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Ausgabe:

1909 Nr. 2

Spalte:

59-61

Autor/Hrsg.:

Lindner, Theodor

Titel/Untertitel:

Weltgeschichte seit der Völkerwanderung. 5. Bd 1909

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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59 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 2. 60

nicht auch die Beftände etwa von Berlin, Dresden,
Göttingen durchmuftert?

Den Schluß des Bandes bildet das Verzeichnis der
literarifchen Arbeiten über das Leben, die Werke und
die Lehre des Chryfoflomus. Unter geeigneten Rubriken
werden diefe Arbeiten aufgezählt und befprochen. Die
Biographien nehmen einen großen Raum ein; felbft in
der Kritik diefer Werke findet lieh viel Anziehendes.
Vollfländiger gefammelt kann man die Arbeiten auch
über einzelne Punkte aus der ,Lehre' des Chryfoflomus
nicht finden; und wer fich über die literarifchen Erfchei-
nungen informieren will, muß nun zu dem vorliegenden
Buche greifen. Allerdings vermiffe ich auch hier manches
: warum find die Magdeburger Centurien nicht erwähnt
, während doch des Baronius annales ecclesiastici
ausführlich gewürdigt werden? Auch des Flacius Illyricus
Catalogus testium veritatis hätte aufgenommen werden
müffen. Wenn der Verfaffer als Zweck feines Buchs
angibt, den Lefer zu informieren, wo er am beften zu
fruchtbringender Arbeit einfetzen könnte, fo waren unbedingt
mit einem Worte die neueren Dogmengefchichten
zu nennen, oder etwa auch ein Artikel wie der von Katten-
bufch über die Meffe, dogmengefchichtlich betrachtet, in
unterer Real-Encyklopädie. Denn hierdurch hätte er wirklich
auf die hiftorifchen Probleme aufmerkfam machen
können. Deswegen kommt auch bei diefem Buche eines
flaunenswerten Sammeleifers im Grunde recht wenig
heraus: in die hiftorifchen Probleme führt es nicht ein;
und das hätte doch leicht erreicht werden können. Selbft
der Katalog der Ausgaben fcheint mir nicht viel Nutzen
zu bringen. Wenn der Verfaffer feine große Kenntnis
für viele nützlich hätte geltalten wollen, fo hätte er uns
ein neues, kritifches Initienverzeichnis der in den Ausgaben
veröffentlichten Werke, Homilien etc. mit Nam-
haftmachung der Druckorte geben müffen, damit man
es endlich leichter hätte, bei handfehriftlichen Studien
wenigftens den ungeordneten Haufen der Chryfoftomus-
Homilien zu bewältigen. Aber in einer anderen Hinficht
ift das Buch ein fehr erfreuliches Zeichen. Es ift allgemein
bekannt, daß wir eine wirklich kritifche Ausgabe
der Werke des Chryfoftomus noch nicht befitzen. Jetzt
haben wir einen Chryfoftomus-Spezialiften mehr. Möge
es ihm vergönnt fein, im Vereine mit anderen die neue
Ausgabe zu liefern, des Ruhmes der alten Benediktiner
würdig.

Kiel. Gerhard Ficker.

Lindner, Prof. Theodor, Weltgefchichte feit der Völkerwanderung
. In neun Bänden. Fünfter Band. Die
Kämpfe um die Reformation. Der Übergang in die
heutige Zeit. Stuttgart, J. G. Cotta'fche Buchhandlung
Nachf. 1907. (XII, 518 S.) gr. 8« M. 5.50

Diefer fünfte Band von Lindners Weltgefchichte
geht faft ganz den Kirchenhiftoriker und Theologen an.
Während der 4. Band die deutfehe Reformation bis zum
Augsburger Religionsfrieden 1555 führte, werden wir
hier bis zum Schlurfe des 30jährigen Krieges 1648 geführt
; fo wenigftens in Deutfchland. Für die anderen
Länder ift die Abgrenzung finngemäß eine etwas andre,
auch nach rückwärts; denn z. B. für England wird erft
hier die Vorgefchichte der Reformation erzählt. Es hängt
dies eng zufammen mit der Periodifierung, welcher der
Verfaffer folgt, und mit dem Ziele, das er durch feine
Darfteilung erreichen will. Er will zeigen, wie die heutigen
Zuftände wurden, wie es kam, daß der europäifche
Werten fich anfehicken konnte, fich die ganze Erde dienft-
bar zu machen, und darum errt um die Mitte des 17.
Jahrhunderts eine wirkliche Weltgefchichte beginnt. So
befchäftigt fich der vorliegende Band ausfchließlich mit
dem europäifchen Abendlande und Bellt die Reformation
mitten hinein in den Gang der Entwicklung. Nicht mit

