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Ausgabe:

1905 Nr. 12

Spalte:

351-354

Autor/Hrsg.:

Brückner, Martin

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der Paulinischen Christologie 1905

Rezensent:

Heitmüller, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 12.

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Bibelwerk bloß zum Alten Teftamente anlegen können,
fo mußte nun angefichts des hohen Anlagekapitals umgekehrt
die Verlagsbuchhandlung einen bedeutend ge-
fteigerten Abfatz erwarten und verlangen. Auch das
lange Warten auf das Erfcheinen des Werks mag das
Seinige dazu getan haben, daß man in Gleichgültigkeit
zurückfiel.

Das alles gilt natürlich, wenn es richtig erfchlofifen
ift, nur für Amerika und England. In Deutfchland wird
das englifche Bibelwerk immer nur auf einen kleinen
Abfatz rechnen dürfen, und zwar weit mehr bei Fachleuten
als in den Kreifen, für die es eigentlich beftimmt
ift. Man kann das nur beklagen und jedenfalls die Gebildeten
, die des Englifchen vollkommen mächtig find,
nicht dringend genug auf diefe Quelle der Belehrung
hinweifen. Die Bände find auch jetzt noch in keiner
Weife veraltet. Daß bei uns das Verlangen nach eingehendem
, vorurteilsfreiem Unterricht über biblifche
Dinge groß ift, beweift der Erfolg der Bibelwerke des
Siebeckfchen Verlags und ganz befonders neuerdings der
Religionsgefchichtlichen Volksbücher. Freilich fpielt auch
der Preis bei uns ohne Zweifel eine noch größere Rolle
als jenfeits des kleinen und großen Waffers.

Hoffen wir nun, daß von jetzt an ein neuer Zug in
das Unternehmen komme, daß es bei den fechs vorliegenden
Bänden nicht bleibe, fondern nach Überwindung
der Krifis das fchöne Werk rüftig weiterfchreite,
der endlichen Vollendung entgegen!

Marburg. K. Budde.

Brückner, Lic. Pfr. Dr. Martin, Die Entstehung der Paulinischen
Christologie. Straßburg, J. H. E. Heitz 1903.
(V, 237 S.) Lex. 8° M. 5 —

I. Nicht mit der bisher meift üblichen pfycholo-
gifchen Methode, fondern nur auf gefchichtlichem Wege,
durch Aufzeigung der gefchichtlichen Vorausfetzungen,
kann man das Problem der Entftehung der paulinifchen
Chriftologie löfen. II. Die Bekehrung des Apoftels bildet
naturgemäß den Ausgangspunkt. Zum Inhalt hatte
diefe Bekehrung die Erkenntnis: Jefus ift der Meffias.
Sie beftand in der gewaltfamen Vereinigung zweier
völlig disparater Prämiffen, nämlich der chriftlichen Verkündigung
des Gekreuzigten als des Meffias einerfeits
und des ganz beftimmten, damit ftreitenden vorchrilt-
lichen Meffiasbildes des Paulus andererfeits. Die Synthefe,
die menfchlicher Weisheit unmöglich war, wurde erzwungen
durch das Schauen der himmlifchen Lichter-
fcheinung Jefu bei Damaskus. Dann ergibt fich die
Vermutung, daß diefe himmlifche Lichterfcheinung dem
jüdifchen Meffiasbilde des Paulus entfprach. III. In der
Tat zeigt das paulinifche Chriftusbild (Phil. 2 g ff., 2 Kor.
89, Rom. 153, Gal. 44, Rom. I t. 83) die Vereinigung
von 2 ganz disparaten Elementen, der göttlichen Herrlichkeit
des Chriftus und der menfchlichen Schwachheit
Jefu, — des präexiftenten Gottesfohnes und himmlifchen
Menfchen und des am Kreuz geftorbenen Jefus. Und
nicht nur das Faktum diefer disparaten Seiten erkennen
wir, fondern auch das fachliche und zeitliche Verhältnis
beider: das ,präexiftente Himmelswefen' ift das .urfprüng-
liche felbftverftändliche', jüdifche Chriftusbild, der auf
Erden gekommene und gekreuzigte Jefus dagegen ift eine
,gewaltfam in jenes Bild eingefügte Epifode' (S. 39) und
repräfentiert ,die neuen Züge', die durch die Bekehrung
in diefes Chriftusbild eingetragen find (S. 32). IV. Der
epifodenhafte Charakter der Menfchwerdung zeigt fich
darin, daß der reiche Inhalt des Lebens Jefu für Paulus
fchlechterdings gar kein Intereffe hatte. Nur das bloße
Faktum des irdifchen Lebens hatte für ihn Bedeutung,
nämlich als die im Kreuzestode gipfelnde Erniedrigung
des präexiftenten göttlichen Chriftus, die als eine freiwillige
Gehorfams- und Liebestat erfcheint. V. Aller Nachdruck
ruht für Paulus auf dem himmlifchen Chriftus, dem Sohn

j Gottes, d. h. der reinen Emanation und dem Ebenbilde
Gottes und zugleich dem Urbild des Menfchen, deffen
inneres Wefen xvevfia mit den Attributen der dcp&agöia,
der (Joga und övvupig ift. Wie ift diefe eigentümliche
Chriftologie entftanden?

