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Ausgabe:

1906 Nr. 16

Spalte:

456-458

Autor/Hrsg.:

Weber, Simon

Titel/Untertitel:

Die katholische Kirche in Armenien 1906

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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455

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 16.

456

Band erfcheint in diefer 3ten Auflage als erfter Band',
(Bemerkung der Verlagsbuchhandlung) und behandelt
die katholifche Theologie bis zum Jahre 1109.

Wenn der Verf. fagt (Vorwort p. VIII), daß die Größe
der Aufgabe die Arbeit einer ganzen Gefellfchaft von
Gelehrten erfordert hätte, fo wird keiner das Recht diefes
Satzes beftreiten, der auch nur eine blaffe Ahnung von
der Fülle der Gelehrfamkeit hat, die zu einem folchen
Werke erforderlich ift. Um fo bewunderungswürdiger
ift es, daß ein Mann die Riefenarbeit auf feine Schultern
genommen und auch durchgeführt hat. In unferer Zeit
der Spezialunterfuchungen hat es immer etwas imponierendes
, wenn ein Mann über ein Wiffen verfügt, das
ihn in den Stand fetzt, einen Nomenciator theologiae catho-
licae zu veröffentlichen. Es liegt in der Natur der Sache
daß der Verf. meiftenteils nicht die Refultate der eigenen,
fondern diejenigen fremder Arbeit darbietet. Vollftän-
digkeit in den Literaturangaben ift nicht erreicht und
auch nicht erftrebt. Und das mit Recht. Wer z. B. auf
dem Gebiete der franzöfifchen Kirchengefchichte arbeitet,
wird es als außerordentlich wohltuend empfunden haben,
daß neben die ungefüge Maffe der Literaturangaben von
Chevalier's Repertoire das fchöne Quellenwerk Molinier's
getreten ift, welches die bedeutenden Arbeiten heraushebt
und nicht mehr das Nichtige in einem Atem mit
dem Hervorragenden nennt. So hat denn auch Hurter
in der Nennung der einfchlägigen Literatur weife Maß zu
halten gewußt. Dem proteftantifchen Lefer wird freilich
die ftarke Bevorzugung der katholifchen Literatur auffallen,
aber foviel ich fehe, find auch die proteftantifchen Werke
nicht wefentlich zu kurz gekommen.

Nicht mit demfelben Maße bin ich mit der Gliederung
des Stoffes einverftanden. Der Verf. lehnt die alphabe-
tifche Ordnung ab, und will die katholifchen Theologen
nach ihrer Zeit (d. h. nach den Jahrhunderten in denen
fie leben), nach ihrer Nationalität und nach den Disziplinen
, die fie vertreten, einteilen. Nun gehört zwar die
Frage nach der Ordnung des Stoffes zu denjenigen, an
denen jeder Kirchenhiftoriker laboriert; aber es hat doch
etwas mißliches, wenn H. alle Theologen in dem Jahrhundert
behandelt, in dem fie gefforben find. Das mag
zur Not bei Männern angehen, deren Leben zwei Jahrhunderten
angehört, wie z. B. bei Hieronymus und Chry-
foftomus. Unerträglich ift es aber, daß z. B. Epiphanius
zu den Theologen des fünften Jahrhunderts gezählt oder
daß Irenäus unter denjenigen des dritten behandelt wird,
fogar hinter Hippolyt und Tertullian. Auch dort wo der
Zufammenhang einzelner Theologen auf der Hand liegt
werden fie getrennt; fo Theognoft und Pierius. Auch
wird Dionys von Alexandrien von den übrigen Origeniften
gefondert. Diefe Beifpiele, die fich übrigens vermehren
ließen, werden den befremden, der an ein Werk wie den
Nomenciator von vornherein mit der Erwartung herantritt,
daß neben dem chronologifchen auch der dogmenge-
fchichtliche Gefichtspunkt an die Anordnung des Stoffes
herangetragen wird. Hiermit kommen wir auf die fchwache
Seite des Buches. Dem Verf. ift der Vorwurf gemacht
worden, er habe die Ketzer nicht genügend berückfichtigt;
er verwahrt fich dagegen mit der Bemerkung (Vorwort
p. IX f.), die Gefchichte der Ketzer gehöre in eine Überficht
über die kathol. Theologie ebenfowenig herein, wie die
Erwähnung von Spaniern und Amerikanern in eine Biographie
Deutfchlands oder Frankreichs. Der Vergleich
ift fo unglücklich wie möglich, denn wer wüßte nicht,
welche entfcheidende Rolle gerade die Ketzer in der
Gefchichte der kathol. Kirche, namentlich in der alten
Zeit gefpielt haben? Diefer Erkenntnis kann fich auch
der Verf. nicht ganz verfchließen, denn einzelne Ketzer
befpricht er wenigftens in Anmerkungen. Wir Proteftanten
werden bei einem Jefuiten ein tieferes Eindringen in die
Dogmengefchichte ja von vornherein nicht erwarten; aber
auch unter diefer Vorausfetzung ift es doch ein ftarkes
Stück, wenn der Verf. stegl ctQ^ojv für ein Jugendwerk

des Origenes (col. 56) und die Priscillianer für Gefinnungs-
genoffen der Manichäer (col. 280) erklärt, oder wenn er
rindet, Hermas hätte den Novatianern Vorfchub geleiftet
(col. 21) und die Lektüre des Ambrofiafter fei unerfreulich
und unfruchtbar (col. 184).

