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Ausgabe:

1909

Spalte:

204-205

Titel/Untertitel:

Mainzer Zeitschrift. Zeitschrift des römisch-germanischen Central-Museums und des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer. Jahrgang III 1909

Rezensent:

Stuhlfauth, Georg

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gefchickt, die den Petrus rückfällig machten. Mit den
jerufalemifchen Autoritäten hat Paulus nicht in Spannung
gelebt.

Auch in der Zeit nach Paulus hat fich das Juden-
chriftentum erhalten, doch wiffen wir nicht, in welcher
Stärke. In Paläflina und Syrien nahm es infolge jüdifcher
und heidnifcher Einwirkungen mannigfache fynkretiftifche
Anfchauungen in fich auf. Aber zu abgefchloffenen
Sekten kam es nicht. Weder Ebion noch Thebutis find
Sektenftifter. Der Einfluß der Effäer ift abzuweifen. Die
Nachrichten bei Epiphanius find verworren und unficher.
Das allmähliche Zurücktreten des Judaismus ift begreiflich
. Die univerfale Macht des Evangeliums Jefu
machte fich dagegen geltend, mit dem Schwinden des
paulinifchen Einfluffes verlor fich auch die Energie des
Judaismus, die Ereigniffe des Jahres 70 lähmten das jüdifche
Volksbewußtfein, der zunehmende Haß der Juden gegen
die Chriften drängte den Judaismus völlig auf die Seite.

Wichtiger für die kirchliche Entwicklung war daher
die Nachwirkung des Judentums innerhalb des Chriften-
tums. Gerade bei friedlichem Ausgleich der nationalen
Gegenfätze konnte das Judentum feine Gebräuche und
Anfchauungen, vor allem unter dem Schutze des A.T.s,
der werdenden katholifchen Kirche mitteilen. So zeigen
fich in der Tat der Gottesdienft, das Abendmahl in
feiner fpäteren Geftalt, die Gemeindeorganifation, der
Taufritus, die Schrifterklärung vom Judentum beeinflußt.
Nur die Übernahme eines angeblichen jüdifchen Profe-
lytenkatechismus ift abzulehnen.

Nun wird im Einzelnen der religiös-fittliche Vor-
ftellungskreis in den Schriften der apoftolifchen Väter in
feiner Abhängigkeit vom jüdifchen Geifte vorgeführt. Es
wird gezeigt, wie fie felber auf ihre jüdifchen Quellen
hinweifen, wie die Gotteslehre ftark altteftamenthch gefärbt
ift, wie die Anfchauungen von der Sünde, vom
Glauben und von der Heilsanfchauung durch fittliche
Betätigung gut jüdifch find, wie die Sittenlehre, der ihr
zugrundeliegende Moralismus jüdifch beeinflußt ift, wie
endlich die Vorftellungen von der Kirche und vom Ende
der Welt jüdifchen Geift verraten. So ift das Judentum
durchaus als ein Hauptfaktor in der Bildung der
katholifchen Kirche anzufetzen. Deren Hauptmomente,
der Moralismus, das Traditionsprinzip, die Bibelbenutzung
im Kampfe gegen Ketzer und die äußere Organifation
find dem Judentum entlehnt.

Efine Skizze über den Minäismus befchließt das Buch.

An der vorliegenden Arbeit ift vor allem die große
Gewiffenhaftigkeit zu rühmen, mit der der Verfaffer feine
Unterfuchungen vorbereitet. Ihr hat er es freilich zu
danken, daß er fo überaus wenig Quellen für die Ge-
fchichte des Judaismus zu fammeln vermag. Die Ver-
fuchung, für das nun gerade vorliegende Thema möglichft
viel Material herauszufchlagen, exiftiert für ihn nicht.
Ein Fehler fcheint mir dagegen zu fein, daß er die m. E.
wichtigfte, freilich auch kompliziertefte Quelle faft unbeachtet
gelaffen hat, den pfeudoklementinifchen
Schriftenkreis. Er weift freilich auf die noch unerledigten
literarkritifchen Vorarbeiten hin. Das ergibt aber: Entweder
verfucht man felbft eine literarkritifche Analyfe
zu geben, oder die Darfteilung des Judenchriftentums muß
auf ihre ergiebigfte Quelle verzichten und wird lückenhaft.
Es ift zu bedauern, daß der Verfaffer fich für das letztere
entfchieden hat.

