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Ausgabe:

1908

Spalte:

340-345

Autor/Hrsg.:

Ludwig, August Friedrich

Titel/Untertitel:

Weihbischof Zirkel von Würzburg in seiner Stellung zur theologischen Aufklärung und zur kirchlichen Restauration. 2 Bde 1908

Rezensent:

Zscharnack, Leopold

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. n.

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desfelben anzufchließen. Brun ift literarifch nicht gerade
vernachläffigt gewefen. Aber V.s Buch zeigt doch, wie
viel noch erft feftzuftellen war (der Artikel von A.Werner j
in der Prot. RE.3 III, 513 —14 ift ein Mufter von Unzu-
verläffigkeit). Man muß freilich Freude an der eigentlichen
hiftorifchen Spezialforfchung haben, um V.s Gründ- i
lichkeit zu würdigen. Ich teile V.s Intereffe an Heimats-
gefchichte bezw. an der Gefchichte des Landes oder
der Landfchaft, in der man lebt. Vielleicht würde mich I
in Gießen und Göttingen ein Werk, das fo ernftlich und
forgfältig auf die Gefchichte von Querfurt eingeht (na- j
türlich doch nur foweit dabei Bruns Perfönlichkeit im
Leben und in der weiteren Erinnerung in Betracht kommt),
weniger gefeffelt haben, als jetzt, wo mir der alte
Haffegau fo nahe gerückt ift. Ich würde doch auch
dort empfunden haben, daß V.s Buch keineswegs bloß
für den Lokalhiftoriker Intereffe hat, im Gegenteil durchaus
ins Weite der in der Miffionsgefchichte fo bedeut-
famen Periode des ausgehenden 10. und beginnenden
11. Jahrhunderts führt. Die Miffionsgefchichte der Zeit
hängt eng mit den politifchen Entwicklungen zufammen.
In Bruns Leben treten die Kaifer Otto III. und Heinrich II.
fehr hervor. Geboren wahrfcheinlich 974 als Sohn des j
Burggrafen von Querfurt, irgendwie dem fächfifchen
Kaiferhaufe verwandt, feit 986 auf der Domfchule zu
Magdeburg zum Prieftertum vorgebildet, wurde Brun
vermutlich 997 Kapellan des jungen Otto, mit dem er
geiftig fich fo nahe kam, daß Otto ihn ,feine Seele' genannt
hat. Die verfchleierte, vielleicht nie ganz zu ent- |
rätfeinde Perfönlichkeit diefes Kaifers befchäftigt V. j
immer neu; es ift ein nicht zu überfehender Beitrag zur
Erfaffung diefes fchon als Jüngling faft groß erfcheinen- j
den Kaifers, den V. bietet. Er fieht in dem ,Phantaften'
eine fehr ernft zu nehmende, ihrer felbft auch vollbewußt
gewordene Perfönlichkeit: Otto hat die alte univerfale I
Kaiferherrlichkeit erneuern und danach auf die Kaifer- I
würde verzichten, Eremit, Miffionar in den PTßftapfen !
des von ihm über alles verehrten Adalbert, womöglich [
Märtyrer wie diefer werden wollen. Er ftarb nur 2ijährig
bereits am 23. Januar 1002, in den erften Stürmen feiner |
Politik. Kaum in die Geleitfchaft des Kaifers eingetreten,
mit diefem in Aachen weilend, erfuhr Brun von Adal- 1
berts Martyrium. Fortan hat er zum Kreife Adalberts
gehört, ift auch in Rom 999 in dem Klofter Adalberts
Mönch geworden. Schon fein Firmname, nun auch fein [
Mönchsname war Bonifatius. Er hat auch einiges von
den Ideen diefes Mannes in fein fich bald entwickelndes
Lebensprogramm mit aufgenommen. Unter den Lebenden
wurde der heil. Romuald fein Vorbild und unmittel- |
barer Leiter. Von Silvefter II. mit weitfchauenden Plänen
zum ,Erzbifchof der Heiden' ernannt, 1002, von Heinrich II. [
auch invertiert und auf fein Geheiß in Magdeburg 1004 I
zu feinem Amte geweiht, hat Brun feine Miffionspläne in
Rückficht auf die politifche Lage, die Kämpfe zwifchen
Heinrich und Herzog Boleslav von Polen, mannigfach
modifizieren müffen; fchließlich konnte er doch den Zug
ins Preußenland wagen, auf dem er fehr bald, 9. März 1009,
den erfehnten Märtyrertod fand.

Voigt hat feiner Darfteilung des Lebens Bruns nicht
weniger als 722 Anmerkungen, zum Teil kleine Abhandlungen
beigegeben: nicht unter dem Text, fondern in
einer nachgefchickten Abteilung des Buchs S. 177—330.
Eine Anzahl Tafeln bieten Illuftrationen. In einem großen
,Anhang', S. 331—478 hat V. in deutfcher Überfetzung
Bruns Schriften und die fonftigen Hauptquellen feines
Lebens hinzugefügt. Ein genaues Regifter macht den
Schluß. Von ganz befonderem Intereffe in dem Buche I
finde ich die Unterfuchung über den heil. Romuald und
feine Stellung in der Gefchichte des Mönchtums. Bruns j
perfönlicher Glaube und religiöfer Standpunkt wird in
einem befonderen Kapitel dogmengefchichtlich gut behandelt
.

