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Ausgabe:

1910

Spalte:

100-102

Autor/Hrsg.:

Hautsch, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Evangelienzitate des Origenes 1910

Rezensent:

Soden, Hans

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 4.

wie wir uns diefe vorzustellen haben, andererfeits wie
aus der Synagoge das Evangelium und die Kirche hervorgegangen
ift.

Der Ürfprung der Synagoge liegt nach Fr. nicht
in PaläfHna, Sondern in der DiaSpora und zwar in der
helleniStifchen DiaSpora. Hier können wir zuerSt die
Existenz von Lehrhäufern nachweiten, in welchen die
jüdiSche ,Philofophie' vorgetragen wurde (denn in ertter
Linie Sind die Synagogen nicht BethäuSer, Sondern Lehr-
häuSer S. 64 ST.). ErSt aus der DiaSpora wurde die Einrichtung
dann auch in Palästina übernommen, wo wir
Sie erSt in nachmakkabäiScher Zeit nachweiSen können
(die moäde el PS. 74, 8 find nach Fr. S. 54 nicht Synagogen
, fondern Feftverfammlungen, die in den Räumlichkeiten
des Tempels abgehalten wurden). Das Judentum,
das in den helleniStifchen Synagogen gepredigt wurde,
war aber, wie wir in Friedländers früheren Schriften nun
Schon mehr als zur Genüge gehört haben, vielfach ein
Sehr freies, von griechischem Geifte beeinflußtes, mehr
oder weniger gnoftifierendes, jedenfalls von den Schranken
des Gefetzes fleh emanzipierendes. — Den Nachweis für
die Existenz von Diafpora-Synagogen in vormakkabäi-
Scher Zeit entnimmt Fr. S. 56 in erfter Linie aus dem
Bericht des Jofephus über die Errichtung des Onias-
Tempels, Antt. XIII, 3, Ii Wenn es nämlich von Onias
heißt, er habe in Ägypten viele Juden gefunden, welche
widergesetzliche Heiligtümer hatten (jtXeiöTovq tvgcbv
jtuQa to xa&yxov l^ovraq isga), fo find nach Fr. unter
den lEQa Synagogen zu verstehen. Das ift Sicher falfch;
die IsQct find nicht LehrhäuSer, fondern Opferftätten.
Aber es gibt allerdings einen Beweis für das hohe
Alter der Synagogen in Ägypten, welcher merkwürdigerweise
Friedländer entgangen ift, nämlich die feit 1902
bekannte Infchrift von Schedia bei Alexandria aus der
Zeit des Ptolemäus III Euergetes (247—221 vor Chr.j:
YjtEQ ßaOtXecog IJroXeiiatov . . . zyv Jrgoöevxyv 01 'lov-
öaiot (f. meine Gefchichte des jüd. Volkes 4. Aufl. II,
500. III, 41).

Aus der gefetzesfreien Richtung der helleniStifchen
DiaSpora ift nach Fr. das Christentum hervorgegangen.
Die Anknüpfungspunkte liegen im Oftjordanland, bei der
vorchristlichen Sekte der ,Nazaräer', die wir aus Epi-
phanius kennen. Hier wurde Schon vor Jefus ein ,Chri-
Stuskultus' getrieben (S. 79 ff). ,Freilich war dies ein
ganz eigenartiger Chriftus, der mit dem von den Propheten
verkündeten Meffias nichts als den Namen gemein
hatte: kein Meffias, der das Volk aus allen Enden
und Ecken der Welt nach Zion zurückführen und ihm
die Weltherrfchaft zu Füßen legen; auch kein Meffias,
der für die Erlöfung des fündigen Menfchen leiden,
Schmach erdulden und fleh opfern Sollte; fondern ein
Meffias, der berufen war, die Knechtfchafc des Gefetzes
zu brechen, den Weltfchöpfer zu entthronen und den
höchsten bislang unbekannten Gott zu offenbaren' (S. 78).
Die Exiftenz diefer nazaräifchen Sekte im Oftjordanlande
Schon vor der Zeit Jefu unterliegt nach Fr. S. 100 ,keinem
Zweifel'. ,Aus den Kreifen der Nazaräer nun kam Jefus.
Unter ihnen hielt er Sich zumeift auf, und aus dem Oftjordanlande
, wo Sie eigentlich zu Haufe waren, Strömte
ihm auch das meifte Volk zu' (S. 145). Aber Jefus hat
fleh nun doch keineswegs die radikale Stellung der
Nazaräer gegenüber dem Gefetz angeeignet. Er ,ging
von den Nazaräern aus; aber er war nicht von ihnen'
(S. 149 f.). ,Schon bei feinem erften Auftreten verwahrt
er fleh mit aller Schärfe gegen die Zumutung, ein Verkündiger
nazaräifcher Gefetzesverwerfung zu fein. Ihr
Sollt nicht wähnen, warnt er einmal, daß ich gekommen
bin, das Gefetz oder die Propheten aufzulöfen; ich bin
nicht gekommen, aufzulöfen, fondern zu erfüllen' . . .
,Diefe ungewöhnlich fcharfe Betonung der Unar.taftbar-
keit des Gefetzes, allerdings des Gefetzes, wie er es
auffaßte, ift nur dann verftändlich, wenn fie als Zurück-
weifung nazaräifcher Negierung des Gefetzes erkannt

I wird' (S. 150). — Ich kann nur finden, daß Fr. damit
; den Aft, auf welchen er fleh felbft gefetzt hat, wieder
abfägt, und zwar mit Recht.

