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Ausgabe:

1905 Nr. 10

Spalte:

316

Autor/Hrsg.:

Kerler, A.

Titel/Untertitel:

Christliche Gedanken, für die Suchenden unserer Zeit gesammelt 1905

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 10.

316

duction S. 13 ff. — Den gewaltigen Stoff beherrfcht Dargan
im allgemeinen durchaus, im einzelnen aber nicht gründlich
genug. Daß er eine univerfale Betrachtung einführt
und keinem Land den Vorrang in der Ausführlichkeit
gibt, ift zu begrüßen. Für Italien benutzt er, was fonft
noch nicht gefchah, die einheimifchen Werke von Marenco
[L oratoria sacra Italiana nelMedio Evo) und von Zanotto;
auch fonft ift die zufammenfaffende Literatur reichlich
benützt. Nur zeigt fich hier eine gewiffe Vorliebe für
die ältere Literatur: Paniel, Lentz, Rothe kommen viel
mehr zur Geltung als Hering. Die Einzelliteratur aber
hat er nur gelegentlich heranziehen können; fürs deutfche
Mittelalter ruht feine Darftellung faft ganz auf Cruel und
Albert; Linfenmayer ift, wennfchon weniger, benützt. Aber
nicht einmal A. E. Schönbachs Altdeutfche Predigten
haben Beachtung gefunden; was noch mehr ins Detail
geht, erft recht nicht. Und weniger noch als die Einzelliteratur
find die Quellen die Grundlage feiner Arbeit
geworden. Er fagt das für manche Abfchnitte ganz
offen (S. 71. 122 u. ö.); aber er fetzt fich doch zu leicht
darüber hinweg, daß damit feinem Werk in ganzen großen
Partien die Selbftändigkeit verloren gegangen ift, fo
daß es dort nur den Wert einer die allgemeinen Gefichts-
punkte hervorhebenden neuen Zufammenfaffung des von
Anderen Erarbeiteten haben kann. Ja, gar nicht feiten
rächt fich die Ignorierung der Einzelliteratur und der
neueften Literatur bitter. Für Eligius v. Noyon fehlt jede
Kritik an der Vita in MSL; die kritifchen Ergebniffe
betr. der Reden des Columba, des Bonifatius, des Albertus
Magnus find unberückfichtigt geblieben; Keiles Thefe
von der Identität der Deflorationes Patriim mit dem unter
dem Namen des Honorius v. Autun gehenden Werk kennt
er nicht; die .Vorreformatoren' fieht er noch faft ganz
mit den Augen Ullmanns ufw. — Endlich muß konftatiert
werden, daß die Darftellung keineswegs frei ift von einem
Mechanismus der Auffaffung und der Einteilung, der es
erfchwcrt, ein wirklich lebensvolles Bild zu gewinnen. |
Die Gefamtauffaffung ift gar zu fehr durch den allgemeinen
und bis zur Ermüdung geltend gemachten Ge-
fichtspunkt bedingt, daß Steigen und Fallen einander
folgen müffen. ,Action and reaction, revival and decline,
tliis is history' (S. 556). Nein, das ift noch keine Ge-
fchichte, fondern lediglich ein Schema! Die Einteilung
geht gar zu fehr nach den Jahrhunderten; je ein Kapitel
behandelt die erften 3, das 4., das 5. und 6., das 9—II.,
das 11. und 12., das 13., das 13. und 14. Jahrhundert ufw.
Allgemeine Gefichtspunkte fprcchen natürlich mit; aber
fie geben nur hie und da den Ausfchlag. Daß das
transitional, or reformatory age von 1361 —1572 gerechnet
wird, beruht doch auf Überfchätzung der Reform-
beftrebungen vor Luther und ift gründlich zu be-
anftanden.

Dargan hat auf die Vorbereitung diefes Werkes unfraglich
ganz erhebliche Mühe gewendet; er hat einen
längeren Urlaub dazu benützt, um auf deutfchen, fchwei-
zerifchen und franzöfilchen Bibliotheken Studien zu
machen. Er hat ein Zeugnis achtungswerter Belefenheit
und Gelehrfamkeit geliefert, zugleich einen Erweis dafür,
daß wiffenfchaftliches Streben die Arbeit an dem bapti-
ftifch-theologifchen Seminar, dem er dient, beherrfcht.
Aber die Arbeit ift doch über feine Kräfte gegangen.
Wir brauchen in der Tat eine abfolut neue, alle Quellen
neu durchforfchende, alle neuen Studien (z. B. die alt-
deutfchen) ganz gründlich verarbeitende, den einfeitig
kirchlichen Gefichtspunkt (mit D.) aufgebende, mit weitem
Blick Länder und Völker umfaffende Gefchichte der
Predigt. Aber wo die Weite des Blicks mangelnde
Schärfe und Tiefe zur Begleiterfcheinung hat, kann fich
die Wiffenfchaft nicht gefördert finden. Sehr möglich,
daß Bd. 2 und 3, zumal Bd. 3 für die nordamerikanifche
Predigt, viel mehr Eigenes bringen werden. Wir werden
das mit Dank benüizen müffen; denn gerade für jene
Predigt fehlt uns Deutfchen noch außerordentlich viel.

