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Ausgabe:

1907 Nr. 7

Spalte:

215-220

Autor/Hrsg.:

Hardeland, August

Titel/Untertitel:

Pastoraltheologie. Gedanken und Erwägungen aus dem Amt für das Amt 1907

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 7.

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großen Teil allerdings auch viele andere Moraltheologen 1 aber hat Hardeland den in eine Pafloraltheologie gehörenteilen
, den Stoff mit großer Umficht gefammelt und mit der
Der Verf., der befonders von Rothe und von Pflei- ' ihm eignen peinlich gewiffenhaften Art behandelt. Viel-
derer gelernt zu haben bekennt, hält die gewöhnliche leicht hätte er fich felbft, zumal im Anfange feines
Unterfcheidung zwifchen philofophifcher und theologi- Werkes, noch etwas mehr nach feiner eignen Parole
fcher Ethik weder für notwendig noch für erfprießlich; ' (S. 240) ,Kurze Sätze, keine kraufen Perioden!' richten

er glaubt vielmehr an die Möglichkeit einer Ethik, die
nach beiden Seiten hin genügen könnte, und provoziert
auf das Urteil fachkundiger Lefer, ob ihm ein folcher
Verfuch wirklich gelungen fei. Gefetzt nun, dies fei in
erfreulicher Weife der Fall, fo kann ich doch fchon bloß

follen; an einzelnen Stellen (z.B. S. 27 unten und 52 in
der Mitte) finden fich geradezu Satzungeheuer. Auch
kommen hie und da Bilder und Wendungen vor, die
ftörend wirken, fo die feurige Kohle auf dem Haupte,
die fich bis ins Herz durchbrennt (! S. 61) und der Ver-

das Ideal oder die Aufgabe, die philofophifche und die | gleich des Wortes ,Wenn ich Dich liebe, was gehts Dich
theologifche Ethik überhaupt zufammenzufchweißen, nicht j an?' mit dem Spruche von der Liebe, die nicht das Ihre
als berechtigt und erftrebenswert anerkennen. Um der fucht (S. 24). Aber im Allgemeinen lieft fich das Buch,

prinzipiellen Klarheit willen muß ich vielmehr auf mög-
lichft fcharfe Scheidung der theoretifchen und der
praktifch-moraliftifchen Aufgaben der Ethik dringen.
So werden denn auch die theoretifchen Ausführungen,
die der Verf. in dem erften allgemeinen und grundlegenden
Teile feines Grundriffes gibt, den fchwierigen Problemen
der wiffenfchaftlichen Ethik fehr wenig gerecht.
Der Verf. gibt immer gleich feine eignen Entfcheidungen
und Meinungen, ohne iie in genügend eingehender Aus-
einanderfetzung mit entgegengefetzten Anflehten auch
zureichend zu begründen. Die Frage nach dem Determinismus
z. B. läßt fich doch wirklich nicht fo leicht
und glatt abtun, wie durch die paar Bemerkungen in
§ 70—75. In § 72 wird allerdings mit Recht eine Ent-
wickelung der menfehlichen Willensfreiheit behauptet,
dann aber gefagt, fie wirke ,nie ohne Mitwirkung von
Motiven', ftehe .jedoch nicht unter ihnen, fondern über
ihnen als Ratgeber und kann fogar felbftändig Motive
zumal aus dem tiefften Grunde der menfehlichen Seele
hervorrufen'. Hier haben wir wieder einmal die alte
Unklarheit über den Begriff des Motivs. Denn entweder
läßt man Motive zu, dann ift auch der Wille von ihnen
abhängig, oder er ift frei, dann gibt es für ihn in dem-
felben Umfange auch keine Motive. Der Verf. aber
konftruiert einen Synergismus zwifchen beiden und bevor
allem in den praktifchen Partien, recht gut, und
gewundene und verklaufierte Sätze find wohl in der
Regel nur ein Zeichen, daß der Verfaffer in jeder Hinficht
vorfichtig und gerecht fein will. Inhaltlich find die Darlegungen
gediegen, wohlüberlegt, intereffant und fruchtbar
. Der Verfaffer hat, auch wo er die Tradition vertritt,
fein eignes, felbftändiges Urteil und ein gewiffes Maß
von Freiheit und Weitherzigkeit. Daß er in der Hanno-
verfchen Landeskirche fleht, macht fich in verfchiedenen
Stücken geltend, z. B. bei den Fragen der Gottesdienft-
ordnung, des kirchlichen Unterrichts, des Perikopenzwangs.

