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Ausgabe:

1905

Spalte:

577-579

Autor/Hrsg.:

Kirn, Otto

Titel/Untertitel:

Grundriß der Evangelischen Dogmatik 1905

Rezensent:

Lobstein, Paul

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felbft den Hauptwert legte. Vorliegendem Verfuch ift
es gelungen, diefe Lücke auszufüllen, indem fie die apo-
logetifchen Beftrebungen des viel gelefenen Lehrers in
ihrer Gefamtheit vorführt. Die mit Approbation des
Erzbifchofs von Freiburg veröffentlichte Schrift ift eine
faubere und folide Arbeit, welche in drei Teilen (Ver-
nunftwiffen 5—36, Glaube und Wiffen 37—76, Bibelkntik
und altteftamentliche Weisheit 77—103) die Grundzüge
der Huetfchen Apologetik, fowohl in ihren prinzipiellen
Vorausfetzungen als auch in einigen ihrer Sonderausführungen
eingehend und in der erwünfchten Vollftändig-
keit darfteilt. Der Verf. hat die Gefahr vermieden, welcher
die meiften monographifchen Unterfuchungen erliegen:
er überfchätzt feinen Helden nicht. Huet ift ihm ,ein
Vielwiffer, deffen Erfaffen wohl in die Breite, aber nicht in
die Tiefe geht'. Ebenfo hat er fehr richtig bemerkt, daß
der Skeptizismus des Bifchofs nicht originell ift. Sehe
ich aber recht, fo fußt die Begründung der fkeptifchen
Grundanfchauung Huets weniger auf Sextus Empirikus als
auf dem fkotiftifchen Nominalismus. Den Zufammen-
hang mit letzterem, namentlich mit Biel, hat E. zwar zu
wiederholten Malen hervorgehoben, ein gründlicherer
Nachweis desfelben wäre indeffen erwünfcht gewefen.
Was den dritten Teil der Schrift betrifft, fo urteilt unfer
Verfaffer gut katholifch, es hätte bei Huet ,die Echtheit
der Heiligen Schrift noch durch das Zeugnis der unfehlbaren
Kirche erhärtet werden können und follen'. — Als
wefentlichen Mangel wird man es bezeichnen müffen, daß
E. die Gedankenwelt feines Autors viel zu fehr von ihrem
Milieu ifoliert. Von der Beziehung zum Nominalismus
war foeben die Rede; nicht weniger intereffant und
wichtig wäre indeffen die Unterfuchung des Verhältniffes
Huets zu Montaigne, befonders aber zu Pascal. Das
Schlußkapitel der Schrift von Bartholmeß, Huet et le
scepticisme tlüologique. Paris 1850 (S. 167—207) bot hiefür
zwar keine eigentliche Vorarbeit, wohl aber wertvolle
Andeutungen. Es ift fchade, daß E. diefe Linie nicht
weiter verfolgt hat.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Kirn, Prof. D. Otto, Grundriß der Evangelifchen Dogmatik.

Leipzig, A. Deichert, Nachf. 1905. (VII, 126 S.) gr. 8°

M. 2.20; geb. M. 2.80

Es ift mit befonderem Dank zu begrüßen, daß neuerdings
an Stelle der oft fo verhängnisvollen Kompendien
der Dogmatik uns Grundriffe gefchenkt worden find, in
denen nicht nur die Zuhörer der Verfaffer den Stoff zur
felbftändigen Verarbeitung der Vorlefungen finden, fondern
auch die Fachgenoffen über die Anlage des entworfenen
Syftems, die methodologifchen Grundfätze und
die Behandlung der Probleme erwünfchte Auskunft erhalten
. Nach dem Vorgange von H. Schultz, M. Reifchle
u. a. veröffentlicht Luthardts Nachfolger auf dem Lehr-
ftuhl der fyftematifchen Theologie, welcher uns bereits
vor vier Jahren die Skizze einer Ethik mitgeteilt hatte,
einen ,Grundriß der evangelifchen Dogmatik'.

K. will fich nicht .auf die Reproduktion und Verteidigung
eines gegebenen Lehrgebäudes befchränken';
er ift beftrebt, ,in Fühlung mit dem wiffenfchaftlichen
Leben der Zeit, Hinderniffe für die Aneignung der chrift-
lichen Wahrheit hinwegzuräumen und Wege zu ihrem
Verftändnis zu bahnen'. Dabei fällt ihm aber ,das Haupt- i
gewicht nicht auf die Ausgleichung der chriftlichen
Glaubensgedanken mit dem fogenannten modernen Weltbild
. Diefts ift eine viel zu unfertige und fchwankende
Größe, als daß es unfere religiöfe Überzeugung ohne
weiteres beftimmen dürfte'. Dagegen bemüht fich der .
Verf. nach einer andern Seite ,um die Herftellung befferen j
Einklangs'. Er erhebt die Forderung, ,den geficherten 1
Ergebniffen der exegetifchen und biblifch-theologifchen | 1
Forfchung den Einfluß auf die Geftaltung der Dogmatik I '
zu vcrfchaffen, den das recht verftandene Schriftprinzip ' 1