Aber für das Gebiet des Band 1 ift wenig Neues aus D.s
Werk zu gewinnen.

Görlitz. M. Schian.

Kerler, A., Christliche Gedanken, für die Suchendenunferer
Zeit gefammelt. Tübingen, J. C. B. Mohr 1905. (X,
248 S.) gr. 8° M. 2—; geb. M. 3—

Das Buch bietet eine Sammlung von Lefefrüchten
aus der beften religiöfen und theologifchen Literatur der
Gegenwart in der Abficht, .wertvolle chriftliche Gedanken
in anziehender und eindringlicher Form' den .Suchenden
unferer Tage' nahe zu bringen. Männer wie Achelis.
Baumgarten, Bitzius, Joh. Müller, Bouffet, Dörries, Drews,
Dreyer, Eucken, Förfter, Frenffen, Funcke, Gros, Hacken-
fchmidt, Hackmann, Häring, Harnack, Heitmüller, Herrmann
, Hollenberg, Holtzmann, Hülsmann, Jatho, Jul.
Kaftan, Th. Kaftan, Kirmß, Lang, Lühr, Martenfen, Fr.
Meyer, Ad. Monod, Naumann, Paulfen, Peabody, Rade,
Rittelmeyer, Robertfon, Rohrbach, Salomon, Schian,
Schultz, Th. Traub, Weinel u. a. haben dazu beifteuern
müffen. Selbftverftändlich läßt fich gegen die Auswahl
allerlei einwenden. Aber im großen und ganzen wird
man fie als durchaus gefchickt anerkennen müffen, wenn
man mit dem Verf. der Anficht ift, daß eine derartige
Anthologie aus religiöfen und theologifchen Werken
einem vielfach empfundenen Bedürfnis entgegenkommt.
Ob diefe Vorausfetzung zutrifft, darüber muß in letzter
Linie der Erfolg entfcheiden. Aber felbft wenn er dem
Verf. Recht gäbe, würde fein Unternehmen ernfte Bedenken
wachrufen. In feiner zwanglofen Zufammen-
ftellung verlieren nämlich die einzelnen Stücke das individuelle
Gepräge, das fie in ihrem urfprünglichen Zu-
fammenhang aufweifen. Ein Abfchnitt aus Ottos .Leben
und Wirken Jefu' (S. 23) bekommt eine andere Nuance,
als er an feinem urfprünglichen Platze hat, wenn er auf
eine Ausführung von Th. Kaftan über den Offenbarungswert
der neuteftamentlichen Wunderberichte (S. 22) folgt.
Die Auffaffung der Perfönlichkeit Jefu, wie fie Bouffet
und Weinel vertreten, nimmt fich anders aus, als fie gemeint
ift, wenn man fie in einem Buche findet, in dem
zugleich ein fo entfehiedenes Bekenntnis zur Gottheit
Chrifti zu lefen ift, wie es Hackenfchmidt (S. 123) ablegt
. Für die Suchenden unferer Tage aber ift es vor
allen Dingen wichtig, daß fie das Chriftentum in einer
beftimmten individuellen Ausprägung kennen lernen, als
in ernftem Wahrheitsftreben errungene Welt- und
Lebensanfchauung einer charaktervollen Perfönlichkeit.
Dadurch empfangen die religiöfen Wahrheiten erft Gewicht
und Nachdruck. Sonft machen fie nur zu leicht
den Eindruck von fchönen und erhebenden Gedanken,
von denen man äfthetifchen Genuß haben kann, ohne
fein Gewiffen unter fie zu beugen. Trotz diefer Bedenken
foll der Wert des Buches bereitwillig anerkannnt werden.
Er liegt darin, daß es durch die Zufammenftellung der
Glaubensäußerungen verfchieden gerichteter Theologen
die gemeinfame religiöfe Stimmung zu lebendigem Bewußtfein
bringt, die trotz der verfchiedenen theologifchen
Nuancen alle beherrfcht, die auf die Frageftellung des
modernen Lebens wirklich eingehen und fich mit den
Problemen unferer Zeit ernftlich auseinanderfetzen.

Osnabrück. Rolffs.

Bibliographie

von Lic. theol. Paul Pape in Berlin.
jEcutfcbe Literatur.

Meyer, F., Das Buch Hiob, f. die Gemeinde metrifch überf. u. erklärt.
Riga, Jonck & Poliewsky 1905. (in S.) gr. 8° M. 2.20

Staerk, W., Sünde u. Gnade nach der Vorftellung des älteren Judentums
, befonders der Dichter der fog. BuHpfalmen. Eine biblifch-
theolog. Studie. Tübingen, J. C. B. Mohr 1905. (III, 75 S.) gr. 8°

M. 1.50