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Ausgabe: | 1911 Nr. 9 |
Spalte: | 269-270 |
Autor/Hrsg.: | Schade, Ludwig |
Titel/Untertitel: | Die Inspirationslehre des heiligen Hieronymus 1911 |
Rezensent: | Grützmacher, Georg |
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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 9.
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gäbe Budge überantwortet haben, obwohl Prof. Griffith,
der fich mit nubifchen Studien befchäftigt, dazu die einzig
geeignete Perfönlichkeit gewefen wäre. In diefem Falle
wäre keine Rede davon gewefen, daß die Sprache des
Mf. einen bisher unbekannten Dialekt darbiete, obwohl
Schäfer bereits an der Hand der Berliner Texte nach-
gewiefen hatte, daß die altnubifche Sprache zu dem
heutigen fogenannten Mahaß-Dialekt, der zwifchen dem
2. und 3. Katarakt gefprochen wird, in fehr enger Beziehung
fteht; vgl. Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akademie
d. Will, phil.-hift. KL 1906, S. 774 ff. Auch über den Inhalt
wären wir fofort orientiert worden. Wir find daher
Griffith zu befonderem Danke verpflichtet, daß er in einer
kleinen Studie unter dem Titel: Some old Nubian Chri-
ftian texts in dem Journal of theological Studies Vol. X,
Nr. 40, S. 545 ff, die vorläufigen Refultate feiner For-
fchungen der gelehrten Welt vorgelegt hat. Ihm ift es
gelungen, das Dunkel des erften Textes dahin zu lüften,
daß es fleh um die Erzählung eines Wunders von feiten
des heiligen Menas an einer unfruchtbaren Frau in
Alexandrien durch Genuß eines Vogeleies handelt, eine
Erzählung, die unter den bisher bekannten Wundererzählungen
diefes Heiligen nicht vorkommt. Viel
fchwieriger geftaltet fleh die Entzifferung des zweiten
Textes, zumal da fleh keine Parallelüberlieferung bis jetzt
o-efunden hat; infolgedeffen hat fleh Griffith auf die
mus fleh mit einer Deutlichkeit, wie es früher kaum ge-
fchah, müht, demHagiographen feinen felbftändigen Anteil
am Zuftandekommen der heiligen Schrift zu fichern.
Von einer durchgehenden Anfchauung kann aber n. m.
M. auch in diefem Punkt nicht gefprochen werden, da
fleh auch Äußerungen des Hieronymus finden, die ganz
im Sinne eines fchroff fupranaturaliftifchen Infpirations-
begriffs, wie etwa des der Montaniften lauten. Schade be-
fpricht dann die aus dem Wefen der Infpiration folgenden
Eigenfchaften der heiligen Schrift, die Erhabenheit,
Irrtumslofigkeit, Einheit und Dunkelheit. Was dielrrtums-
lofigkeit betrifft, fo ftimme ich Schade gegenüber Sanders
zu, daß Hieronymus tatfächliche Irrtümer in der Bibel
nicht annimmt. Aber die Art, wie er fleh über Widersprüche
hinweghilft, kann ich doch nur aus feiner oberflächlichen
Art zu arbeiten mir erklären. Auch Schade
findet diefe Art S. 69 .etwas fonderbar' und gibt zu, daß
Hieronymus ein leidenfehaftlicher Stimmungsmenfch war,
der bald eine Anficht, die er früher mit Zähigkeit verteidigt
hatte, unter anderen Umftänden preisgab. Hat
er doch z. B. in den Commentarioli zu den Pfalmen den
erften Pfalm auf den Meffias bezogen und in feiner
Predigt über diefen Pfalm die Exegeten, die dasfelbe tun,
der Unwiffenheit befchuldigt. Dies ift eins von hundert
Beifpielen. Das Zurücktreten der allegorifchen Schriftauslegung
und die Betonung des Literalfinnes in feinen
Wiedergabe mehr oder weniger verftändlicher Sätze be- fpäteren Arbeiten, worauf ich hingewiefen hatte, erklärt
fchränkt. Man erkennt deutlich, daß es fich um kirch
liehe Satzungen handelt, die aber mit den Kanones von
Nicaea nichts zu tun haben. Hoffentlich wird die in
Gemeinfchaft mit Prof. Schäfer in Ausficht geftellte Ge-
famtpublikation der Berliner und Londoner Texte weitere
Aufklärung geben. — Und wenden wir uns zurück zu
der Ausgabe von Budge, fo hat fie wenigftens das Ver-
dienft, die Literatur über den heiligen Menas bereichert
zu haben, denn Budge publiziert aus 3 äthiopifchen Hand-
fchriften des British Museum zwei intereffante Martyrien
und eine Antiphone über den Heiligen und gibt von den
beiden erften Stücken eine Überfetzung. In einer eingehenden
Besprechung des Buches von Budge (Byzant.
