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Ausgabe:

1909 Nr. 2

Spalte:

55-57

Autor/Hrsg.:

Pfättisch, Joannes Maria

Titel/Untertitel:

Die Rede Konstantins des Großen an die Versammlung der Heiligen auf ihre Echtheit untersucht 1909

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 2.

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möglich ganz für das Chriftentum zu gewinnen, auch die
Logoslehre gilt ihm, wie fchon oben hervorgehoben, als
biblifch fundiert. Juflin erfcheint fo als ein genuiner
Vertreter frühkatholifcher Orthodoxie, ein legitimer Fort-
fetzer apoftolifcher und nachapoftolifcher Rechtgläubigkeit
. Und das war Juflin, der philofophierende Rationalift,
ficher nicht. Das Zweite ift dies: Es zeigt keine richtige
hiflorifche Anfchauung, wenn F. Juflin fortwährend am
chriftologifchen Dogma der Folgezeit, des Nicänums und
der Zweinaturenlehre, mißt, feine Auslagen unter diefer
Beleuchtung deutet und ihn danach beurteilt, ob er mit
dem Nicänum und dem Chalcedonenfe übereinnimmt.
So fühlt fich F. bewogen, S. 102 f. und S. 117 t. Erklärungen
und Entfchuldigungen für irrtümliche Lehre einiger
Vornicäner über den Ausgang des Logos vom Vater
in der Zeit und über die untergeordnete Stellung des
Logos zum Vater vorzubringen. S. 119 fleht: ,Aber
fchwieg denn Rom zu den wenn auch unbewußten Irrtümern
fo mancher angefehenen Schriftfteller? Die Nachrichten
über die päpfllichen Zeitgenoffen Juftin's fehlen
uns, aber wir wiffen, daß die Lehre Tertullian's und
Hippolyt's vom Papft Kailift getadelt wurde, und daß
der Papft Dionyfius die Lehre der Alexandriner verworfen
hat'. Und auch fchon die oben gegebene Inhaltsüberficht
des Werkes zeigt die dogmatischen Kategorien, in die
F. die Auslagen Juftin's preßt.

Wien. Rudolf Knopf.

Pfättifch, P.Joannes Maria, O. S. B., Die Rede Kunftantins
des Großen an die Verfammlung der Heiligen auf ihre
Echtheit unterfucht. (Straßburger theologifche Studien.
Herausgegeben von A. Ehrhard und E.Müller. Neunter
Band. Viertes Heft.) Freiburg i. B., Herder 1908. (XI,
117 S.) gr. 8° M. 3.60

Bei einer Befprechung von Heikel's Eufcbius-Ausgabe
in diefer Zeitung 1902, Sp. 169 erklärte Jülicher, daß
die Unechtheit der Oratio, die einen fpäteren Byzantiner
zum Verfaffer habe und nicht dem Eufeb zur Latt falle,
ihm von Heikel erwiefen zu fein fcheine. Dagegen äußerte
fich Wendland in der Berliner philologifchen Wochen-
fchrift 1902, Sp. 229fr. dahin, daß die Rede von einem
literarifchen Berater des Kaifers nach deffen Anleitung
verfaßt und unter Konftantin's Namen verbreitet worden
fei. Harnack (Chronologie 2,117) gieng noch einen Schritt
weiter und meinte: ,Man darf diefe Rede — eufebianifch
ift fie gewiß nicht — mit Fug für konftantinifch halten,
natürlich in der Einfchränkung, in der es überhaupt
längere Reden von Monarchen gibt, d. h. fie werden in
der Kanzlei vorbereitet und nachträglich in der Kanzlei
redigiert. Der Autoranfpruch des Kaifers kann trotzdem
groß fein und ift es in diefem Falle allem Anfchein nach'.
Diefen Standpunkt nimmt auch der Verfaffer vorliegender
Arbeit ein. Er fucht ihn allfeitig zu begründen und dabei
den Anteil des Kaifers an der ihm zugefchriebenen Rede
nach Möglichkeit feftzukgen. Das Lob großer Sachkunde
werden ihm auch diejenigen nicht vorenthalten dürfen,
die feinenErgebniffen dieZuftimmung verweigern möchten.

Nach meiner Meinung hat Pfättifch es fichergettellt,
daß die Rede nicht von einem byzantinifchen Fälfcher
(Heikel CII fetzt die Abfaffung ,wenigftens in die Zeit
nach der erften Hälfte des 5. Jahrh.') flammen kann. Der
von ihm mit großer Sorgfalt (Löfchcke's Unterfuchungen
zum Syntagma des Gelafius find ihm bekannt) angeflehte
Vergleich der Oratio mit anderen, Konflantin zugefchriebenen
Urkunden nach Sprache und Gedankeninhalt macht
es m. E. ganz unmöglich, an der Abfaffung im konftan-
tinifchen Zeitalter zu zweifeln. Die ,Theologie' aller diefer
Urkunden ift derart, daß fie noch in das Frühftadium der
trinitarifchen und chriftologifchen Streitigkeiten gefetzt
werden muß. Die Sache liegt hier nicht viel anders wie
bei den ignatianifchen Briefen, die aus klar zutage liegenden

Gründen nicht nach der erften Hälfte des 2. Jahrh. angefetzt
werden können. Natürlich ift damit über die
Echtheitsfrage im engern Sinn noch nichts ausgefagt.