Überhaupt fleht Hurter an vielen Punkten doch noch
viel zu Mark unter dem Druck der älteren kirchen-
hiftorifchen Überlieferungen. Das äußert fich zunächft
in einer gewiffen Unbeftimmtheit, die hier und da zu
Tage tritt. Es ift mir nicht klar geworden, ob der Verf.
den Barnabasbrief nicht doch am Ende für echt hält
(col. 2 f.) und wie er zu der Frage nach dem Martyrium
des Irenäus unter Septimius Severus fleht (col. 89).
Vollends find die Zugeftändniffe, die er der neueren
Wiffenfchaft in bezug auf Hippolyt macht, fehr gering
und fehr zögernd (col. 64ff.); und bei Clemens Romanus
und Hermas fei es noch immer fraglich, ob fie nicht
doch im N. T. erwähnt würden. Auch findet fich einzelnes
, was direkt als fehlerhaft zu bezeichnen ift: der
Verf. glaubt an die Exiftenz des Ketzers Ebion (col. 131)
und verfetzt Pachomius auf dieNilinfelTabennä(col. 224).
Die Apologieen Juftius feien die Veranlaffung zum
Chriftenedikt des Antoninus Pius gewefen (col. 28) und
der Tractatus de Susanna Hippolyts fei neben dem Daniel-
commentar ein felbftändiges Werk (col. 68). Der Traktat
de Mysteriis des Ambrofius ift doch wohl unecht (col. 120 f.)
und ob wir es aus Hilarius entnehmen dürfen, daß Mareens
namenlofe Schrift den Titel de subiectione Domint
Christi trug, (col. 172) ift fraglich. Auffallend ift die
Vorliebe des Verfs., den Hieronymus dort zu zitieren,
wo Eufebius die primäre Quelle ift. In dem Abfchnitt
über den Barnabasbrief (col. 2 ff.) vermiffe ich eine Ausführung
über die zwei Wege fowie über die vielen Fragen,
die fich daran knüpfen.

Die angegebenen Fehler und Mißgriffe, ebenfo wie
die häufigen Druckfehler werden indeffen den kundigen
Lefer in der fruchtbaren Benutzung des Nomenklators
nicht ftören. Er wird trotzdem ein in vieler Beziehung
wertvolles Handbuch bleiben.

Göttingen. Walter.

i Weber, Prof. Dr. Simon, Die katholifche Kirche in Armenien.

Ihre Begründung und Entwicklung vor der Trennung.
Ein Beitrag zur chriftlichen Kirchen- und Kulturge-
gefchichte. Freiburg i. B. Herder, 1903. (XX, 532 S.)
gr. 8° M. 9—; geb. M. 11 —

Das tüchtige Werk verdient immer noch eine Anzeige
. Ich habe es zur Befprechung erhalten, als ich in
der Unruhe der Überfiedelung von Gießen nach Göttingen
ftand, habe damals bei feinem großen Umfange nicht die
Möglichkeit gefunden es zu lefen und es dann unter
dringenderen Arbeiten mehr oder weniger vergeffen
gehabt. Nachdem ich es nunmehr endlich vornehmen
konnte, ift es mir als eine fehr willkommene Bereicherung
unferer deutfehen Literatur erfchienen. Wir Deutfchen
find den Armeniern gegenüber wiffenfehaftlich in einiger
Schuld. Was Gutfchmid und Geizer zur Erforschung
ihrer Gefchichte beigetragen haben, ift fehr
bedeutfam. Aber außer diefen zwei Hiftorikern hat
kaum noch einer (Lagarde u. a. haben doch nur Nebenfächliches
geleiftet) etwas Selbftändiges und Erhebliches
zur Forfchung beigefteuert. Zumal auch wir Theologen
find nicht auf dem Platze gewefen. Ich beurteile jetzt
1 nachträglich den Abfchnitt, den ich in meiner Confeffions-
kunde I, S. 205 ff., den Armeniern (,Gregorianern') gewidmet
habe, als recht unzulänglich, zumal in der
allgemeinen Bewertung ihres Kirchentums. Vielleicht
darf ich darauf aufmerkfam machen, daß 1891 noch
entfernt nicht fo reichliche und gute Spezialforfchungen
vorlagen, wie fie feither erfchienen find. Auch find uns
die Armenier feither erft menfehlich nahe getreten. Gut