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Ausgabe:

1907

Spalte:

481-484

Autor/Hrsg.:

Loofs, Friedrich

Titel/Untertitel:

Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte 1907

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 17.

482

Loofs, Prof. D. Friedrich, Leitfaden zum Studium der Dogmen-
gefchichte. Vierte, völlig umgearbeitete Auflage. Halle,
M. Niemeyer 1906. (XXIV, 1002 S.) gr. 8° M. 9 —

,üie neue Auflage hat diefem Buche nicht nur dem
Umfange nach ein völlig anderes Ausfehen gegeben'. So
leitet der Verfaffer felber das Vorwort zu der teilweis
fchon Ende 1905 erfchienenen vierten Auflage feines
dogmengefchichtlichen Lehrbuchs ein. So dankbar wir
für die ältere Form gewefen, fo aufrichtig freuen wir
uns der bedeutfamen Neuerungen. Nicht bloß weil fie
eine Bereicherung darflellen, und zwar eine fehr weitgreifende
— faft auf das doppelte ift der Umfang ge-
wachfen — fondern weil das Buch in der neuen Form
feinen klar umfchriebenen Zwecken fo gut wie irgend
möglich dienen wird.

Die Stellennachweife und Zwifchenbemerkungen' hat
Loofs jetzt unter den Text verwiefen; dadurch ift der
Text bequem lesbar, die gelehrten Notizen felber aber
find unabhängiger und viel mannigfaltiger geworden. Und
die Darflellung ift im ganzen nicht bloß fehr viel eingehender
, fondern mit Entfernung jedes Scheins, als fei
das Buch eine Grundlage für akademifche Vorlefungen und
alfo Zufammenfaffung der wichtigften Refultate unferer
Disziplin, ganz und gar darauf eingerichtet als Leitfaden
zum Studium der Dogmengefchichte Solchen zu dienen,
die auf diefem Gebiet das Lernen lernen wollen, um
felbftändig weiter zu lernen. Loofs Abneigung gegen
den Titel ,Lehrbuch' kann ich zwar nicht teilen, denn
ich finde ihn nicht mißverftändlicher und keinenfalls an-
maßlicher als den Titel ,Leitfaden'. Aber da Harnacks
großes und durch keinen feiner Nachfolger in den Schatten
geftelltes dogmengefchichtlichesHauptwerk denTitelLehr-
buch trägt, war es gut, daß Loofs, der diefe Auflage
.Adolf Harnack in Dankbarkeit und Freundfchaft gewidmet
' hat, jeden Gedanken an ein Konkurrenzunternehmen
fchon auf dem Titelblatt abwies. Er zeichnet nicht in
großen Zügen die Entwicklung des Chriftentums aus der
Religion eines Einzelnen zu der mit einem feften und
fchweren Lehrgefetz ausgerüfteten Maffenkirche, er zaubert
nicht die Geifter vor unfern Augen herauf, die,
Große neben ganz Armen, das Dogma gefchaffen und
unter dem Dogma gelitten haben; prophetifche Infpi-
ration und künftlerifche Freude an der Form verrät
Loofs nicht: nur fchlicht und gerecht möchte er mitteilen
, was nach feiner tiefgegründeten Erfahrung über
das Werden der kirchlichen Hauptdogmen aus den Quellen
zu entnehmen ift. Zwei Sentenzen hat er zur Charakteri-
fierung feines Buchs aus Gregor von Nyffa und aus Eua-
grius treffend ausgewählt; in der Tat hält er fich von
Ketzerrichterei fo frei wie von dem Spekulieren über
das .Woher' und .Warum' und ,Mit welchem Recht'; der
Lefer foll die Sachen felber kennen lernen und fich darnach
felber fein Urteil bilden. Nur ausnahmsweife fpricht
L. z. B. bei Luther S. 945 von der falfchen Vorftellung,
daß die chriitliche Wahrheit offenbarte Lehre fei, oder
S. 438 Anm. darüber, in welchem Sinn die auguftinifche
Lehre ,ganz richtig', der Semipelagianismus ,ganz falfch'
fei, und in welchem Sinn fie beide .irrig waren und irrig
fein mußten'. Sonft richtet fich feine Polemik faft nur
gegen moderne Mitforfcher und dient dazu, fchwierigere
oder befonders ftrittige Punkte in helleres Licht zu rücken;
und auch fich felber zu beftreiten, frühere Irrtümer ein-
Zugeftehen (z. B. S. 603 n. 4 die angebliche Inanfpruch-
nahme einer latria für den Papft) bringt L. fertig.

