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Ausgabe:

1910 Nr. 24

Spalte:

739-740

Autor/Hrsg.:

Joüon, P.

Titel/Untertitel:

Le Cantique des Cantiques. Commentaire philologique et exégétique 1910

Rezensent:

Beer, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 24.

740

find, die, von der Gegenwart und ihrer Religionsübung
unbefriedigt, das Heil in einem innern Verhältnis zu Gott
fuchen und fortfahren, auf die Zukunft zu hoffen. Beide
Richtungen, die idealifüfche und die gefetzlich theokra-
tifche Richtung, find natürlich nicht immer rein und klar ]
von einander gefchieden, wie das namentlich bei Deutero-
jefaja fich zeigt. Die Apokalyptik entwickelt jene
Eschatolcgie, ,zufammengefetzt halb aus der freilich
fchlecht gekannten wirklichen Gefchichte, halb aus der
immer mehr zu einer Theorie ausgebildeten Erwartung 1
einer großen Endkataftrophe und darauf folgender Begründung
des ewigen Gottesreiches'. Nicht bei allen
ift die Intenfivität der Hoffnung die gleiche, der Dichter
des Hiob läßt diefen Gedankenkreis völlig beifeite,
andere wurden zu einem Mittelweg geführt, der für das
ausbleibende Reich Gottes einen vorläufigen Erfatz j
verhieß, auf den Gedanken der individuellen Ünfterblich-
keit, der erft ganz fpät auftritt und noch zu neuteftament- 1
licher Zeit vom Priefteradel hartnäckig bekämpft wird.
Jefus nimmt den Gedanken vom kommenden Reich
Gottes auf, aber geftaltet ihn um. Zunächft darin, daß er
die apokalyptifche Form, die Zeit und Stunde berechnen
will, abftreift und religiöfes Hoffen fordert, fodann korrigiert
er die hergebrachten Anfchauungen vom Anfpruch
des Menfchen auf das Reich Gottes: er verkannte die
hiftorifche Berechtigung der jüdifchen Anfprüche nicht,
aber er nimmt fowohl die Nichtjuden als auch ,die
Sünder' an: wenn fie nur die Fähigkeit haben, rechte
Bürger zu fein, werden fie mit den Patriarchen zu Tifche
fitzen. So verlegt er den Mittelpunkt der Religion aus
dem hiftorifchen Volk Israel in das Innere der Menfchen- |
feele. Damit aber hat er nicht das Reich, die Gemein-
fchaft der Geifter, preisgegeben, auch nicht den Zu-
fammenhang ihrer Gefchichte mit der der Welt, die Notwendigkeit
, daß auch die Welt fich wandeln muß. Das
will die Bitte fagen: Dein Reich komme, von der für
alle, die fie verftehen, ein Lichtftrahl in das Räthfel des
Lebens fällt. — Das ift in kurzen Zügen der Inhalt
diefes anregenden, geiflvollen Vortrags, der trefflich dazu
geeignet ift, in das Verftändnis diefer auch vielen I
religiöfen Menfchen unferer Tage als phantaftifch er-
fcheinenden Gedankenreihen einzuführen.

Straßburg i. Elf. W. Nowack.

Joüon, Prof. I, Le Cantique des Cantiques. Commentaire
philologique et exegetique. Paris, Beauchesne & Cie.
1909. (VIII, 335 p.) 80 fr. S -

Joüon reiht fich in die Schar der Exegeten, die in
dem Hohenlied einen Hymnus auf den zwifchen Jahwe und
Israel beftehenden Liebesbund finden (S. III), ,1'esprit du
Cantique estessentiellemcnt different de tonte poesie profane'
(S. 62). Von feinen Glaubensgenoffen Hontheim (Das
Hohelied 1908) und Zapletal (Das Hohelied 1907) unter-
fcheidet fich unfer Autor darin, daß er die myftifche
Auffaffung allein dem Wortfinn entfprechend findet, während
Hontheim und Zapletal zwifchen Wortfinn und
höherem Sinn des Hohenliedes trennen und den Wortfinn
auf natürliche, fei es nur fingierte oder echte Liebe deuten
, den höheren Sinn aber myftifch fein laffen, was natürlich
nur eine faule Auskunft ift, um das Dogma der
Kirche mit dem Gefetz der Wiffenfchaft auszugleichen. Mit
Recht polemifiert Joüon gegen folche Amphibienexegefe
Hontheims und Zapletals S. 101 und 109.