der deutfehen Reformation beginnt eine völlig neue Zeit;
fie gehört hinein in eine lange Periode, welche etwa vom
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts bis in die Mitte
des fiebzehnten reicht. Nicht etwa, weil die Reformation
etwas fpezififch Germanifches wäre; es wird mit guten
Gründen nachgewiefen, daß fie international ift; fondern
weil der bisher leitende Gedanke, das 'Leben unter die
überfinnliche Idee und damit unter die Religion zu Bellen,
nicht aufgegeben wurde. F.rft als Religion und Kirche
aufhörten, Denken und Dafein allfeitig zu beftimmen,
konnte eine neue Zeit einfetzen. Darum bringt diefer
fünfte Band einen Abfchluß und einen Ausgang in der
Entwicklung und gehört eng zufammen mit dem vorausgehenden
. Denn jetzt wird perfekt, was die im 4. Bande
erzählten Ereigniffe anbahnten: die Zerfprengung der
bisherigen Einheit der abendländifchen Weltgruppe. In
unfern kirchengefchichtlichen Vorlefungen pflegen wir
den Abfchnitt, den der Verfaffer hier behandelt, die
Periode der Gegenreformation zu nennen. Es braucht
nicht hervorgehoben zu werden, daß der Verfaffer den
theologifchen Gefichtspunkt nicht maßgebend fein läßt.
Er will überall die wirklichen Kräfte und die natürlichen
Urfachen aufweifen. Darum wird auch der religiöfe
Faktor nirgends einfeitig in den Vordergrund gehellt;
ja mir will fcheinen, daß eine leife Neigung berteht, die
Wirkungen diefes Faktors auch dort auszufchalten oder
wenigftens zu befchneiden, wo fie deutlich genug zutage
treten. Dafür werden wir aber entfehädigt durch die
Fülle der realen Faktoren und den Reichtum von Tatfachen
, die mitgeteilt werden. Es ift in der Tat erftaunlich,
wie viel hier auf verhältnismäßig kleinem Räume vereinigt
ift. In knapper Form ift jedenfalls immer das
Wichtigfte mitgeteilt. Verftändlich ift, daß dabei oft
Worte allgemeinerer Bedeutung gewählt werden mußten,
zumal doch auch die Gefetze der hiftorifchen Entwicklung
aufgezeigt werden follten. Sehr praktifch und eindrucksvoll
finde ich die Stellung der einzelnen Abfchnitte
zu einander. Gerade dadurch wird ein lebendiges Bild
erreicht von dem Auffteigen der einen, dem Abfteigen
der anderen Nationen. Wir Proteftanten werden den
Verfaffer gewiß auch nicht tadeln, daß er dem Katholizismus
gerecht zu werden verbucht; daß er anerkennt,
was die katholifche Kirche feit der Reformation geleiftet
hat; daß er unwahre Befchuldigungen, die gegen den
Jefuitenorden erhoben worden find, zurückweift. Auf der
andern Seite weift er doch auch fcharf und deutlich die
Janffenfche Gefchichtsauffaffung zurück und findet fehr
energifche Worte über den unheilvollen Druck des Katholizismus
und über die fürchterliche Tätigkeit der
Jefuiten. Gerade darin zeigt fich Lindners Streben, mög-
lichft gerecht zu urteilen, daß er auch in den deutfehen
Zuftänden von 1555 —1648 dievorwärts weifendenElemente
deutlich hervorhebt, fo trübe im allgemeinen das Bild
ift, das er von ihnen entwirft. Wir proteftantifchen
Theologen können wohl noch mehr Gründe der Ent-
fchuldigung beibringen, warum es den evangelifchen
Kirchen nicht gelang, vollkommenere Zuftände heraufzuführen
; aber wir haben nicht die geringfte Veranlaffung,
Übelftände zu verfchweigen, da fie uns doch immer nur
ein neuer Anfporn find, unfere Pflicht beffer zu tun.
Und dazu kann uns gerade eine folche ,objektive' Darlegung
, wie Lindner fie gibt, helfen, und ich möchte
wünfehen, daß viele gerade diefen Band läfen.

Mit der Periodifierung des Verfaffers kann ich mich
aber nicht einverftanden erklären, fo gern ich zugebe,
daß er von feinem Standpunkte aus recht haben mag.
Mir fcheint die Perfon Luthers und feine Tat zu kurz
zu kommen. Denn er ift es doch gewefen, der durchgebrochen
hat; und nicht bloß dies: er hat der neuen Zeit
auch die religiöfen Gedanken gegeben. Man halte fich
doch nicht an den heute vielen fo unverftändlichen Ausdruck
: Rechtfertigung aus dem Glauben'; fondern man
mache fich die Gedanken zu eigen, die er in feiner Schrift