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Ausgabe:

1909

Spalte:

542-545

Autor/Hrsg.:

Pesch, Christian

Titel/Untertitel:

Glaubenspflicht und Glaubensschwierigkeiten 1909

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 190g Nr. 19.

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feiner Hauptftadt an. Man folle aniicabilitcr mit einan- fern liege. Das pfychologifche Rätfei wird uns durch ein
der konferieren, I. ob in den Reformierten Confessioni- Schriftftück gelöft, das G. nach feiner Amtsniederlegung
bus publicis etwas gelehrt und bejahet worden, warum der, feiner bisherigen Gemeinde widmet (ioöf.). Darin behauptet
fo es lehrt oder glaubt und bejaht, iudicio divino verdammt er, die Edikte und die Formula concordiac, auf die er
fei; 2. ob etwas darin verneint oderverfchwiegen fei, ohne verpflichtet fei, feien einander direkt entgegen, eins
deffen VViffenfchaft und Übung der höchfle Gott niemand hebe das andere auf; darum fei das, was in den Edikten
feiig machen wolle. Nur widerwillig gingen die lutheri- befohlen werde, an fleh felbft böfe und unrecht. ,Der
fchen Prediger von Berlin auf das Kolloquium ein; es denominationum und condemnationmn oder anathematis-
wurde fofor't vom beabfichtigten Syncretismus — 1653 worum follte ich mich nach den Edikten enthalten; aber
war die Streitfchrift Syncretismus Calixtinus von Abraham die anathematismi find ein Stück und zuvor ein vornehmes
Calov erfchienen — geredet, die freie Religionsübung fei Stück der Formula concordiae; wenn ich es fahren laffe,
bedroht, der Kurfürft wolle ihnen das Bekenntnis zur behalte ich mein Bekenntnis nicht ganz, fondern
Formula concordiae antaflen. Paul Gerhardt führt nicht nur halb; ein halb Bekenntnis ift aber kein recht Be-
nur die Protokolle, auch durch Streitfchriften tut er das kenntnis'. Die Anathematismen habe er auf der Kanzel
Seine, das Amicabilitcr-Verhandeln unmöglich zu machen; nicht darum unterlaffen, weil er und feine Kollegen fie
er verweigert den Reformierten die Bruderhand (35) und für böfe und unrecht hielten, fondern in Anfehung der
kann die Calviniften qua talcs nicht für Chriften halten Zeit und Gelegenheit und des Zuftandes der Zuhörer
(38). Die lutherifche Lehre fei die volle und reine Wahr- ' und Kirche. Durch die Edikte könne er fleh nicht
heit des Evangeliums; die Reformierten kennen diefe binden laffen, die Verdammungen der Reformierten
Wahrheit, aber verwerfen fie und lieben die Lügen con- niemals anzuwenden.

tra conscientiam toties ex verbo Dei mcliora edoctam, Man pflegt das Verhalten Paul Gerhardts mit feinem

daher fallen fie unter das Wort Gal. 1,8. Der Haupt- ,zarten Gewiffen' zu rechtfertigen. Wir widerfprechen
punkt, auf den G. immer wieder zurückkommt, ift dieVer- i nicht; es ift aber ein durch Engherzigkeit und Eigenfinn,
werfung der manducatio ora/is im hl. Abendmahl, deren fich durch orthodoxen, höchft unchriftlichen Fanatismus irre
die Reformierten fchuldig machen. Nachdem die ganz- geleitetes Gewiffen. Daß der Kurfürft durch feine maßliche
Elrfolglofigkeit des Kolloquiums fich herausgeftellt vollen Edikte dem Unfug des gegenfeitigen Befchimpfens
hatte, wurde es durch die Verordnung des Kurfürften vom : der konfeffionellen Parteien ein Ende macht, kann der
16. September 1664 gefchloffen. In diefem Edikt dringt unbefangene Kulturhiftoriker nur billigen; der Wi'derftand
der Kurfürft auf eine mutua tolerantia und Verträglich- . der lutherifchen Orthodoxie, deren .Gewiffensfreiheit im
keit der beiden Parteien; das bisherige unchriftliche ! Verläftern, Verketzern und Verdammen der Reformierten
Richten, Verläftern, Verketzern und Verdammen folle befiehl' (44), erfcheint in fehr trübem Lichte. Infonderheit
gänzlich eingeheilt werden, kein Teil folle dem andern j verliert der Kirchenmann Paul Gerhardt fehr viel von
anzügliche Zunamen geben und aus deffen Hypothefen j der bewundernden und verehrenden Liebe, welche die
und Dogmen ungereimte und gottlofe Dinge folgern j evangelifche Gemeinde dem Dichter Paul Gerhardt un-
weder in Schriften noch in den Predigten vor der Ge- ! gefchmälert nach wie vor entgegenbringen wird,
meinde Außerdem wird verordnet daß jeder Prediger i Marbur„ E Chr. Achelis.