Der Aufbau des Buchs ift nur unwefentlich verändert
worden. Hie und da kleine Verfchiebungen der
Grenze zwifchen den Paragraphen, fonft nur Erweiterung
und Vertiefung des bereits Vorhandenen. Daß Loofs da
mit außerordentlicher Gründlichkeit verfährt, die Quellen-
fehriften und die neuere Literatur gleichmäßig an dem
Zuwachs fich beteiligen läßt, auch als Organifator fich
glänzend b ewährt, brauche ich kaum ausdrücklich zu

rühmen. Ich bewundere es nicht am wenigften an feinem
Werk, daß er durch klug überdachte Verweifungen auf
die leichter zugängliche Literatur und auf frühere oder
fpätere Stellen in feinem Buche eine Überhäufung mit
Stoff vermeidet; wer forgfältig lieft, wird auch zu dogmengefchichtlichen
Spezialftudien nicht bloß reichliche An-

] regung, fondern treffliche Anleitung bei ihm empfangen.
Selten nennt L. eine überflüflige Monographie, noch

I feltener überfieht er wichtiges — vor § 35 vermiffe ich

j allerdings eine der tüchtigften Arbeiten, Voifins l'Apolli-
narisme von 1901 —; die Bevorzugung der Artikel der
Prot. Real-Encyl. ift wohl berechtigt, da die betreffenden
Artikel zu den trefflichften in jenem Lexikon gehören;
einige Male mehr hätte indes auch Wetzer-Weltes Kirchenlexikon
empfohlen werden können, und englifche und
erft recht franzöfifche Zeitfchriften enthalten doch auch

[ mehr wertvolle Beiträge zur Dogmengefchichte, als man aus
Loofs' Nachweifen merkt. Was ich in diefen Literaturangaben
kontrolliert habe, zeichnete fich durch die
größte Verläßlichkeit aus; ich betone das um fo lieber,
als das wohlbeleibte Korrigenden-Regifter S. XXI ff. Miß-

j trauen erregen möchte, und in der Tat auch trotz diefer
Lifte genug Druckfehler im Text zu verbeffern übrig
bleiben. Sie find meift harmlos: Mursia wird auch durch
zweimaliges Auftreten nicht gefährlicher als deifcrus hämo
oder ayiovg dxovag. Unangenehmer ift fchon das Schwanken
in der Schreibung yevvqxog oder ysvnzoc, äysvrjxog
neben aybvvnxog, auch Schreibverfehen wie Bidet (ft. z) oder
in Lichtenhan (ft. Liecht), Eudoxia (S. 291) ft. Eudocio. Von
Wichtigerem nenne ich S. 463 Anm. Z. 5 350 ftatt 850,
S. 306 Z. 16 533 ft. 543 und S. 709 n. 8 amissibilitas
ft. inam.; bei A. 10 auf S. 253 wage ich keine Konjektur
. Wenn der alte Elipandus in Loofs' Leitfaden
wirklich Anfpruch auf Nennung feines Geburtstages hat
(S. 455 A. 6), fo möchte ich doch den richtigen 25.
VII. 718 vor dem bei Loofs gebotenen 25. 6. 715 bevorzugen
. Ganz vereinzelt find Orakel wie S. 262 n. 2,
wo zu Eudoxius auf .Eudoxius a. a. O.' oder S. Iii n. 2,
wo die Seitenzahlen, auf die es allein ankäme, ungenannt
bleiben.

S. 708 Z. 16 ift syntheris auch nur Druckfehler für
syntheresis. Aber diefen Ausdruck hätte Loofs trotz alter

[ Gewohnheit synteresis fchreiben und — zumal er in der
vorigen Auflage der Prot. R.-E. nicht einmal im General-
Regifter zu finden ift — feine Ableitung von ovvxriotlv
mit ein paar Worten erklären müffen; die Notiz 6 ift
ohnehin etwas zu kurz geraten. Wo Loofs noch unklar
geblieben ift, hat das faft immer den genannten Grund:
er fpart mit dem Raum. S. 287 n. 6 hätte die Mitteilung
aus dem Ambrofiafter nicht auf die Einwendung
befchränkt werden follen, die er gegen eine von Pelagius
fpäter vertretene Exegefe von Phil. 2 e ff. -erhebt; das
Intereffantere ift ja, was er pofitiv aus der Stelle entnimmt
, gerade fein Wort von dem ädoptivus deus ift hier
unter den Zeugniffen. für altabendländifche termini in
der Chriftologie von erheblichem Wert. Da es fich, wie
L. auch S. 455 anerkennt, um die Wurzeln des fpäteren
fpanifchen Adoptianismus handelt, fo hätte fich hier ein
weiteres Ausgreifen gelohnt. Nicht bloß Avitus ctr.
Eutych. I ed. Peiper 19 29 in quo adoptata illustrabatur
humilitas vom hiftorifchen Chriftus gegenüber dem prä-
exiftenten: (in)quo erat genuina majestas wäre willkommen
, fondern auch die Ifidorus-Stelle (Verarbeitung
Auguftinifcher Sätze), die Hefele Konz.-Gefch. III 2 650 lo
ungeheuerlich mißverftanden hat. Dem § 57 wünfche
ich eine ftarke Auffüllung, auch in Nr. 2, wo die itali-
fchen Zeugen für filioque (z. B. Caffiodor) nicht fehlen
follte n, wo aber auch das Schweigen des fiulgentius Rusp.
Erwähnung verdient. Erft recht die faft bis aufs Jahr
zu datierende Formel eines offiziellen päpftlichen Glau-
bensbekenntniffes für filioque von 681—685 im Liber di-
urnns ed. Sickel 106 21 cf. 96 17. Bei Benutzung diefer

I wertwollen Quelle wäre L. wohl auch einmal auf die

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