vollendet in dem vorliegenden Bande den
erßen unterfuchenden Teil feines großen und grundlegenden
Werkes. Die allgemeinen textkritifchen Grund-
fätze und Grundlinien, die fich v. Soden im Lauf feiner
Unterfuchungen herausgeßellt haben', dürften in den
Grundzügen bekannt fein. Er unterfcheidet drei große
Textrezenfionen: die die Kirchenprovinz Ägypten beherrschende
Ausgabe des Hefych (H), den paläßinenfifch-
jerufalemifchen Text (I) und endlich den fyrifchen
Text des Lucian (von ihm im Anfang feiner Unterfuchungen
mit K = Koivr] bezeichnet).' Die drei Re-
zenfionen H I K führen nach ihm auf eine gemeinfame
Grundlage zurück, die er am liebßen in Nachfolge von
Weßcott und Hort mit ,neutral Text' bezeichnen möchte,
weil diefe Uberlieferung auch ihm ganz nahe an den ur-
fprünglichen Text des N. T. heranzureichen fcheint. Ori-
genes und Hieronymus mit feiner Vulgata-Überfetzung
repräfentieren im wefentlichen den vor den Rezenfionen
liegenden Neutraltext HIK. Daneben bieten die lateini-
fchen Texte, die griechifch-lateinifchen wie Kodex D
und die alte fyrifche Überfetzung einen befonderen Text,
der nach v. Soden im Grunde fich als ein wertlofer und
für die Textrekonßruktio n nicht in Betracht kommender
herausßellt, und den er geneigt iß auf Beeinflußung des
neuteßamentlichen Evangelientextes durch die Evangelien-
Harmonie Tatians zurückzuführen.

Diefe Grundfätze, die er an den Evangelien gewonnen
hat, führt v. Soden nun auch auf dem übrigen Gebiet des

N. T. im vorliegenden Bande, natürlich mit den nötigen
Abänderungen und Variationen, durch. So findet er zu-
nächß in der Apg. diefelben drei Textrezenfionen, die
H Zeugen, Bs ACIP und die Minuskel 61, finden wir um
einige Minuskeln vermehrt, nach der alten Zählung die
Nummern 389, 25, 89. An der Spitze der I-Zeugen ßehen
auch hier D u. E. Außerdem hat v. Soden drei Brüderpaare
von Minuskeln gefunden (vgl. S. 1686), die diefen
Text neben den Majuskeln am reinßen repräfentieren,
und daneben kommt der Andreas-Kommentar als zu
diefer Textgruppe gehörig in Betracht. Hauptzeugen
des Andreas-Kommentars find nach alter Zählung die
Minuskeln 15, 36, 81, 130 (An. », 2°, « *° S. 1727), die
uns fchon bisher wegen ihres eigentümlichen Textes als
eine Gruppe für fich bekannt waren. Als Seitenzweige
des I-Typus konßruiert v. Soden die bei diefem allgemeinen
Überblick nicht fo fehr in Betracht kommenden
Typen IbI Ib2 u. Ic. Bei dem K-Text unterfcheidet er
von den Formen, die fich ihm auch in den Evangelien
herausgeßellt haben, wenigßens den einen Kr-Text, daneben
einen anderen Typus, welcher der Editio complu-
tentis als Vorlage gedient hat, Kc Hieronymus mit feiner
Vulgata vertritt auch hier wieder den Neutraltext HIK.
Eine befonders umfangreiche Betrachtung widmet natürlich
v. S. dem eigentümlichen Text, als deffen Hauptzeugen
D, die altlateinifche Überfetzung, altlateinifche
Kirchenväter und die Randbemerkungen des Philoxeni-
anifchen Syrers zu betrachten find. Er gibt eine ausführliche
Zufammenßellung und Befprechung ihrer Ab-
fonderlichkeiten, namentlich ihrer Additionen, und fpricht
S. 1835 die bisher finguläre Vermutung aus, daß auch
hinter diefem Text und feinen ßarken Abweichungen Tatian
als Urheber ßecken könne.

Er beruft fich auf die bekannte Stelle bei Eufebius, daß Tatian
rov änooTÖXov tiv&q fxezaxpQÜoai xpeavag und auf den Umftand, daß
in der fyrifchen Überfetzung des Eufebius von den Apofteln in der
Mehrzahl die Rede fei, und findet hier alfo an Stelle der gewöhnlichen
Meinung, nach der Tatian die Paulusbriefe korrigiert haben foll, eine
Korrektur der Apg. angedeutet. Eine Hypothefe, die etwas reichlich in
die Luft hinein gebaut zu fein fcheint und in der v. S. kaum Nachfolger
finden dürfte. Ich ftimme aber darin mit ihm überein, daß der fragliche
Text als ein durchaus fekundärer und aus abfichtlicher Korrektur flammender
anzufprechen ift.

Aus dem Abfchnitt über die katholifchen Briefe bemerke
ich nur das eine, daß v. S. auch hier neben dem
HIK Text eine fekundäre, bis ins zweite Jahrhundert
zurückgehende Ausgabe der Briefe annimmt, deren
Spuren dann wieder wefentlich in denfelben Zeugen,
namentlich in den lateinifchen Texten vorliegen. Er
vermutet weiter, daß diefem Text gegenüber fich namentlich
Origenes um die Herflellung des in HIK vorliegenden
Originaltextes bemüht habe (S. 1897).

In analoger Weife wird endlich die Brieffammlung
des Paulus behandelt. Zum H-Text rechnet hier v. S.
auch den Kodex H (a3), um den ich mich feinerzeit
fehr bemüht habe, und der als wahrfcheinlich älteßer
Vertreter der Euthalius-Gruppe befonderes Intereffe
verdient. Doch hebt auch v. S. hervor, daß Kodex H
den H-Text fchon fehr abgefchwächt vertrete. Bei den
H-Texten fcheidet er wieder die Gruppen Iabc, die
Hauptzeugen für Ia finden wir S. 1936 zufammengeßellt.
Eine befondere Befprechung widmet v. S. den zwei-
fprachigen Handfchriften DEFG; er fucht ihren gemein-
famen Archetypus herzuflellen und nachzuweifen, daß
der griechifche Text hier in ganz wefentlichem Maße
von dem lateinifchen beeinflußt fei. Dann behandelt er
für fich als Nebenzweig die HIK-Überlieferung, die
altlateinifchen Überfetzungen. vor allem auch Tertullian.
Die Hauptthefe, die v. S. hier aufßellt, iß nun die, daß
der altlateinifche Text in feinen wefentlichen Eigentümlichkeiten
von dem Text Marcions bedingt fei, daher
wie diefer durchaus nur fekundären Wert für die Überlieferung
des N. T. befitze. Auch eine Reihe von Einwirkungen
auf Tertullian und Origenes von Seiten des

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