Hier hat nun Pfättifch folgenden Weg eingefchlagen.
Eingehende Unterfuchung des Verhältniffes der Rede
zur 4. Ekloge Vergil's fcheint ihm den Beweis zu liefern,
daß der vom Redner zu den aus der Ekloge zitierten
Verfen gelieferte Kommentar das lateinifche Original vorausfetze
. Den nicht zu leugnenden willkürlichen Änderungen
der Überfetzung folge der Kommentar nicht, vielmehr
flehen Kommentar und Verfe mehrfach in Wider-
fpruch. Sind diefe Beobachtungen richtig, fo würde dadurch
Eufeb's Angabe (Vita Const. 4,32) beftätigt, daß
die Rede lateinifch abgefaßt gewefen fei, und es flünde
der Abfaffung wenigftens diefes Redeteils durch den
Kaifer kein ernfthaftes Hindernis mehr im Wege. Die
,tendenziös verfälfchte Überfetzung) (Wendland) der Ver-
gilverfe käme auf Rechnung des Überfetzers. Nun war
es auf alle Fälle ein glücklicher Gedanke, fich den Ekloge-
Abfchnitt einmal auf etwaige Diskrepanz zwifchen Überfetzung
und Kommentar anzufeilen; bisher war die Über-
einftimmung einfach vorausgefetzt worden: ift aber der
Kommentar zur Überfetzung angefertigt, fo fchien der
Schluß auf ein lateinifches Original abgelehnt werden zu
müffen (Roffignol, Mancini). Pfättifch hat auch wirklich
recht fchwerwiegende Momente zugunften feiner Anficht
beigebracht. Befonders bei Vers 6, 35, 62 kann man fich
des Gedankens kaum entfchlagen, daß er Recht haben
möchte. Er felbft legt großes Gewicht darauf, daß das
Mißverfländnis von V. 24k, das lieh der Redner im
Kommentar hat zu Schulden kommen laffen, nur auf
Grund des in der Überfetzung lichtig wiedergegebenen
Originaltextes entflanden fein könne. Ich kann mich
aber des Eindrucks nicht erwehren, daß auch die Überfetzung
das Mißverfländnis hat, obwohl ich es nicht mit
Jülicher a. a. O. für ficher halten möchte. Bei Pfättifch's
Auffaffung bleibt auf alle Fülle die viel größere Schwierigkeit
, daß der Überfetzer der Rede die Vergilverfe richtig
überfetzt und das Mißverfländnis im Kommentar entweder
nicht bemerkt oder nicht beanllandet haben follte. Beides
erfcheint doch fchwer glaublich.

Nehmen wir aber auch mit Pf. an, daß der die Verfe
und ihre Erklärung enthaltende Teil der Rede fich als
urfprünglich lateinifch und damit zugleich als Überfetzung
einer Rede Konftantin's erweifen laffe, fo find wir damit
noch nicht einmal viel weiter gekommen. Pf. felbft hat
durch einen forgfältigen, von großer Belefenheit zeugenden
und in jedem Fall wertvollen Vergleich der Rede mit
platonifchen Stellen gezeigt, daß die Rede, wie fie uns
vorliegt, eine Überfetzung aus dem Lateinifchen nicht
fein kann, daß fie beftenfalls nur teilweife Überfetzung,
im übrigen aber Original, d. h. erweiterte Ausarbeitung
der urfprünglich lateinifchen Kaiferrede ift. Er glaubt,
dabei zwifchen einem erlten, ,die mehr philofophifchen
Kapitel 3—15' umfaffenden Teil und einem zweiten (Kap.
16—25), ,in dem das gefchichtliche Moment überwiegt',
fcheiden zu können. Aber er hat dafür den Beweis nicht
erbracht; ich kann nicht einmal finden, daß er ihn ernft-
lich verfucht hat. Daß in der Rede nicht nur der Kommentar
, fondern ,wohl überhaupt von Kapitel 16 an alles
der Hauptfache nach' (S. 108) vom Kaifer fei, ift eine
bloße Behauptung. Wir find am Ende der Unterfuchung
bezüglich der Frage nach der Autorfchaft auch durch Pf.
nicht weiter gefördert, als wir es fchon bei Harnack's
Annahme waren. Ja, wir find fogar bezüglich der Größe
des kaiferlichen Autoranfpruches wieder zweifelhafter
geworden. Je einleuchtender Pf.s Argumente für den
griechifchen Charakter zum mindellen des größten Teils
der Rede find, um fo mehr fchwindet unfere Hoffnung,
die Frage nach dem Charakter der Vorlage befriedigend
gelöft zu fehen.

Der Wert der Arbeit von Pf. ift aber damit, wie man
fich zu feinem Ergebnis bezüglich der Autorfchaft Hellt,