VI. Der viel gemachte Verfuch, die Entftehung des
präexiftenten himmlifchen Chriftusbildes aus einem Rück-
fchluß zu erklären, den Paulus auf Grund feines Erleb-
niffes gemacht habe, ift undurchführbar, was an dem
fcharffinnigen Verfuch Holftens fpezifiziert wird. Somit
bleibt nach Meinung des Verf. nur die Annahme übrig,
,daß das Bild des Chriftus als des präexiftenten Gottesfohnes
und Himmelsmenfchen das vorchriftl. Meffiasbild des Paulus
gewefenfei' (93). VII. In der konftatierten ,Epifode' der
Menfchwerdung haben wir nun ein ficheres Mittel, alle ficher
chriftlichen Beftandteile aus dem paulinifchen Chriftus-
bilde auszufcheiden und damit des Apoftels vorchrift-
liches Meffiasbild zu gewinnen. Demgemäß wird aus
dem paulinifchen Schema: Präexiftenz —Menfchwerdung
— Poftexiftenz, die Menfchwerdung, die Zeit von der
Geburt bis zum Tode, aber nicht nur diefe, fondern —
überrafchender Weife — auch die ganze Wirkfamkeit
des erhöhten Chriftus bis zur Parufie, ausgefchieden und
felbftverftändlich aus der Präexiftenz und Poftexiftenz diejenigen
Züge, die etwa mit der Menfchwerdung zufammen-
hängen. Als das jüdifche Chriftusbild des Paulus ergibt
fich fomit der ,himml. Chriftus und Sohn Gottes, der als
das Ebenbild Gottes und Urbild des Menfchen vor
aller Kreatur entftanden ift, und der nun als himml.
Geiftwefen bei Gott in göttlicher Gewalt verborgen lebt,
bis er am Ende der Tage im Auftrage Gottes und in

I göttlicher Macht erfcheint, die gottfeindlichen Mächte
vernichtet, das Gericht abhält und das Reich Gottes
aufrichtet, um dann zuletzt die Herrfchaft an Gott felbft

j abzutreten' (97). VIII. Um nachzuweifen, daß diefes Bild
das vorchriftliche Meffiasbild des Paulus gewefen fein
kann, gibt Br. einen lehrreichen uberblick über die
meffianifche Hoffnung zur Zeit Jefu. Das Refultat ift
nach feiner Meinung, daß der Kern der damaligen jüdifchen
Meffiashoffnung, bei aller Verlchiedenheit und
allem chaotifchen Durcheinander, dem eben fkizzierten
paulinifchen Bild entfpricht. IX. Aber auch die fpezififch
paulinifche Ausgeftaltung diefes Kernes in den Einzelheiten
läßt fich in ihrer Herkunft aus dem Judentum
erweifen. Das wird zunächft in bezug auf die .äußere
Form', fodann in bezug auf das .innere Wefen' diefer
(jüd.-paulin.) Chriftologie gezeigt (als Aufgabe des Meffias
die Vernichtung aller böfen Mächte, Erlöfung von
dem Druck der eifiagfitvi]', Wefen des Meffias: Himmels-
menfch). X. Der letzte Abfchnitt foll die Probe für die
Richtigkeit des Bisherigen geben durch den Nachweis,
daß durch die Epifode der Menfchwerdung diefe vorchriftliche
Meffiaserwartung des Paulus zu der jetzt vorliegenden
paulinifchen Chriftologie gehaltet werden
mußte. —

Die durchfichtige, frifche und anregende Schrift hat m.E.
die Möglichkeit, an manchen Punkten die Wahrfch ein-
lichkeit erhärtet, daß die Entftehung der paulin. Chriftologie
in den Hauptzügen — keineswegs in den mancherlei
Einzelheiten — fo zu denken ift, wie der Verf. fie
fich denkt. Und darin beruht der Wert des Buches.
Überzeugend bewiefen hat der Verf. feine Thefe nicht.
Und zwar, wie mir fcheint, z. T. deswegen nicht, weil er
zu viel beweift und zu ficher geht. Bei der großen Un-
ficherheit des Bodens, auf dem die Unterfuchung fich
bewegt, ift äußerfte Vorficht geboten und belieht die
Hauptaufgabe in einer forgfältigen Abwägung der ver-
fchiedenen Möglichkeiten. Das läßt das Buch vermiffen.
Der Verf. fieht meift nur eine Möglichkeit. So ift der
Beweisgang in den erften Abfchnitten keineswegs fo
lückenlos und ficher, wie es die Darfteilung erfcheinen
laffen möchte. Daß die himmlifche Lichterfcheinung
bei Damaskus dem vorchriftl. Meffiasbild des Paulus ent-