Zeitfchr. Bd. XIX, S. 153 fr.) hat Wilhelm Weyh im An-
fchluß an die tiefgründigen Unterfuchungen Krumbachers
(Miscellen zu Romanos. Abhandl. d. K. Bayr. Akad. d.
Wiff. L Kl. XXIV. Bd. III. Abt. München 1907) wertvolle
Nachweife über das Verhältnis der äthiopifchen zur grie-
chifchen Uberlieferung vorgelegt.
Berlin. Carl Schmidt.
Schade, Rel.-Lehr. D. Ludwig: Die Intpirationslehre des
heiligen Hieronymus. Eine biblifch-gefchichtliche Studie.
(Biblifche Studien, herausgegeben von O. Bardenhewer.
XV. Band, 4. und 5. Heft.) Freiburg i. B., Herder 1910.
(XV, 223 S.) gr. 8» M. 6 —
Die Profeffor Hoberg gewidmete Studie ift nach
dem Vorwort eine der Freiburger Fakultät eingereichte
Doktordiffertation des Verfaffers. Sie zeugt nicht nur
von Fleiß und Gründlichkeit, fondern auch von trefflicher
wiffenfehaftlicher Schulung und ficherem hiftorifchenUrteil.
Ich bin allerdings der Meinung, daß man im ftrengen
Sinn von einer Infpirationslehre des Hieronymus überhaupt
nicht fprechen darf. Die vom Verfaffer mit peinlicher
Sorgfalt gefammelten, den verfchiedenen Entwick-
lungsftadien des Hieronymus entflammenden Äußerungen
über die Infpiration laffen fich nur fchwer oder überhaupt
nicht in das Schema einer fyftematifchen Darfteilung,
wie fie Schade verfucht hat, preffen. Zunächft handelt
Schade von der Tatfache der Infpiration, die Hieronymus
wie alle Kirchenväter anerkennt. Wie aber hat er fich
das Wefen der Infpiration näher gedacht? Die göttliche
Tätigkeit fteht auch für Hieronymus dabei im Vordergrunde
, aber Schade bemerkt mit Recht, daß Hierony-
Schade nicht aus antiochenifchen Einflüffen, fondern aus
der Befchäftigung mit dem Schrifttexte und feinen Über-
fetzungsarbeiten, die, wenn auch keine methodifche, fo
doch eine für jene Zeit fchätzenswerte philologifche
Schulung zeitigten. Ich glaube, daß Schade hier recht
behalten wird. Mit der Akzentuierung des menfehlichen
Faktors bei der Entftehung der heiligen Schrift hängt
es zufammen, daß Schade in dem Abfchnitt über die
Ausdehnung der Infpiration Hieronymus im Gegenfatz
zu Sanders und in Übereinstimmung mit der von mir
vorgetragenen Anficht zu einem Vertreter der Realinspiration
und nicht der Verbalinfpiration macht. Sehr
wertvoll find endlich die Unterfuchungen über den
Schriftkanon des Hieronymus. Hier laffen fich geficherte
Refultate gewinnen, und Schade hat, wie mir fcheint,
in diefem Punkt die Forfchungen abgefchloffen. Hieronymus
hat, als er fich von Origenes abwandte, die anfängliche
Hochfehätzung der LXX aufgegeben und ift
für die Infpiration des Urtextes eingetreten. Auf diefem
Prinzip ruht feine Überfetzung des Alten Teftaments aus
dem Hebräifchen. Er ift ferner mit einer bei ihm fonft
ungewohnten Entfchiedenheit für den altteftamentlichen
Bibelkanon der paläftinenfifchen Juden eingetreten und
hat den alexandrinifchen Kanon, die fogenannten deutero-
kanonifchen Bücher, verworfen. Daß Hieronymus aber
an dem angeblich dem Damafus zugefchriebenen Bibelkanon
, dem fogenannten Decretum Gelafianum beteiligt ift,
und diefer Kanon auf der römifchen Synode vom Jahre
382 aufgeftellt worden ift, halte ich wie Schade für fo
unwahrfcheinlich, daß ich die völlig in der Luft flehende
Hypothefe von Thiel in meinem Buch gar nicht erwähnt
habe. — Wir hoffen, dem gelehrten Verfaffer, der uns in dem
vorliegenden Buch einen wertvollen Beitrag zur Gefchichte
der Infpirationslehre geliefert hat, noch öfter auf dem
Gebiet der alten Kirchengefchichte zu begegnen.
Heidelberg. G. Grützmacher.
Hirzel, Dr. Oskar: Abt Heriger von Lobbes 990—1007.
(Beiträge zur Kulturgefchichte des Mittelalters und
der Renaiffance. Herausgegeben von W.Goetz. Heft 8.)
Leipzig, B. G. Teubner 1910. (VI, 44 S.) gr. 8° M. 1.80
Hirzel erzählt in feinem erften Teile die Gefchichte
des Klofters Lobbes bis zu der Zeit, wo Heriger Abt
wurde, die Gründung (anno 654, für die ich eine genauere