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Ausgabe:

1908 Nr. 23

Spalte:

657-659

Autor/Hrsg.:

Brunner, Georg

Titel/Untertitel:

Die religiöse Frage im Lichte der Vergleichenden Religionsgeschichte 1908

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 23.

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religiöfen W.-A. mit den Tatfachen der Vernunft und
der Welt. — Wie jede Erkenntnistätigkeit, hat auch die
Religion ihre Axiome; jede W.-A. ift axiomatifch bedingt,
weil Willens-, Perfönlichkeitsfache. Diefer Nachweis des
axiomatifchen Charakters jeder W.-A. (6.) fchafft
einen Boden für Verftändigung. — Die axiomatifche reli-
giöfe W.-A. hat ihr Recht gegenüber der Vernunft
(7.) nachzuweifen, der Vernunft nicht im populären oder
formal dialektifchen Sinn, fondern der allgemein-menfch-
lichen Gattungsvernunft. Es ift zu zeigen, wie zunächft
die in der theor. V. gegebene Vorftellung des Unbedingten
ihr Recht erft durch die Gottesidee erhält, wie
innerhalb des Rahmens der zur Bemeifterung der ganzen
Weltwirklichkeit unfähigen theor. V. eine in der Richtung
des chrifll. Theismus liegende Betrachtung des Kosmos
die nächlte ift, wie gekünftelt die mechanrftifche Weltbetrachtung
ift und die Vernunft vergewaltigt, und wie
die Teleologie die Kaufalität nicht aufhebt, fondern ihrer
bedarf. Es ift ferner zu zeigen, wie die in fich felbftändige
fittliche Vernunft mit den in ihr gegebenen allgemeinen
fittlichen Normen und Idealen über die Natur ins Tran-
fzendente weift, alfo die Gedankenwelt der Religion be-
günftigt. — Die axiomatifche religiöfe W.-A. hat fich
ferner auszuweifen an den Tatfachen der Welterkenntnis
(8). Bezüglich des hier vorliegenden Problems
der realen Zweckverwirklichung in der Natur hat
die Apol. fehr vorfichtig die innere theor. Entwicklung
der naturwiff. Diskuffion zu verfolgen und die antidar-
winiftifchen, vitaliftifchen Ergebniffe als Fragezeichen
gegen den populären Darwinismus zu verwenden. Endlich
hat fie fich mit den inneren Schwierigkeiten des ehr.
Gottesbegriffs (9.) auseinanderzufetzen. Deismus und
Pantheismus find, diefer als religiös wertlos und inkonfe-
quent, jener als religiös unzureichend und den Tatfachen

durch der Menfch feinen Glauben an eine übermenfeh-
liche Macht zum Ausdruck bringt', ,einen urfprünglichen
und unaustilgbaren Beftandteil des Wefens des Menfchen'
bilde; daß fie über die ganze Erde verbreitet fei, fofern fich
allerorten .Gottesbewußtfein', .Pflichtbewußtfein', Schuldbewußtfein
', ,Erlöfungsfehnfucht' und .Unßerblichkeits-
glaube' finden; daß Gebet, Opfer und — Ahnenverehrung
die Hauptbeftandteile des Kultus vorftellen, in dem fich
die Frömmigkeit äußert. Daraufhin legt der Verfaffer
dar, warum ihm der naturwiffenfehaftliche Evolutionsgedanke
nicht ausreichend erfcheine für die Erklärung des
Werdegangs und der Gefchichte der Religion, und verbucht
die Thefe zu begründen, daß der Monotheismus
die .Urreligion' gewefen fei.

Der zweite Teil bereitet den Vergleich, auf den es
abgefehen iß, weiter vor, indem er ein Bild der außer-
chriftlichen Religionen zu zeichnen unternimmt. Es
kommen zur Sprache: der Polydämonismus; der Polytheismus
(Griechen, Römer, Germanen, Babylonier, Perfer);
das Judentum, und zwar in der Weife, daß zugleich eine
längere Auseinanderfetzung mit Delitzfch und der Bibel-
Babel-Literatur ftattfindtt; der Islam; der Buddhismus.

Der letzte Teil befchäftigt fich fpeziell mit dem
ChrifLntum und ßellt es den übrigen Glaubensformen
gegenüber. Nachdem von der Überlegenheit der Per-
fon Jefu über alle andern Religionsßifter und dem Wert
der Bibel als der ,in allen Heilsfragen entfeheidenden
Autorität und einzigen Erkenntni-quelle' die Rede war,
wird das ,Wefen' der chriftlichen Religion dahin beßimmt,
daß fie zwar auch eine .Summe von Wahrheiten, eine
neue Lehre, eine neue Weltanfchauung' genannt werden
könne, aber das alles doch nur, weil fie ein .persönliches
Erlebnis' fei, ,das durch Chriftus begründete und vermittelte
neue Lebensverhältnis des Menfchen zu dem

