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Ausgabe:

1904

Spalte:

105-106

Autor/Hrsg.:

Schultze, Victor

Titel/Untertitel:

Codex Waldeccensis 1904

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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105

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 4.

die Hand geboten, auch die vorliegende, dem unterdeffen I
(am 1. Dezember 1901) heimgegangenen greifen Gelehrten
ganz befonders am Herzen gelegene Studie zu veröffentlichen
, die gewiffermaßen das kurz zufammenfaßt, was
Ley über Inhalt und Form des Gedichts von Hiob zu
fagen wußte.

Nach Ley hat der Dichter in Kap. 1. 2, 1-10 und
42, 10-17 eine alte Hiobfage in Profa frei benützt und fie
durah die ebenfalls in Profa gebotenen Verfe 2, ü-ta j
und 42, 7-9 erweitert, um fo in diefen Rahmen fein eigentliches
Werk, den Redekampf zwifchen Hiob und feinen j
drei Freunden und die die Entfcheidung bringenden j
Jahwereden zu (teilen. Rede und Gegenrede werden teils !
wörtlich, teils auszugsweife mitgeteilt, woran fich jedes-
mal eine Charakteriflik der einzelnen Stücke fchließt.
Gelegentlich ftützen Noten unter dem Texte die obenflehende
Überfetzung oder Erklärung. An dem Befland
der Reden Hiobs und feiner Freunde wird im allgemeinen
nicht gerüttelt, nur wird als dritte Rede Bildad's Kap. 25,
1-6 + 24, 18—20 + 27, 13—23 angefehen. Mittel- und Wendepunkt
bildet Kap. 19. Die bekannten Verfe 19, 25 ff.
enthalten die Hoffnung auf eine nach dem Tode eintretende
Anerkennung der Unfchuld Hiobs feitens Gottes.
Statt 1Ü9 "ins 19, 26 lieft L. "Hiy in» ,nach meinem Da-
fein', .Wenn ich nicht mehr bin'. lBp5 fei Randgloffe
zur Bezeichnung einer Lücke: ,fie (die Buchftaben) find
abgeschlagen', .verwifcht'. Das fehlende Wort fei nach
dem parallelen nTnX etwa als P!S"ii$ oder yns herzuflellen.
In den Anhang werden die unechten Stücke verwiefen:
die Elihureden Kap. 32—37 und der Paffus über Nilpferd
und Krokodil 40, 15—41, 26.

Es find, wie der Fachgenoffe fofort erkennt, keine
aufregenden Nova, die uns von Ley fchließlich über
Hiob geboten werden. Ley reiht fich mit diefer Studie
unter die modernen Hiobforfcher einer gemäßigten,
eklektifch kritifchen Richtung, deren Anfchauungen in
weitere Kreife hinauszutragen diefe Veröffentlichung mit
beizutragen imflande ift.

Aber auch der Fachgenoffe wird dem Herausgeber,
der feine eignen Anfchauungen über das Gedicht von
Hiob nicht durchweg mit denen Leys identifiziert haben
möchte, zu danken bereit fein, weil er durch diefe
pofthume pietätvolle Publikation, wie fchon oben gefagt,
die abfchließende Meinung Leys über die Jobiade kennen
lernt und durch die Menge textkritifchen Materials zu
einer erneuten Revifion der eignen Stellung veranlaßt
wird. Vielleicht trägt auch die vorliegende Studie dazu
bei, daß fich der und jener unter den Fachgenoffen mit
Leys ftrophifch und metrifch kritifchen Anflehten be-
fchäftigt, von denen kein Geringerer als Eduard Sievers
eine hohe Meinung hegt. Höher als diefe letzte Studie
Leys famt ihren Vorgängern fchlage ich freilich die
wenigen von Kautzfeh aus dem kurz vor feinem Tode
niedergefchriebenenTeftament mitgeteilten Worte an: ,Ich
war ein glücklicher Menfch'. Wer fo am Ende eines
langen enttäufchungsreichen Lebens von fich fprechen
kann, fleht über dem Dichter des Hiob, mag er auch
fein Werk richtig zergliedern oder nicht!

Ruprechtsau bei Straßburg i. E. Georg Beer.

Schultze, Prof. D.Victor, Codex Waldeccensis (Dw Paul).
Unbekannte Fragmente einer griechifch-lateinifchen
Bibelhandfchrift. München 1904, C. H. Beckfche
Verlagsbuchh. (23 S. 4.) M. 2.50