Wenn nun freilich infolgedeffen die Entwicklung des
Judenchriftentums in nachpaulinifcher Zeit einen Mangel
aufweift, fo find die fehr wichtigen Partien, die fich mit
den neuteftamentliclien Schriften befchäftigen, höchft
beachtenswert. Hier verdienen die überaus forgfältigen
Erwägungen, die die Bedeutung des'jüdifchen Elements
innerhalb des Urchriftentums und weiter das Auftreten
des Judaismus verfolgen, allfeitige Berückfichtigung und
vielfach Anerkennung. Die Methode, gefchichtliches
Wiffen aus den Quellen zu eruieren und die Grenzen

unferes Wiffens feftzuftellen, wird von dem Verf. in vorbildlicher
Weife angewendet.

Vortrefflich ift auch die Vorunterfuchung über Partikularismus
und Univerfalismus im Judentum. Hier wäre
nur nach dem vom Verf. felbft beigebrachten Material

: ftärker hervorzuheben, daß der jüdifche Hellenismus bei
Philo den Partikularismus doch eigentlich faft ganz auf-
gelöft hat, während er im Rabbinentum und in der Apo-
kalyptik noch immer von wefentlicher Bedeutung ift.
Nach diefer Vorunterfuchung fehlt nun freilich die

' Grundlegung der ganzen Arbeit, eine ausführliche
kritifche Erörterung über das Jüdifche im Evangelium.
Der Verf. ftreift die Probleme an verfchiedenen Stellen,
er mag feine Gründe für den Verzicht haben, mir fcheint
eine Lücke dennoch fpürbar. Grundlegend hätte dargelegt
werden müffen, wieweit Jefus von altteftamentlich-
jüdifchem Denken und Wefen beeinflußt ift und in welchen
Stücken und wieweit er wirklich das Judentum überboten
und gefprengt hat. Daraus hätte fich dann viel klarer
Recht und Unrecht eines ftrengen Judenchriftentums ergeben
.

Überaus wertvoll und dankenswert ift hingegen das
letzte Kapitel über die Nachwirkung des Judentums im
Chriftentum. Ich halte die Ergebniffe H.s im wefentlichen
für richtig. Der Einfluß des jüdifchen Wefens auf das

werdende Kirchentum kann nicht hoch genug ange-
fchlagen werden. Dabei braucht man den jüdifchen
Hellenismus noch nicht einmal in Betracht zu ziehen.
Eine zu ftarke Betonung der Originalität der urchriftlichen
Ideen und eine zu weite Ausdehnung des hellenifchen
Einfluffes hat uns die Erkenntnis, die H. nun von neuem
bekräftigt, verdeckt. In Wahrheit kann nicht das Jüdifche
im Chriftentum als Problem gelten, fondern das Über-
jüdifche und Unjüdifche. In Wahrheit ftellt das Chriften-

1 tum eine Entwicklungsform des Judentums dar, wie fie
fich aus der Predigt Jefu und aus dem Glauben an feine
Meffianität ergeben hat. Das Chriftentum ift meffias-

; gläubiges und jefusgläubiges Judentum, nur eben
fpäter durch den Hellenismus ftark umgebildet. Aber

: auch die Verbindung mit Philofophie und Synkretismus
hat das Judentum eingeleitet.

Die von dem Verf. herausgearbeitete Definition des
Judenchriftentums im engeren Sinne ift fonach durchaus
annehmbar. Nur muß man dabei bedenken, daß die Auf-
löfung des Partikularismus auch von Jefus nicht immer

; bedacht worden ift, vielfach nur in der Konfequenz feiner
Gedanken und feiner ganzen Erfcheinung liegt.

Formell fehlt es dem Buche etwas an der Durch-
fichtigkeit der Gedankenführung. Das Fehlen der Sper-

: rungen im Druck charakterifiert bisweilen auch die Dar-

| fteliung. Im Ganzen ift zu fagen, daß die Hauptpartien
des Buches durchaus gelungen find; die neue Darfteilung
des Judenchriftentums fcheint mir nur an zwei wichtigen

; Punkten ergänzungsbedürftig (in Kap. II § 1 und Kap. III
§3, 3-5)-

Leipzig. Hans Windifch.

Mainzer Zeitfchrift. Zeitfchrift des römifch-germanifchen
Central-Mufeums und des Vereins zur Erforfchung
der rheinifchen Gefchichte und Altertümer. Herausgegeben
von der Direktion des Römifch-Germanifchen
Central-Mufeums und dem Vorftande des Mainzer
Altertums-Vereins. Jahrgang III, 1908, der neuen
Folge der Zeitfchrift des Vereins zur Erforlchung der
rheinifchen Gefchichte und Altertümer. Mainz,
L. Wilckens. (144 S. m. Abb. u. 6 z. Tl. färb. Taf.j
hoch 40 M. 7 —

Der Name Mainz erweckt dem Altertumsforfcher und
Hiftoriker das Bild einer großen, in die Vorzeit zurück-
und in die junge Neuzeit hereinragenden Vergangenheit.