des Lebens nicht gerecht werdend, abzuweifen. Betref- persönlichen Gott' oder mit andern Worten .Gotteskind-
fend die vier um den Gottesbegriff fich gruppierenden 1 fchaft auf Grund der Erlöfungstat Chrifti'. Zum Schluß
Probleme: Immanenz und Tranfzendenz, Theodizee, Gott 1 wird dann das Chriftentum noch nach verfchiedenen Seibewußter
Geiß oder erß im Weltleben fich zum Bewußt- , ten hin etwas genauer gekennzeichnet als die ,Erlöfungs-
fein aufringend, Perfönlichkeit, hat die Ap. die Unlös- religion', wobei die Satisfaktionstheorie reproduziert wird,
barkeit derfelben für die Vernunft zu formulieren und , als die .Humanitätsreligion', als die Religion der .Kultur'
zugleich die Erträglichkeit diefer Unlösbarkeit nachzu- und der ,Arbeit' und mit alledem als die .vollkommene
weifen. — Somit foll d. Ap. nicht bekehren, aber dem ' Religion'.

ehr. Zweifler Anßöße und den Aberglauben an die tat- Das Vorßehende dürfte genügen zur Charakterißik

fachliche Notwendigkeit der naturalißifchen W.-A. be- j der Gefamtauftaffung, welche der Autor vertritt. Eine
nehmen, dem Gegner die Schwächen und die axiomatifche eingehende Befprechung erübrigt fich. Das, wie bereit-
Bedingtheit auch der feinen klarlegen und die für die willigß anerkannt werden foll, elegant gefchriebene Büch-
chr. W.-A. fprechenden Elemente in Vernunft und Welt- ! lein fchopft aus fehr verfchiedenen Quellen, aus Falke,
erkenntnis aufweifen — mit flöhlichem Idealismus an j Pfleiderer, Bouffet, Tiele, Jeremias, Sellin, Köberle, ge-
die Arbeit gehend. — Das Aktuelle des Gegenßandes J hört aber in die Gattung der ausgefprochen popularifieren-
rechtfertigt die ausführliche Wiedergabe diefes umfich- , den Literatur. Indeffen felbß in Publikationen diefer Art
tigen Programms, dem ich im wefentlichen durchaus zu-
ßimme und das ich nur nach der Seite der ethifchen Prinzipienfragen
noch erweitert fehen möchte.

Lobberich. Alfred Zilleffen.

wäre wohl etwas mehr Vorficht und Genauigkeit am Platze.
Einige Exempel nur! Wenn einmal die Anficht verteidigt
werden foll, daß der Monotheismus die .Urreligion' war,
fo ließe fich das nach den Arbeiten von Andrew Lang
denn doch noch beffer begründen, als es hier gefchieht
| Es dient nicht der Verßändigung fondern der Verwirrung,
Brunn er Prof. Dr. Georg, Die religiöfe Frage im Lichte der wenn rnindeßens der Schein erweckt wird (S. 4), daß die
Veraleichenden Religionsgefchichte. München, C. H. Beck' Anwendung der .evolutionißifchen Methode' auf die Re-
r u r 1 k i^iiiianHliincr ino8 fVI izcSÖ 8° l'gionsgefchichte den Gedanken der göttlichen Oflfen-
fche Verlagsbuchhandlung 1908. (VI, 135 b.) » barung ausfchließe. Das Bild, das von den polytheißifchen

• • | Glaubensformen entworfen wird, iß unvollßändig und
Die vorliegende Schrift iß zuerft im Jahre 1906 als mangelhaft; fo hätten beifpielsweife bei der Befprechung
.Beilage des Jahresberichts des humanißifchen Gymnafi- | der griechifchen Religion die wichtigßen Ergebniffe der
ums Fürth' erfchienen und jetzt in erweiterter Form ver- j neueren Forfchung wenigßens angedeutet werden müffen.
öffentlicht worden. Sie beanfprucht den Wert einer apo- Und wenn, um noch auf eins hinzuweifen, eine Ähnlich-
logetifchen Leißling und will das Chrißentum, deffen Be- keit zwifchen Buddha und Nietzfche darin gefunden wird,
deutun" zunächß (S. 1 und 2) darin gefunden wird, daß daß beide ,alle Tugenden, Liebe, Moral, Pflicht, Vaterland
es die von der Wiffenfchaft nicht zu bewältigenden Welt- i und Religion' preisgaben, fo wird durch derartige ver-
und Lebensrätsel löß, gegen gewiffe Einwände und An- 1 kehrte und übertriebene Behauptungen fchließlich das

griffe ficherflellen durch einen Vergleich mit andern
Religionen.

Der erße Teil kann als Einleitung gelten. Er flellt

Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt iß. Der Verf.
hat ein ganz richtiges Gefühl, wenn er beßrebt iß die
vergleichende Religionsgefchichte apologetifch zu ver-

feß, daß die Religion als ,der Inbegriff alles deffen, wo- 1 werten. Aber gerade bei dem allgemeinen Intereffe, auf