unferer Kirche verlangt'. Nur unter diefer Bedingung
■ ,ift der dogmatifche Unterricht eine Zufammenfaffung des
1 religiöfen Ertrags des gefamten theologifchen Studiums',
i Obgleich K. in eine ausführlichere Auseinander-

fetzung mit den Vertretern der .modernen Weltanfchau-
ung' nicht eintreten will, weift er der Dogmatik, neben
der analytifch-kritifchen und der fyftematifchen, auch eine
apologetifche Aufgabe zu. Die Dogmatik .erweift die von
ihr dargelegte chriftliche Glaubenserkenntnis als die religiöfe
Wahrheit vor allem dadurch, daß fie die im Glauben
felbft enthaltenen Gründe feiner Gewißheit aufzeigt, aber
auch weiterhin dadurch, daß fie feine Vereinbarkeit und
feinen Zufammenhang mit der außerhalb des Glaubens
zugänglichen Wahrheitserkenntnis dartut' (3). Auf diefe
,PLingliederung der religiöfen Überzeugung in den geiftigen
Gefamtbefitz' (26) legt K. den größten Wert. Zwar ,er-
fcheint die Übereinftimmung der Glaubenserkenntnis mit
dem Wiffen über die Welt als ein nie erreichtes Ideal'.
Indeffen hört die ,Spannung zwifchen dem Weltbild des
Wiffens und der die allgemeine Erfahrung kühn über-
fchreitenden Weltanfchauung des Glaubens auf, unerträglich
zu fein, fobald wir uns deutlich machen, daß die
wiffenfchaftliche Welterklärung nicht eine Totalanficht
der Welt liefern will und kann, fondern immer nur Teilinhalte
des großen Weltzufammenhangs an der Hand
beftimmter Prinzipien analyfiert . . . Die auf Grund
der wiffenfchaftlichen Arbeit fchärfer erkannten Gefetze
einzelner Gebiete Mellen wir in die höhere und um-
faffendere Beleuchtung des Glaubens... Die innerweltlichen
Tatfachen, durch welche die den Glauben
leitende Offenbarung fich vollzieht, könnten nicht wirklich
geworden fein, wenn fie nicht mit den Tatfachen
der allgemeinen Erfahrung durch eine umfaffende Gefetzmäßigkeit
verknüpft wären. Die Erkenntnis diefer Verknüpfung
ift uns freilich nur aufgegeben, nicht gegeben
. Aber wir dürfen hoffen, daß die wiffenfchaftliche
Erforfchung der Welt und das Glaubensverftändnis
derfelben zuletzt in Einem Punkte zufammentreffen. So
lange wir noch auf dem Wege zu diefem Ziele begriffen
find, wird die Glaubenserkenntnis wefentlich teleologisches
Verftändnis der eigenen Erlebniffe und des
irdifchen Gefchehens überhaupt fein, während die kau-
fale Zurückführung des Weltlaufs auf Gottes Walten zwar
dem Glauben fftefteht, aber unferer dermaligen Einficht
entzogen bleibt' (35—36).

Auf die dogmatifche Prinzipienlehre (6—36) läßt K.
das dogmatifche Syftem (37—123) folgen, deffen Mittelpunkt
er in der .Verwirklichung des Reiches Gottes auf
dem Wege der durch Jefus Chriftus geftifteten Erlöfun"'
erblickt. Die vier Hauptftücke, die fich ihm hieraus ergeben
, find: die Vorausfetzungen der Verwirklichung des
Reiches Gottes (Gott, Welt, Menfch, Sünde), die Verwirklichung
des Reiches Gottes (Lehre von Chrifti Perfon
und Werk, Heilsaneignung), die Vollendung des Reiches
Gottes, die Vollendung der chriftlichen Heilserkenntnis
im Glauben an den dreieinigen Gott. — Läßt bereits
diefe Anordnung den Einfluß Ritfchls erkennen, fo mbt
fich derfelbe auch fonft in der Frageftellung und in der
praktifchen Raffung der chriftlichen Glaubenserkenntnis
kund. Wenn er daneben häufig R.s Standpunkt zu ergänzen
oder zu berichtigen fucht, fo wird man in den
meiften diefer Korrekturen einen auch fonft von andern
angedrehten Fortfehritt erkennen müffen. So urteilt K
daß Ritfehl, indem er die Offenbarung auf die gefchicht-
hche Begründung des Reiches Gottes durch Chriftum ein-
fchrankt, damit zwar ihren Höhepunkt und wefentlichen
Inhalt, nicht aber ihren Umfang richtig benimmt (17)
Er will den von R. aus der chriftlichen'Gotteslehre aus-
gefchaltenen Begriff des Abfoluten ,als Formbeftimmung'
nicht entbehren; ,es darf diefer Begriff aber allerdings
nicht ohne die inhaltlichen Merkmale gedacht werden
welche die Offenbarung uns erfchließt' (42). Ebenfo ent-
fchieden lehnt er R.s Ableitung der Sünde aus der Un-