Fr. verfolgt dann noch weiter die Ausbildung des
Chriftusideals der nazaräifchen Gemeinde Jefu (S. 157—184)
und die Spaltungen in der urchriftlichen Gemeinde (S. 185
bis 212). Ich glaube, darauf verzichten zu dürfen, auch
über diefe Spekulationen hier noch näher zu berichten.

Göttingen. E. Schürer.

HautTch, Dr. Ernft, Die Evangelienzitate des Origenes. (Texte
und Unterfuchungen zur Gefchichte der altchriftlichen
Literatur. Herausgegeben von A. Harnack und C.
Schmidt. Dritte Reihe, vierter Band, Heft 2 a.) Leipzig
, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung 1909. (IV, 169 S.)
gr. 8° M. 5.50

,Der hohe Wert der Zitate in den Schriften der
älteren Kirchenväter für die neuteftamentliche Textkritik
fleht außer Frage. Sie allein bieten uns die Möglichkeit,
j einen Einblick in die Entwickelung des neuteftamentlichen
Textes zu tun, welche vor der Abfaffungszeit der älteften
uns erhaltenen griechifchen Handfchriften und Uber-
Setzungen liegt. Unter den älteren Kirchenvätern ift
aber in diefer Beziehung vielleicht der wichtigste Origenes,
einmal wegen der Fülle des Materiales, das er uns vor
allem in feinen exegetifchen Schriften gewährt, und dann,
weil er in der Gefchichte des biblifchen Textes überhaupt
einen entfeheidenden Einfluß ausgeübt hat'. Mit
diefen Worten beginnt die Einleitung (S. 1—9) zu H.s
Unterfuchungen, die weiter kurz über die bisherige Arbeit
an den Zitaten des Origenes referiert. Der wich-
i tigfte methodifche Gefichtspunkt ift für den Verf. die
j Kritik der ausdrücklich als folche eingeführten Zitate an
j den Anfpielungen und exegetifchen Paraphrafen, die der
: Alteration in der Überlieferung weniger ausgefetzt waren
Er erinnert ferner an das häufig zu beobachtende
Einwirken paralleler oder anklingender Stellen und will
durch eine Diskuflion derjenigen Evv.zitate des Origenes,
deren Textgrundlage nicht ficher zu beftimmen ift (in
der großen Mehrzahl der Fälle handelt es fleh um
wiederholte, aber abweichende Anführungen derfelben
Schriftftellen) einen Beitrag zur Rekonstruktion der Codices
evangeliorum Origeniaiii leiften. Es folgen S. 9—159 die
i angekündigten Unterfuchungen als eine Reihe in Sich
1 Selbständiger Besprechungen von Varianten aller Art,
■ geordnet einfach nach Kapiteln und Verfen der Ew.
S. I59f. werden die .Ergebniffe' — etwas kurz — dahin
zufammengefaßt, daß in den Zitaten des Origenes zuweilen
ein anderer Text erfcheint, als ihn feine eigene
Interpretation vorausfetzt, daß Origenes den Text, den
er eben zu interpretieren begriffen ift, zwar forgfältig
behandelt, fonft aber feine Zitate aus beliebigen Exem-
I plaren genommen hätte, daß endlich Freiheiten und ge-
j dächtnismäßige Paralleleinwirkungen fehr häufig begegneten
. — S. 161—169 wird in Tabellenform eine ,Über-
ficht über die befprochenen Lesarten des Origenes und
| ihr Verhältnis zu den wichtigsten Hff. des NT.' geboten,
wobei ftillfchweigend diejenigen befprochenen Lesarten
des Origenes, die in den Hff. des NT. keinen Beleg
I haben, fortgelaffen werden (d. i. etwa die Hälfte). Ein
Teil der Arbeit ift zugleich Göttinger Differtation.

In Erinnerung an die oben zitierten Einleitungsworte
wird man bedauern, daß Verf. feine Arbeit nicht anders
angelegt hat. Die Befchränkung auf die Evv.zitate einer-
| feits und auf die griechifch erhaltenen Schriften (mit
Ausfchluß der Katenenfragmente) des Origenes andererfeits
ift unanfechtbar und bezeichnet geradezu den me-
thodifch gebotenen Ausgang. Aber daß der Verf. inner-

1) Der Verf. macht von diefem Prinzip fruchtbaren Gebrauch in
feiner Kritik der neuen Septuaginta von Iirooke und Mc Lean, Gött. Gel.
Anz. 1909, S. 563—580.