Die Befonderheit Joüons befteht weiter darin, daß er
nach Anleitung und im Gefchmack von Targum und
rabbinifchen Querköpfen allerlei hiftorifche Anfpielungen
im Texte entdecken will und zwar ,/ors de la sortie
d'.ttgypte, jusqu'ä lere messianique' (S. III). So foll
1, 5 ,Ich bin brünett, aber hübfch' eine Erinnerung an
den Aufenthalt Israels in Ägypten und in der Wüfte
fein (S. 132). 4, 7 ,Du bift ganz fchön, meine Liebfte,
und kein Makel ift an dir', wertet Joüon fo: ,Jihovah

veut dire qu'Israel, fidele a l'epoque de Salonion, est
paifaitement belle a ses yeux' (S. 208). Andere Katholiken
deuten bekanntlich 4, 7 auf die Jungfrau Maria.
Der Text 8, 8—10 ,Wir haben eine kleine Schwefter,
aber noch ohne Brüfte' 8, 9 ,ift fie eine Mauer . . .' 8, 10
.ich bin eine Mauer, und meine Brüfte Türmen gleich' . . .
wird auf die Wiederherftellung der Mauern Jerufalems
unter Nehemia bezogen! (S. 319ff.). 8, 1 ,Ach, daß du
mir wie ein Bruder wärft' hat meffianifchen Sinn! (S. 301).
Das Hohelied flammt nämlich nicht vonSalomo, fondern aus
der exilifchen oder erften nachexilifchen Zeit. Diefe kleine
Heterodoxie geftattet fich unfer Verfaffer (S. 86). Woher
feine verfchrobene Exegefe flammt, ift ja fattfam bekannt.
Das Hohelied fleht in der Bibel, ergo muß es geiftlich
fein ■— ftünde es anderswo, fo würde man es weltlich
deuten! Bei der Knebelung der biblifchen Wiffenfchaft
durch den gegenwärtigen Papft ift nicht zu hoffen, daß
die Stunde für die Verhunzung des Hohenliedes durch
kindifche Exegefe bald gefchlagen hat!

Im übrigen ift unfer wortreicher Exeget ein gelehrter
Mann. Er kann feinen Kommentar mit arabi-
fchen, fyrifchen und babylonifchen Gloffen verfchnörkeln.
Auch ift er belefen in der einfchlägigen Literatur. S. IOO
vermiffe ich in dem Verzeichnis das wertvolle Buch von
P. Haupt, Biblifche Liebeslieder 1907.

Heidelberg. Georg Beer.

Völter, Prof. Dr. Daniel, Die Entftehung des Glaubens an
die Auferltehung Jefu. hh'ne hiftorifch-kritifche Unter-
fuchung. Straßburg, J. H. E. Heitz 1910. (III, 60 S.)
gr. 8° M. 2 —

Völters Arbeit zerfällt in zwei Teile, einen Abfchnitt
über ,das leere Grab', einen anderen über ,die erften
Erfcheinungen Jefu'.

Die Konftatierung des leeren Grabes gehört für
Völter der Gefchichte an. Die von zwei Frauen leer
gefundene Gruft ift von fundamentaler Bedeutung für das
Aufkommen des Auferftehungsglaubens (28). Für diefe
feine Auffaffung beruft fich V. (26f.) auf die Quelle des
Mk., die nach feiner Meinung auch dem Matth. (12. 13.
26) und dem Luk. (17. i8f. 26) neben dem Markusevangelium
zu Gebote geftanden hat. Die Erzählungen des
Johannes- und Petrusevangeliums von der Entdeckung
des leeren Grabes werden als durchaus fekundär zur
Ermittlung des Tatbeftandes nicht verwertet (20—26).

So fehr Völters Refultat in diefem Teil Anfpruch
auf Beachtung hat, fo anfechtbar erfcheint mir feine Art,
die Quelle des Markusevangeliums zu ermitteln. Er meint,
daß die beiden Frauen Mk. 15,47 urfprünglich die handelnden
Perfonen auch der folgenden Szene gewefen
feien und daß erft der Redaktor des zweiten Evangeliums
die drei Frauennamen in 16, 1 hineingebracht habe (4. 5).
16,4 möchte er die Worte ,denn er war fehr groß' für
fpäteren Zufatz halten (5). 16,7 ift bis auf die drei
letzten Worte zu ftreichen, weil die damit korrefpon-
dierende Stelle 14.28 ,ohne Zweifel' eingefügt worden ift
(6—8). Auch 16,6 muß befchnitten werden, und die
Worte des Engels fchloffen urfprünglich: ,erift auferweckt,
wie er euch gefagt hat'.

Ich kann nicht behaupten, daß die Erwägungen, mit
denen V. feine Ergebniffe nützt, fehr überzeugend wären.
Noch weniger aber bin ich geneigt, den Ausführungen
des zweiten Teils beizupflichten. Sie bringen das wirklich
Neue und Originelle an dem V.fchen Buch. Ich
muß mich hier darauf befchränken, fie kurz zu fkizzicren
und durch ihre Willkürlichkeit fich felber widerlegen zu
laffen.

Die grundlegenden Erfcheinungen des Auferftandenen
haben dem Petrus und den Zwölfen gegolten. Das ift
die Meinung der älteften Überlieferung. Zwar berichtet
[ Paulus I. Kor. 15, neben Kephas und den Zwölfen feien
1 außer den fünfhundert Brüdern und ihm felber auch