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Ausgabe:

1905 Nr. 1

Spalte:

28

Autor/Hrsg.:

Gönner, Richard

Titel/Untertitel:

Das Kirchenpatronatrecht im Grossherzogtum Baden 1905

Rezensent:

Frantz, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 1.

28

dem der fittliche Prozeß in völliger Abgelöftheit und
Autonomie konftatiert ift, tritt das rein logifche Moment
der Widerfpruchslofigkeit als fein Halt und fein Kennzeichen
auf, gleichfam als das Gefetz feiner Gefetze. Auf
religionsphilofophifchem Gebiete liegt in jener Grundtendenz
die Urfache dafür, daß Kant zwar eine fehr wertvolle
und tiefe feelifche Möglichkeit für die Religion
deduziert hat, daß er aber an dem Wefen der Religion
d. h. derjenigen Wirklichkeit, die nun einmal hiftorifch
diefen Namen trägt, vorbeigegangen ift. ,So entfchieden
er jeden theoretifchen Beweis für das Dafein Gottes ablehnt
, fo foll uns doch nur die Überlegung, daß die
Harmonie des vollendeten Glücks mit der vollendeten
Sittlichkeit nur durch ein göttliches Wefen möglich fei,
an diefes glauben laffen' (S. 129). Es war daher kein
ganz glücklicher Ausdruck, es einen Primat der prak-
tifchen Vernunft zu nennen, wenn, bei der Legitimierung
der theoretifch unerweislichen Ideen Gott, Freiheit und
Unfterblichkeit aus fittlichen Bedürfniffen die Wiffen-
fchaft ein paar Begriffe mit denen fie felbft nichts anzufangen
weiß, dem praktifchen Bedürfnis zu geftalten
überläßt und damit die Sicherheit gewinnt, daß diefes
praktifche Bedürfnis fich nie in ihre Angelegenheiten ein-
mifcht. Denn in dem Sinne, in dem die praktifche Vernunft
die Ideen aufnimmt, macht die theoretifche Vernunft
überhaupt gar keinen Anfpruch auf fie. Am tiefften
aber wirkt jener Intellektualismus, deffen Wefensrichtung
ftets auf die Zerlegung in Elemente geht, darin, daß
Kant auch die Religiofität überhaupt nicht als ein einheitliches
Gebilde, als einen Trieb aus eigener Wurzel
anerkennen mag, fondern fie in die von ihm anerkannten
Grundelemente zerlegt, und den Religionsbegriff aus dem
moralifchen und dem Glücksintereffe zufammengefetzt
fein läßt. ,Das ganz Spezififche der Religion aber, das
weder in Moral noch in Glück aufgeht, die unmittelbare
Hingabe des Gemüts an eine höhere Wirklichkeit, das
Nehmen und Geben, die Einheit und Entzweiung, jenes in
fich ganz Einheitliche des religiöfen Zuftandes, das wir
nur durch eine Vielheit folcher gleichzeitig gültiger Anti-
thefen fehr unvollkommen andeuten können — das zu
kennen verrät Kant an keiner Stelle' (S. 131 f.). Aus dem
weiteren reichen Inhalt des Buches kann ich nur noch
kurz hinweifen auf die Ausführungen über den Kantifchen
Begriff der Individualität als des allgemeinen Menfchen, der
doch zugleich Individuum ift' (S. 172 ff.), und auf die Art,
wie der Verf. Kants Regulative Prinzipien' in der Richtung
einer Gefamtweltanfchauung zu verwerten fucht.
Die in Kants ,Ding an fich', wie in feinem Freiheitsbegriff
liegenden Widerfprüche rühren daher, daß aus
einer bloßen Funktion eine Subftanz geworden ift. Wir
müffen bei der bloßen Funktion flehen bleiben. Die
fubftantialiftifche Anficht, daß die Freiheit gleichfam etwas
für fich Exiftierendes wäre, ift ,ein Rückfall in den
typifchen Denkfehler, der z. B. aus den Zweckmäßigkeitsbeziehungen
innerhalb der Natur einen zweckfetzenden
Gott, außerhalb ihrer fchafft' (S. 150). Wenn dagegen
die Freiheit, wie jene regulativen Begriffe überhaupt uns
berechtigt, fo zu leben und zu forfchen, ,als ob' wir die
abfoluten Ziele erreichen könnten, ,als ob' die abfoluten
Normen gälten, was doch nur in unendlicher Annäherung
an das Ideal fich verwirklichen kann, erlöfen fie uns eben-
fo aus dem leeren Idealismus wie aus dem refignierten
Naturalismus und .retten den ganzen Wert des Abfoluten
und Tranfzendenten in feine Funktion hinein, Sinn,
Ordner und Weg weifer des Empirifchen zu fein' (S. 153).

