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Ausgabe:

1906

Spalte:

115-118

Autor/Hrsg.:

Reichenberger, Robert (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. 1585 (1584) - 1590. 2. Abt., 1. Hälfte 1906

Rezensent:

Virck, H.

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Theologifche Literaturzeitung iocö Nr. 4.

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ift doch ein fehr feltener Fall. An diefem Punkt ließe
lieh dann zeigen, wie weit der eifrigen Verteidigung des
alten Glaubens gerade das volkstümliche Element fehlte.
Da Niemann in den Beilagen eine chronologifche Überficht
über die Dialogliteratur gibt (S. 84—90), wäre ihm
der hier vermißte Abfchnitt nicht fchwer geworden, hat
er doch fonft den Unterfchied der konfeffionellen Richtung
in feinem Einfluß auf den Dialog nicht unbeachtet
gelaffen. Z. B. S. 73 bemerkt er, daß die Form der
Reime zur Einkleidung rein theoretifcher Stücke namentlich
von Katholiken gebraucht wird. Doch bietet die
Studie Niemanns auch bei ihrer Befchränkung auf das
rein literargefchichtliche Gebiet für das Verfländnis des
von ihm behandelten Zweiges der Flugfchriftenliteratur
der Reformationszeit manche intereffante Seite. Schon
der ganze Gang ihrer Entwicklung von den Gefprächen
Huttens und rein humaniftifchen Themen aus, die Bedeutung
der Gefprächbüchlein in der religiös hoch erregten
Zeit, ihre lebensvolle, dramatifche und volkstümliche
Ausbildung unter der Einwirkung der Faftnachtsfpiele,
wie das allmähliche Herabfinken zur humaniflifchen
Farblofigkeit nach Abnahme der impulfiven Erregung
ifl: gut gezeichnet. Beachtenswert ifl: der große Einfluß
der Gefpräche Lucians und das rafche Anfchwellen der
Produktion von Dialogen, in den erften Jahren der Reformation
, bis 1524 mit 30 Stück der Höhepunkt erreicht
wird, von welchem fie rafch und andauernd herab-
flnkt und nur vorübergehend 1546 wieder auf 10 fteigt.
Dankbar ift auch die Darftellung der Technik des damaligen
Dialogs zu begrüßen. Ref. möchte befonders
das Licht hervorheben, das jetzt auf Merkur im Karsthans
, auf den ,puerl in Eccius dedolatus und Phila-
lethis dialogns, auf den Genius im Julius dialogus, den
Momus etc. als den dritten Unbeteiligten fällt, der die
Reden anderer Perfonen mit fchlagenden Seitenbemerkungen
gloffiert und an den Narren im Drama erinnert.
Bedauern muß Ref., daß Niemann in dem wertvollen
Verzeichnis der Dialoge S. 84fr. einen großen Teil nur
mit Goed. 10, II, 2 etc. d. h. Goedeke Grundriß II,
§ 140, Nr. 10, 11,2 zitiert, flatt wie fonft den Titel kurz
anzugeben. So kann man das Verzeichnis gar nicht
brauchen, ohne ftets Goedeke zur Hand zu haben. Als
Verfaffer der Beiträge zur badifch-pfälzifchen Refor-
mationsgefchichte (ZGOR. N. F. Band 17—20) hat fleh
Ref. noch befonders über den Nachweis einer bis jetzt
unbekannten Flugfchrift aus jenem Gebiet, des Dialogus
eines Dorf bauern von Dudenhofen und eines Stiftglöckners
zu Speier S. 90 gefreut. Weniger erfreulich ift der öfters
fchwerfällige Stil in langen Sätzen z. B. S. 55 mit 14
Zeilen, die Schachtelfätze und der flarke Gebrauch von
Gedankenftrichen. Auch einzelne Worte erregen Bedenken
, wie z. B. das öfters wiederkehrende ,fpielerig'
und S. 79 Z. 25 .Glaubensfpaltereien', was ein unglücklicher
Ausdruck für theologifche Haarfpaltereien ift.
Aber im ganzen genommen ift diefe erfte Probefahrt
eines jungen Gelehrten unter günftigem Wind ergangen.

Nabern. G. Boffert.

Nuntiaturberichte aus Deutfchland, nebft ergänzenden Akten-
ftücken. 1585 (1584)—1590. Zweite Abteilung: Die
Nuntiatur am Kaiferhofe. Erfte Hälfte: Germanico
Malaspina und Filippo Sega. (Giovanni Andrea Cali-
gari in Graz.) Bearbeitet und herausgegeben von Dr.
Robert Reichenberger. (Quellen und Forfchungen
aus dem Gebiete der Gefchichte. In Verbindung mit
ihrem hiftorifchen Inftitut in Rom herausgegeben von
der Görres-Gefellfchaft. X. Band.) Paderborn, F.
Schöningh MDCCCCV. (L, 482 S.) Lex. 8° M. 20 —

Die vorliegenden Nuntiaturberichte Germanico Malaspinas
und Fillippo Segas vom Oktober 1584 bis April