V. Schultze hat bei Nachforfchungen in dem Archiv
des Waldeckfchen Städtchens Mengeringhaufen als Um-
fchlag einer ,Schützenordnung' des 17. Jahrhunderts
2 Folioblätter gefunden, die griechifch und lateinifch
Teile des Epheferbriefes tragen. Sie erweifen fich als
Fragmente einer, dem duetus der lateinifchen Schrift nach
im 11. Jahrhundert angefertigten genauen Kopie des berühmten
Codex Claromontanus der Paulusbriefe [DJ, alfo
ein jüngeres Seitenftück zu dem Petersburger Sanger-
manenfis [EJ. Wie diefer, fo fetzt D", wie Schultze das
Fragment paffend bezeichnet, die im 7. und 9. Jahrhundert
vollzogenen Korrekturen von D voraus; nur
zweimal hat der Kopift eine folche vernachläffigt. Von
fich hat er in dem griechifchen Text nur einige ortho-
graphifche Fehler hinzugebracht, die übrigens m. E. be-
weifen, daß er etwas von griechifcher Ausfprache wul.lte
(tarpQayrjöd-rjTt ft. HOfpQayioä-nzt, zrjg ft. ztg, xz^O/j ft. xzioiy,
umgekehrt eviyyeXlöazo; mc ft. og; vstsQßäXXcov (l. ov,
eX&ov ft. eXO-cbv; zu övvzsg ft. OVtSg vgl. K. Dieterich Unter-
fuchungen zur Gefchichte der griechifchen Sprache [Byz.
Archiv I, 1898] S. 15—18). Sonft läßt ein Fehler wie ejrcuyt-
Xiag (/ ft. r), xXivbv ft. xaivbv (A ft. A) eher auf mecha-
nifches Nachmalen einer unverftandenen Vorlage fchließen.
Der Schreiber weiß mit den Accenten und Spiritus nicht
recht umzugehen; für letztere braucht er unterfchiedslos
eine feine wagerechte Linie. Der textkritifche Wert des
Fundes i bei diefer Sachlage gering; größer ift der paläo-
graphifche: infofern muß man für die üppige Publikation
mit vorzüglichen photographifchen Reproduktionen dankbar
fein. Bei der Transfeription des lateinifchen Textes
hätten übrigens die Abbreviaturen kenntlich gemacht
werden können. Sch. löft p einmal III 35 pre, fonft I 33,
III 41 pre auf. I 23 = E. 19 ift undeutlich, ob voluntatis
oder mit d voluptatis zu lefen ift (diefe Abweichung ift
S. 20 nicht notiert.) III 12 = E. 2 5 ift deutlich /tos, nicht
vos zu lefen; III 30 == E. 29 gorietur.

Zur Herkunft der Handfchrift, von der weitere Bruch-
ftücke aufzufinden bisher nicht gelang, ftellt Schultze
die Vermutung auf, daß fie durch Johannes von Deventer
(bis 1556 Prior des benachbarten Klofters Volkharding-
haufen) in diefe Gegend gekommen fei. Ich möchte bei
diefer Gelegenheit darauf hinweifen, daß die Zahl der
griechifch-lateinifchen Handfchriften in früherer Zeit größer
gewelen fein muß, als man meid annimmt. So befaß
die Abtei S. Riquier 831 evangelium in graeco et latino
scriptum.

Jena. von Dobfchütz.

Haussleiter, Prof. DDr. Johannes, Zwei apostolische
Zeugen für das Johannes-Evangelium. Ein Beitrag zur
Löfung der Johanneifchen Frage. München 1904
C. H. Beck. (V, 58 S. gr. 8.) M. 1.20

Schon Joh. Gerhard, John Lightfoot und Hengften-
berg haben (wie Haußleiter S. 42 anführt) die Anficht
i ausgefprochen, daß die ,zwei anderen Jünger', welche im
j Anhang des Johannesevangeliums 21, 2 neben Petrus,
i Thomas, Nathanael und den Söhnen Zebedäi erwähnt
werden, Andreas und Philippus waren. Bei Hengften-
berg ift fie fo begründet: ,Wo Petrus fifchen geht, da
wird auch fein Bruder Andreas nicht fehlen, und wo
Andreas ift, da müffen wir auch Philippus erwarten'.
Haußleiter nimmt diefe Anficht auf, fucht mit vielem
: Scharffinn neue Argumente dafür zufammenzubringen
I und knüpft daran weitere Kombinationen. Da nämlich
der Verf. von c. 21 über die erzählten Vorgänge fehr
genau unterrichtet ift, können ihm die Namen der Beiden
nicht unbekannt gewefen fein. Weshalb nennt er fie
alfo nicht? Offenbar aus demfelben Grunde, aus welchem
der Verf. des Evangeliums feinen Namen nicht nennt.
Die beiden ungenannten Andreas und Philippus find alfo
die Verfaffer des Anhanges c. 21. Dies wird auch durch
den Inhalt beftätigt. Da nämlich die anderen Evangelien
nur die dreimalige Verleugnung des Petrus berichten,
nicht aber das Gegenftück dazu, den dreimaligen Auf-
| trag des Auferftandenen an Petrus, feine Lämmer zu
weiden, fo will Andreas durch Erzählung diefer Tat fache
i den Bruder rehabilitieren (S. 45). Auch die letzten Verfe
I (24—25) rühren von den Beiden her. Wer den von

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