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Ausgabe:

1905

Spalte:

15-17

Autor/Hrsg.:

Mpalanos, Dem. Sim.

Titel/Untertitel:

Einai e orthodoxos ellenike ekklesia monon koinonia latreias 1905

Rezensent:

Meyer, Philipp

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 1.

16

Augen nichts als römifche Anfchauung, wenngleich in
neuer Geftalt. Die römifche Kirche lehrt: Daß wir durch
die Liebe gute Werke tun, das ift es, worauf es bei Gott
ankommt; wenn wir fo befchaffen find, fo find wir wirklich
vor Gott gerecht. Harnack lehrt: Daß wir Gott für
unfern gnädigen Vater halten, das ift es, worauf es vor
Gott ankommt; wenn wir fo befchaffen find, fo find wir
wirklich vor Gott gerecht. Nach beiden Anfchauungen
erklärt uns Gott um deswillen für gerecht, was wir felbft
find und haben. Das aber ift das Gegenteil von Luthers
Lehre .. . Wer um feines Glaubens willen vor Gott gerecht
zu fein meint, der ift es in Wirklichkeit ebenfo-
wenig wie der, welcher fich dies um feiner Werke willen
einbildet' (49. 50). Es ift geradezu unbegreiflich, daß W.
fich eine folche Verkehrung der Harnackfchen Deutung
der Gedanken Luthers hat zu Schulden kommen laffen
können. Wo in aller Welt hat W. bei H, gelefen, daß
uns Gott um deswillen für gerecht erklärt, was
wir felbft find und haben? Hat er nicht, ebenfo ent-
fchieden wie Herrmann, den Glauben als ein Werk des
h. Geiftes, als eine Gabe Gottes gefaßt? Hat er nicht
gerade darin das Neue in Luthers Frageftellung erblickt,
daß der Reformator ,mit der Vorftellung gebrochen hat,
als fetze fich das religiöfe Erlebnis aus hiftorifchen und
fakramentalen Akten, die Gott wirkt und in Bereitfchaft
hält, und aus fubjektiven Akten, die irgendwie Sache des
Menfchen find, zufammen' (DG. III, 714). . ,In dem
Schema von der Rechtfertigung bringt L. den Gedanken
zum Ausdruck, daß Gott wirkt, und nicht der Menfch ...
daß die Rechtfertigung durch den Glauben gefchieht,
d. h. durch die Erzeugung des Glaubens: diefer ift nicht
fowohl die menfchliche Antwort auf eine göttliche Handlung
, fondern er ift das Mittel, in welchem Gott die Rechtfertigung
vollzieht und aneignet' (III, 717). Aus diefer
Gleichung der donatio fidei und der remissio peccatorum
erhellt, daß jede katholifierende Deutung des propter fidem,
als handelte es fich um die meritorifche Leiftung eines
felbftgemachten Glaubens, prinzipiell ausgefchloffen ift.
Somit bleibt die ganze Polemik W.s gegen H. gegen-
ftandslos, da fie dem Gegner das Gegenteil von dem andichtet
, was er in Wirklichkeit vertritt. Was von diefem
einzelnen Punkte gilt, ließe fich auch an andern Stellen
nachweifen, bei welchen bald eine Verfchiebung der
Problemftellung, bald eine Mißdeutung der Gedanken der
,modernen Theologie' ftattgefunden hat. Vgl. die wichtige
, voll begründete ,Erklärung' Gottfchicks, Zeit-
fchrift für Theologie und Kirche XIV, 4Ö2—464. —
Trotzdem würden ,die Modernen' einen Fehler begehen,
wenn fie es verfäumten, die lehrreiche und nach manchen
Seiten zu ernfter Selbftkritik auffordernde Schrift zu
beachten.

Straßburg i. E. P. Lob Mein.

MnaXavbg, Arjp. Slfi., IJgoX. &eoX., Eivat rj ÖQ&6do§og
ekXrivtxii ixxXnoia ftovov xoivatvia Xaxgeiug. 'Ev 'A&r)~
vaig, A. X. Begyiavixov 1904. (24 S.) 8°

Diefer kleine Auffatz ift eine der beften neueren
Streitfchriften aus der orthodoxen Kirche. ,Ift die
orthodox-griechifche Kirche nur Kultusgemeinfchaft'?
fo fragt der Verfaffer (die deutfche Formulierung des
Themas rührt von ihm felbft her), und wendet fich mit
feiner Beantwortung gegen die deutfchen Syftematiker,
die diefe Frage bejaht haben, infonderheit gegen A.
Ritfehl und Kattenbufch. Ohne Zweifel hat Balanos
damit einen Hauptkontroverspunkt getroffen, ja vielleicht
den Punkt, der für die neuere Beurteilung der griechifchen
Kirche maßgebend geworden ift.