die laufe ohne Exorzismus verrichten lolle, laus die

Eltern des Kindes es fo wünfehten. Gegen dies Edikt, pefch, Chriftian, S. J., Glaubenspflicht und Glaubensfchwieriq-

viel weniger gegen die Taufverordnung als gegen das Ver- j kejten (Theologifche Zeitfragen. Fünfte Folge.) Frei-
bot des Schimpfens und Lafterns, erhob fich nun ein !

gewaltiger Sturm: die Lutheraner müßten fich ja von

bürg i. B., Herder 1908. (V, 219 S.) gr. 8° M. 3.20

ihren fymbolifchen Glaubensbüchern und damit von der DievorliegendenUnterfuchungenbildeninVereinieunr/

gefamten lutherifchen Kirche trennen, wenn fie der Ver
Ordnung folgfam fein wollten. Auf den Befehl des Kurfürften
, die Prediger follten bei Strafe der Amtsentfetzung
einen 'fchriftlichen Revers ausftellen, wodurch fie fich

mit der vierten Folge der .Theologifchen Zeitfragen'
eine nahezu vollfiändige Abhandlung über den theologifchen
Glaubensakt und eine Überficht über die haupt-
fächlichften Werke oder Zeitfchriftenartikel, die in den

verpflichteten, den Edikten nachzuleben und fich aller letzten Jahren von katholifchen Schriftftellern über das

feindlichen Angriffe zu enthalten, war fchärffie Oppofition
der Lutheraner die Antwort. Sie holten von .reinen'
theologifchen Fakultäten Gutachten ein und verweigerten,
auf diefe gefiützt, den Gehorfam. Gerhardt ift es, der

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gleiche Thema veröffentlicht wurden.

Jedes einzelne der zehn in dem Buch enthaltenen
Stücke bildet fo ziemlich für fich ein felbftändiges Ganzes:
die Glaubenspflicht, die Gläubigen außerhalb der Kirche,

die Prediger zum Widerfiande aufreizt und fie vermahnt, die Würde des Glaubens, die Erkenntnis vor dem Glauben^
den Revers nicht zu unterfchreiben (78). Nur der Senior Wunder und Weisfagungen, das Verhältnis des Willens
der lutherifchen Prediger, der Propft Lilius, bequemt fich zum Glauben, die Glaubensgnade, die Dunkelheit des
zu einem von der vorgefchriebenen Form abweichenden Glaubens, Glaubensfchwierigkeiten und Glaubenszweifel,
Revers, aber fiirbt bald darauf ,nach herzzerreißender j die Erkenntnis der Glaubwürdigkeitsgründe und der
Gewiffensangft, in ernfter Buße'. Ein anderer Prediger, ' Glaubensakt, — diefe Abhandlungen gehn fämtlich auf
Lic. Reichart, muß die Stadt verlaffen. Nun tritt die ; gegenwärtig in der katholifchen Theologie fchwebende
Entfcheidung auch an Gerhardt heran. Er verweigert i Fragen und umftrittene Probleme ein. Um ein richtiges
den Revers aus ,Gewiffensbedenken' und wird feines ' Verftändnis derfelben zu gewinnen, gilt es vor allem die
Amtes entfetzt. Auf die flehentlichen Eingaben des katholifche Erageftellung zu begreifen und von den katho-
Magifirats, der Stände, der Zünfte erläßt der Kurfürft ihm hfchen Prämiffen auszugehen. Nach der Lehre des va-
den Revers, fetzt ihn wieder ins Amt ein, aber läßt durch tikanifchen Konzils ift der Glaube eine übernatürliche
den Geheimfekretär, der G. die Botfchaft überbringt, ihm j Gottesgabe, vermöge deren wir alles für wahr halten,
fagen: der Kurfürft lebe der gnädigen Zuverdient, G. werde was Gott geoffenbart hat, und weil er es geoffenbart hat.
fich auch ohne Revers den Edikten gemäß zu bezeigen Von hier aus erhält die P'rage von der Glaubenspflicht
wiffen. Diefe Bemerkung bringt G. in folche Gewiffens- ihre eigentümliche Bedeutung. Die Diskuffion bewegt
ängfte, daß er erklärt, er werde den Edikten nicht ge- fich vornehmlich um die quantitative Beftimmung deffen,
horchen, und fein Amt aufgibt. Das Verhalten des Mannes was geglaubt, d. h. für wahr gehalten werden muß, um
ift um fo auffallender, als ihm allfeitig das Zeugnis ge- die Gerechtigkeit zu erlangen und in der Gerechtigkeit
geben wird, daß er auf der Kanzel niemals den Edikten zu verharren. Gottes Offenbarung tritt gleichmäßig für
zuwider gehandelt habe, und als er felbft bezeugt, daß ihm den ganzen Umfang der Offenbarung ein; ein anders aber
alles unchriftliche Verketzern und Verdammen durchaus ift es, eine geoffenbarte Wahrheit leugnen, und ebenfo