Vollendet fich in diefer .funktionellen Bedeutung des
Überfinnlichen' wirklich der Grundgedanke der Kantifchen
Weltdeutung? Man mag darin einen gefchickten Verbuch
fehen, innerhalb der modernen relativiftifchen Betrachtungsweife
den Begriffen des Unbedingten noch eine
befcheidene Stelle anzuweifen. Kantifch ift fie aber
nicht. Die Ideen der reinen Vernunft, welche der fpe-
kulativen Vernunft nur als regulative Prinzipien zum

.1 Zwecke der fyftematifchen Einheit dienten, werden auf
dem praktifchen Gebiete zu einer unerfchütterlichen Überzeugung
, die das bloße ,als ob' in ein zeitloses Ja' verwandelt
, deffen eigenftem Wefen jede Auflöfung in ein
Werden widerfpricht. Da gewinnen die vorher proble-
matifchen Begriffe unanfechtbare Realität. Die damit
verbundene Unabhängigkeit der praktifchen Vernunft

I felbft und ihrer Poftulate vom Intellekt, die auch der Verf.
innerhalb gewiffer Grenzen zugibt, fchränkt doch das
Geltungsgebiet des ,Intellektualismus' gerade an dem
Hauptpunkte fo fehr ein, daß es bei aller fyftematifchen
Architektonik doch fraglich erfcheinen muß, ob man einem
Kant, dem fchon frühe die ,reine moralifche Lebensweisheit
' als Lieblingsaufgabe vorfchwebte, eine intellek-
tualiftifche Grundtendenz zufchreiben kann.

Heidelberg. Th. Elfenhans.

Gönner, Rechtsprakt. Dr. Richard, und Kapl. Dr. Jofef
Sester, Das Kirchenpatronatrecht im Grossherzogtum
Baden. Mit einem Vorwort des Herausgebers. (Kirchenrechtliche
Abhandlungen. Herausgegeben von
Ulrich Stutz. 10. und 11. Heft.) Stuttgart, F. Enke
1904. (XX, 318 S.) gr. 8° M. 10 —

Eine Duplizität der Verfaffer, wie fie im vorliegenden
10. und 11. Heft der Stutzfchen Kirchenrechtlicheh
Abhandlungen fich findet, daß nämlich zwei Autoren
dasfelbe Thema durchaus unabhängig von einander behandeln
und gleichwohl ihre Arbeiten zur gemeinfchaft-
l liehen Publikation gelangen, dürfte wohl eine feltene
Erfcheinung fein. Ihre Erklärung findet diefelbe, wie
wir aus dem Vorwort des Herausgebers erfahren, darin,
daß es fich um Bearbeitungen einer von der Freiburger
rechts- und ftaatswiffenfchaftlichen Fakultät im Jahre 1901
geftellten Preisaufgabe handelt, die Ipäter auf Veran-
laffung des Herausgebers einer Umarbeitung unterzogen
wurden, wobei jeder Verfaffer vornehmlich nach einer
beftimmten Richtung tätig wurde, fodaß beide Abhandlungen
einander ergänzen, wodurch ihre Verbindung
durchaus gerechtfertigt erfcheint. Natürlich ließen fich
bei der Gleichheit des behandelten Themas Berührungspunkte
nicht vermeiden. Indeffen bei der Verfchieden-
heit des von jedem Verfaffer vertretenen Standpunktes
(mehr ftaatlicher — mehr kirchlicher) und bei der Eigenart
bez. Einfeitigkeit des von jedem benutzten Materials
tritt auch bei den Punkten, wo beide Arbeiten fich berühren
, eine durchaus verfchiedene Auffaffung und Behandlungsweife
zu Tage, die einen lehrreichen Rückblick
gewährt auf den über das badifche Kirchenpatronatrecht
zwifchen der Regierung und der Kurie geführten langen
Streit. Im Einzelnen gibt Gönner, ohne in eine dog-
matifche Behandlung des geltenden Rechts einzutreten,
eine äußerft gründliche, auf archivalifche Forfchungen
genützte Darftellung der hiftorifchen Entwickelung des
badifchen Patronatrechts und zwar berückfichtigt er auch
die vorbadifche Zeit. Sefter, der feinen Forfchungen
vor allem die Akten der Freiburger Erzbifchöflichen
Kurie zugrunde legt, läßt zwar auch die hiftonfehe Entwickelung
nicht unberückfichtigt, gibt aber weitergehend
eine eindringende fyftematifche Darftellung des badifchen
Patronatrechts. Übrigens wird in beiden Arbeiten auch
das Patronatrecht der evangelifchen Kirche behandelt.
Beide Arbeiten bilden wertvolle Beiträge zur Kenntnis
des badifchen Kirchenrechts.

Kiel. Frantz.

Berichtigung.

In Nr. 8 ThLZ 1904 Sp. 242 habe ich im Referat über ,Steier:
Unterfuchungen über die Echtheit der Hymnen des Ambrofius' dem Verf.
den Vorwurf gemacht, daß er an zwei Stellen ,munus' durch ,Auffindung
der Leiber' fälfchlich überfetzt habe. Herr D. Steier macht mich
heute (14. 12. 1904) darauf aufmerkfam, daß er nicht eine Überfetzung,