Gegen Ritfehl, ovxivog jtäoa yvmßtj eftemgrjQ-ij avirev-
xia vstb szXrj&vog fia&nxmv dwoGimfievmv (S. 6), und zwar
gegen deffen Artikel ,der Gegenfatz der morgenländifchen
und der abendländifchen Kirche etc.' in den Proteftan-
tifchen Monatsblättern von Geizer (1858 S. 338—358)

richtet Verfaffer fich zunächft. Wenn der große Göttinger
dort ausführt, daß der Streit um das filioque vor allen
andern dogmatifchen Streitfragen von den Griechen mit
folcher Erbitterung geführt fei, weil der Zufatz zum
Symbol zugleich die unabänderliche Liturgie geändert
j habe, fo entgegnet Verfaffer, daß das Konzil von Chal-
kedon jeden neuen Zufatz zum Symbol verboten habe,
aber nicht aus kultifchen, fondern aus allgemeinen prak-
tifchen Gründen. Auch habe die Polemik von Photios
an nur dogmatifche Gründe gegen den Zufatz vorgeführt.
Daß endlich gerade diefe Frage fo betont fei, habe in
den Zeitumftänden gelegen. Wenn Ritfehl weiter für
feine Behauptung auf den Inhalt der Confessio ort ho doxa
hingewiefen, fo will der Verfaffer für die ruffifche Kirche,
der die Confessio entflamme, ein befonderes Intereffe für
den Kultus zugeben. Diefe Schrift entflamme aber auch
einer Zeit von großer Unbildung. Und endlich gegen
Ritfchls Behauptung, daß die fpäteren Streitigkeiten in
j der orthodoxen Kirche meiflens in Differenzen über den
I Kultus ihren Grund gehabt hätten, macht er geltend, es
fei das ebenfalls für die ruffifche Kirche zutreffend. In
der griechifchen Kirche fei vom 15. bis 17. Jahrhundert
in der Literatur die Myftagogik nicht anzutreffen und die
neueren Streitigkeiten (Kai'ris, Makrakis u. a.) knüpften
an theoretifche Fragen an.

Dann wendet fich Balanos gegen Kattenbufch, b
ostolog iremgeixai ev Eastegia mg av&evxia ev xolg C,i}xrj-
H<xöi xrg tZli]vixijg 'ExxXtpiag und tivai xbvxrng b estiueXe-
ßxegov dGxo).?j{relg stegi xi]V eXXipixijv 'ExxXr/Giav (S. 13).
Hier ift es der bekannte Satz der Konfeffionskunde ,die
Kirche ift in der byzantinifchen Epoche und im gegenwärtigen
ganzen Gebiete der anatolifchen Chriftenheit —
nur Kultusgemeinfchaft', der den Widerfpruch am leb-
hafteflen herausgefordert hat. Der Verfaffer weift darauf
hin, daß die orthodoxe Kirche im eminenten Sinne
I ftaatserhaltende, ethifche und erziehende Anflalt gewefen
I ift und daß fie dem griechifchen Volke alle geiftigen
Güter erhalten hat. Ähnlich wie gegen Ritfehl wird dann
ausgeführt, daß abgefehen von einigen Ausnahmen die
j theologifche Polemik ftets davon ausgegangen fei, ort
[ipvov C,TjX9]fia xlaxemg övvaxcu va elvai xb ymolCov.
j Übrigens will Balanos keineswegs den myftagogifchen
1 Zug in feiner Kirche leugnen, die orthodoxe griechifche
1 Kirche müßte vielmehr am meiften von allen Kirchen
I Wert auf den Kultus legen, da fie die ältefte und ehr-
I würdigftc Kultusform befäße. Allen Kirchen fei übrigens
i der Kultus von hohem Wert, fo daß auch Kultusftreitig-
! keiten vorkommen müßten und auch in der proteftanti-
fchen Kirche vorkämen (Apoftolikumftreit von 1892 S. 19).
Falls in der griechifchen Kirche zu Zeiten die myfta-
gogifche Richtung vorgeherrfcht habe, fo fei das doch
nur eine Richtung, nicht die Kirche felbft gewefen. Meid
feien trübe Zeiten daran fchuld gewefen. Es könne eine
Kirche aber nicht nach zeitweiligen Richtungen, fondern
; nur nach ihrem ewigen Geifte beurteilt werden.

Darf ich noch ein Wort hinzufügen, fo habe ich bei
der erften Anzeige von Kattenbufch' bekanntem Werke
in diefer Zeitfchrift (Jahrgang 1891 Nr. 9, 1892 Nr. 3,
I 1893 Nr. 1) bereits ähnliche Gedanken gegen den Satz
von der Kultusgemeinfchaft geltend gemacht. Der
| Syftematiker prägt manchmal einen neuen großen Gedanken
recht fcharf aus. So auch hier. Schwerlich
I hat aber eine Kirche ihrem Volke das geleiftet, was
die griechifche dem ihren vom 16.—19. Jahrhundert.
So wird denn auch jener Satz etwas eingefchränkt
werden müffen; dagegen wird das Vorwiegen des kulti-
j fchen Elements in der griechifchen Kirche nicht abzu-
ftreiten fein. Was die liturgifche Literatur in neueren
Zeiten anlangt, fo möge Balanos nur an Symeon v.
j Theffalonich im 15., Johannes Nathanael im 16. und
Nikolaos Bulgaris im 17. Jahrhundert denken. Und
von der Bedeutung der liturgifchen Streitigkeiten in der
I griechifchen Kirche zeugt allein der Kollywaftreit am