Halle a. S. - F. Kattenbufch.

Ludwig, Prof. Dr. A. Fr., Weihbifchof Zirkel von Wiirzburg

in feiner Stellung zur theologifchen Aufklärung und
zur kirchlichen Reftauration. Ein Beitrag zur Gefchichte
der katholifchen Kirche Deutfchlands um die
Wende des achtzehnten Jahrhunderts. 2 Bände. Paderborn
, F. Schöningh. gr. 8° M. 22 —

I. Band. Mit dem Bildnifle des Weihbifchofs Zirkel. (X, 377 S )
1904. M. 8—, — II. Band. (VII, 591 S.) 1906. M. 14—.

Es ift erfreulich, daß fich nunmehr auch die katho-
lifche Forfchung an das Studium der Aufklärungsepoche
ihrer Kirche heranmacht und das Bild ergänzt, das uns
die älteren bekannten Werke boten. In den letzten
Jahren haben uns, von Zeitfchriftenauffätzen abgefehen,
F. Geier und R. Hittmair die öfterreichifche Autklärung
befchrieben, indem der erft genannte die Durchführung
der kirchlichen Reformen Jofephs II. (1905) und Hittmair
den jofephinifchen Klofterfturm im Lande ob der Enns
(1906) unterfuchte. Sägmüller hat einen Herd der deut-
fchen katholifchen Aufklärung durchforfcht, indem er
die kirchliche Aufklärung am Hofe des Herzogs Carl
Eugen von Württemberg 1744—1793 (1906) darftellte,
und Ludwig führt uns mit feinem nunmehr abgefchloffenen
Werk über den Weihbifchof Gregorius Zirkel in die
Würzburger aufgeklärten Kreife hinein. deren Streben
aus Joh. Bapt. Schwabs Monographie über P'ranz Berg
an der Univerfität Würzburg (1869) in großen Zügen bekannt
ift. Auch Brauns Gefchichte der Heranbildung
des Klerus in der Diözefe Würzburg (1897) hatte diefe
Epoche des Würzburger geiftigen und kirchlichen Lebens
eingehend behandelt. Den hervorragenden Anteil, der
in diefer Gruppe Zirkel zufällt, hat aber erft Ludwig erkannt
. Er hat damit zugleich deffen ältere Biographien
ergänzt, die in Zirkel wohl den kirchlich katholifchen
Reftaurator und den gewandten Verteidiger katholifcher
Orthodoxie feierten, feine davor liegende aufgeklärte
Periode aber völlig verfchwiegen. Als Ludwig 1899 mit
noch fehr unvollftändigem Material in der Paffauer theo-
logifch-praktifchen Monatsfchrift eine neue Lebensfkizze
Zirkels zu geben verfuchte, hat er felber noch den Vorwurf
hören müffen, er habe unrecht daran getan, das
Bild Zirkels zu trüben und ihm den Verklärungsfchein
der alten Tradition zu nehmen. Es ift Ludwig um fo
mehr zu danken, daß er anftelle des idealen Bildes das
der Wirklichkeit fetzte. Der im privaten Befitz befindliche
Nachlaß Zirkels ift die neue Quelle, der er dabei
folgte; während bisher nur die im Würzburger Ordinariatsarchiv
und im Archiv des Würzburger Priefterfeminars vorhandenen
nachgelaffenen Literaria Zirkels bekannt waren,
geben nun erft feine Tagebücher rechten Einblick in feine
Entwicklung und feine private Gedankenwelt.

Ludwig fchildert im erften Abfchnitt (1,1—224),Zirkel
im Banne der rationaliftifchen Theologie' und des kantia-
nifchen Geiftes. Beides hatte er fchon als Student in
Bamberg und in Würzburg und als Zögling im Würzburger
Priefterfeminar aufgenommen und förderte hernach
diefe aufgeklärte Richtung als Subregens refp. Regens
des Würzburger Seminars (1789—97, 1799—1802), feit
1795 auch als Profeffor der Orientalia an der Univerfität
Würzburg. In den erften Jahren war er protegiert durch
den aufgeklärten Fürftbifchof Franz Ludwig von Erthal,
der die antijefuitifchen und antifcholaftifchen katholilchen
Aufklärer wie Oberthür, Berg, Onymus nach Würzburg
berufen und auch Zirkel felber noch kurz vor dem Ende
feiner Regierung an die Univerfität gezogen hatte. Zirkel
hielt aber an feinem Reformprogramm für das Seminar
und als Auffeher der theologifchen Fakultät an deren
aufgeklärten Richtung auch unter dem neuen Fürftbifchof
Georg Carl von Fefchenbach (feit 1795) feft, obwohl
diefer die Aufklärung zurückzudrängen fuchte: er berief z.
B. als Gegengewicht gegen Oberthür 1797 den orthodoxen
Michael Bergold als Dogmatiker an die Univerfität, mit