1587 bilden die notwendige Ergänzung der von Ehfes
und Meifter herausgegebenen gleichzeitigen Berichte der
in Köln ftationierten Nuntien. Handeln letztere hauptfächlich
über die kirchenpolitifchen Vorgänge im weltlichen
Deutfchland, fo haben Malaspina und Sega, da
fle die ganze Zeit hindurch am kaif. Hofe in Prag weilten,
befonders die Lage in Böhmen und den öfterreichifchen
Erbländern im Auge. Bei ihrer Stellung am kaif. Hofe
aber verfteht es fleh von felbft, daß fle auch über alle
wichtigen Dinge im Reich auf das befte unterrichtet
waren und auf den Gang der Ereigniffe dafelbft den
weitgehendften Einfluß zu gewinnen fuchten. Die Berichte
gehören daher zu den intereffanteften aus der Zeit
Kaifer Rudolfs II. — Merkwürdig, wie troftlos den Nuntien
die kirchlichen Zuftände in den öfterreichifchen
Ländern noch immer erfcheinen: Die Weltgeiftlichkeit
ift ohne alle Zucht, das Kirchenvermögen wird für die
allerweltlichften Zwecke in Anfpruch genommen, die
Klöfter find nur von wenigen Mönchen bewohnt, die
fleh kaum noch um die Ordensregel kümmern. Das
Bild, das uns Vergerio und Morone von den kirchlichen
Zuftänden in den dreißiger Jahren entwerfen, ift auch
jetzt noch zutreffend. Die Anftrengungen der Jefuiten
und Gregors XIII für Erziehung eines neuen Gefchlechtes
fittlich tüchtiger und ihrer Kirche ergebener Priefter haben
fcheinbar noch keinen Erfolg gehabt. Der Hof fleht
diefer Lage im ganzen und großen ziemlich gleichgültig
gegenüber, und man erkennt deutlich, daß ohne die
unausgefetzten Bitten, Ermahnungen und Ratfchläge fo-
wie das tätliche Eingreifen der Nuntien nichts Wefent-
liches von ihm zu erwarten ift, um den fcheinbar unabwendbaren
Ruin der Kirche aufzuhalten. Der Kaifer
felbft zwar ift rechtgläubig und hat den beften Willen,
der Kirche zu dienen. Aber die ewigen Geldverlegenheiten
, in denen er fleh befindet, die allezeit drohende
Gefahr vor den Türken, vor allem aber fein Charakter
verhindern ihn, jener Aufgabe gerecht zu werden. Denn
alle jene Eigenfchaften, die fpäter fo verhängnisvoll für
ihn werden follten, treten nach den Schilderungen der
Nuntien fchon damals deutlich hervor: feine Menfchen-
fcheu, feine Unentfchloffenheit, vor allem aber feine Gleichgültigkeit
und feine Trägheit. Sie hatten fchon einen
fo hohen Grad erreicht und waren fo allgemein bekannt,
daß der Erzbifchof von Trier ihm deswegen die ftärkften
Dinge zu fagen wagte (vgl. Nr. 143). Als Ausfluß diefer
Trägheit muß es auch angefehen werden, wenn der Kaifer
nicht nur die Regierung von Ungarn, fondern auch des
Reiches abzutreten bereit ift, worüber uns Sega bisher
unbekannte intereffante Auffchlüffe gibt. Zu diefen Eigenfchaften
flehen im wunderlichen Gegenfatz das hoch-
gefpannte Bewußtfein feiner kaiferlichen Würde und feine
große Empfindlichkeit, wenn diefe abfichtlich oder unab-
fichtlich verletzt wird. Malaspina wußte diefe Schwächen
in kluger Weife zu fchonen und ihn fo den Wünfchen
der Kurie dienftbar zu machen. Sein Nachfolger Sega
aber, der ohne Rückficht hierauf die Gefchäfte lediglich
nach den Herrfchaftsanfprüchen der Kurie zu führen
unternahm, brachte fich hierdurch um einen guten Teil
des Erfolges. Ja, als er fich herausnahm, die Bulle in
coena domini ohne vorher eingeholte kaiferliche Genehmigung
zu veröffentlichen, fehlte nicht viel, daß man
beim Papfte feine Abberufung beantragt hätte. Allerdings
gelang es Sega, den Kaifer bis zu einem gewiffen
Grade zu verföhnen, aber einen maßgebenden Einfluß
vermochte er nicht zu gewinnen, trotzdem er fich durch
den aus dem reinften Eifer für die Sache Gottes veran-
laßten Verrat eines der vertrauteften Diener des Kaifers
die Kenntnis von deffen geheimften politifchen Abfichten
zu verfchaffen wußte (Nr. 146 per puro zelo d'ü servitio
di Dio me Ii communied). Sehr bedauerte er deswegen,
daß er auf den Kaifer nicht vermittels des Beichtftuhles
einwirken könnte, da Rudolf keinen befonderen Beichtvater
in Prag hatte, fondern gewöhnlich bei einem in