In dem einleitenden Kapitel, das für die paftoral-
theologifche Bücherei eines Geiftlichen praktifche Winke
gibt, bedaure ich, daß er gerade bei dem ,Handwerkszeug
für die fpezielle Seelforge' (S. 11) im Unterfchiede
von den andern Kategorien keine einzelnen Namen nennt.
Auch fonft würde ich an der vorgefchlagenen Bibliothek
einige Änderungen vornehmen oder Randbemerkungen
dazu machen. So ift die Büchfelfche Selbftbiographie
zwar hervorragend, aber fie wird doch mit jedem Bande
fchwächer, und der vierte Teil wirft wenig paftoral-
theologifchen Ertrag ab. Einzelne Namen würde ich
ftreichen. Dagegen würde ich z. B. Hü f felis ,Wefen
und Beruf des chriftl. ev. Geiftlichen', Bernhard Riggenbachs
.Chriftliche Gemeindepaftoration' und Beechers

hauptet obendrein, der freie Wille ftehe als Ratgeber I ,Vorträge über das Predigtamt' ungern miffen. Drews'

über den Motiven. Gibt er diefen aber bloß Rat, fo ift
er auch nicht der Faktor, der dann das Wollen und das
Handeln felber leidet; inwiefern jedoch Motive Rat annehmen
follen, ift mir erft recht unerfindlich.

Die fpezielle Ethik des Verf.s fleht nicht über, aber
auch nicht unter dem Durchfchnitt der gleichartigen
Leiftungen anderer Moraltheologen. Sie unterliegt ebenfo

wertvolles Buch über den Pfarrftand wird von H. empfohlen
, ift aber auf fein Urteil über den Rationalismus
leider einflußlos geblieben (S. 216. 470h). Auch meine
ich, daß man aus den beiden Korintherbriefen und dem
1. Theffalonicherbrief hundertmal mehr Pafloraltheologie
lernt als aus den ,Paftoralbriefen'.

Seinen zufammenhängenden Ausführungen über das

wie diefe den allgemeinen Bedenken, die ich in den letzten | geiftliche Amt fchickt Hardeland in zwei längeren AbJahren
mehrfach gegen den herrfchenden Betrieb der theo- 1 fchnitten (13—63, 64—97) eine biblifche Grundlegung

logifchen Ethik geltend gemacht und begründet habe.
Darauf hier wieder zurückzukommen, bietet das vorliegende
Buch nicht hinreichenden Anlaß.

Bonn. ü. Ritfchl.

Hardeland, Superint. Auguft, Partoraltheologie. Gedanken
und Erwägungen aus dem Amt für das Amt. Leipzig,
A. Deichert, Nachf. 1907. (VII, 488 S.) gr. 8° M. 7—

Der verehrte Verfaffer, der uns bereits eine inhaltsreiche
,Gefchichte der fpeziellen Seelforge' (1898) ge-
fchenkt hat, bietet uns nunmehr eine ausführliche pafloraltheologie
' dar. Zum Teil aus gelegentlichen Vorträgen
, jedenfalls überall aus den praktifchen Verhältniffen
und Aufgaben des geiftlichen Amtes herausgewachfen,
verleugnet fie trotz ihrer nicht fitreng wiffenfchaftlichen
Form auf keiner Seite die wiffenfehaftliche Tüchtigkeit

ihres Urhebers. Einige Probleme, z. B. der Einfluß des J werden müffen. In diefer Hinficht ift bereits die Dar-

voraus, in der er einerfeits den ,Erzhirten', andrerfeits
,das apoftolifche Vorbild' fchildert. Trotz mancherlei
wertvoller Gedanken und vortrefflicher Bemerkungen
haben diefe Kapitel mich weniger befriedigt wie die
folgenden. Sie tragen ziemlich ftark den Studierftuben-
charakter, find recht abftrakt und z. T. auch gefucht.
Statt der weitläufigen und oft recht anfechtbaren Erörterungen
, die hier z. B. über die Jefu beigelegten
Namen Erzhirte, Hirte ufw. vorgetragen werden, hätte
H. meines Erachtens beffer getan, wenn er, entfprechend
feinen vorzüglichen Anfätzen auf S. 42 und 46, gleich
ein möglichft zufammenhängendes und eindrucksvolles
Bild von Jefu feelforgerlicher Wirkfamkeit entworfen hätte;
dabei hätten z. B. neben der von H. erwähnten Freudigkeit
und Einfalt auch die Geiftesgegenwart und Menfchen-
kenntnis, die Nüchternheit und abfolute Freiheit von
Phrafen und theologifchen Reflexionen u. a. m. betont

Pfarrers auf die Lektüre feiner Gemeinde, feine Stellung | ftellung der apoftolifchen Wirkfamkeit dem Verfaffer

innerhalb der fozialen Gährung der Gegenwart u. dgl. 1 erheblich beffer gelungen.

werden nur eben geftreift. In die gewaltigen Verfchie- { Die Abfchnitte der nun folgenden eigentlichen Pa-

bungen, die das Pfarramt in unfern Großftadtverhältniffen ftoraltheologie tragen folgende Überfchriften: Perfönliche

erfahren hat, und in die dadurch entftandenen brennenden 1 Erforderniffe; die wiffenfehaftliche Fortbildung; das geift-

Fragen gewinnt man keinen rechten Einblick. Sonft j liehe Dekorum; die Predigttätigkeit; anderweitige Wort-