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Ausgabe:

1904 Nr. 8

Spalte:

231-233

Autor/Hrsg.:

Clemen, Otto

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Reformationsgeschichte aus Büchern und Handschriften der Zwickauer Ratsschulbibliothek. 3. Heft 1904

Rezensent:

Bossert, Gustav

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231 Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 8. 232

Clemen, Gymn.-Oberlehr. Lic. Dr. Otto, Beiträge zur
Reformationsgeschichte aus Büchern und Handfchriften
der Zwickauer Ratsfchulbibliothek. Drittes Heft.
Berlin 1903, C. A. Schwetfchke & Sohn. (IV, 115 S.
gr. 8.) M. 3. 20

Das dritte Heft von Clemens Beiträgen zur Refor-
mationsgefchichte bringt wieder eine Fülle von Mitteilungen
aus der Zwickauer Ratsfchulbibliothek, welche
für die Gefchichte der Reformation im allgemeinen und
die damalige Literatur, wie für die Biographie und den
Briefwechfel der Reformatoren und die Gefchichte der
Reformation einzelner Gebiete von Wert find. Zugleich
gibt Cl. eine Reihe von Ergänzungen und Berichtigungen
zu den beiden erften Heften und ein Regifter über alle
drei Hefte, für das ihm noch befonderer Dank gebührt.
Die drei erften Arbeiten führen in die Zeit des Reichstags
von Worms. Zuerft tritt der Herold Kaspar Sturm
in ein helleres Licht. Wir lernen ihn auch als Schrift-
fteller kennen. Cl. gibt uns den Inhalt der kleinen, auf
Wunfeh des Landgrafen Philipp von Heffen 1524 verfaßten
Schrift über der ,Erenholden auffkummen', für
welche er den Brief des Aeneas Sylvius vom 1. Juni
1451 als Quelle nachweift. Noch intereffanter ift die

Analyfe von Aloisii Marliani ..... in Lutherum

oratio, welche der aus Mailand gebürtige Bifchof von
Tuy, des Kaifers Sekretär, Ende 1520 verfaßt hatte.
Marliano kann Luthers Vorgehen nicht anders verliehen,
denn als Äußerung augenblicklicher leidenfehaftlicher
Erregung, die von fchlimmeren Hintermännern benützt
werde, womit er Erasmus meint. Die Unfittlichkeit, die an
der Kurie herrfcht, gefleht er zu, aber Luthers Vorgehen
ift ihm Aufruhr und Verleugnung des deutfehen
Geilt es, da er den Huffiten folge. Doch ift Luther nur
etwas abgewichen und darf nur zum Rückzug blafen.
Es hat fall etwas Rührendes, wenn er ihm zuruft: Con-
cilia te religioni, redde te nobis. Drei Stücke find für
Marliano befonders wichtig: Die Fürbitte für die Ver-
florbenen, der Primat des Papftes und die Beichte. Was
er aber dafür vorbringt, ift fehr wenig durchfchlagend.
Im ganzen ift Marliano billig und ruhig, er gefleht zu,
Luther natum {esse) parentibus Christianis et his sanetis
legibus adolevisse et consenuisse non sine magna laude.
Über das Gefpräch zu Leipzig hatte Marliano recht unklare
Nachrichten erhalten. Seine Schrift wird wohl die
Stimmung am kaiferlichen Hof 1520 Ende wiedergeben.
Dankenswert ift, daß die Passio Marthini (!) Lidheri
secundum Marceilum, die gewöhnlich nach Schades Über-
fetzung zitiert wird, im Urtext wiedergegeben ift und
die nötigen Anmerkungen hinzugefügt find, fowie eine
Bibliogrophie der oft gedruckten Flugfchrift, die Cl. Hermann
von dem Bufche zulchreibt. Auffallend ift, daß
hier die Rolle des verleugnenden Petrus dem Kurfürften
Friedrich zugefchrieben wird. Der Dominikaner S. 14
Z. 18, der die Verbrennung von Luthers Büchern und
Bild beforgte, ift Joh. Burkhardi, der fpäter in Bremgarten
und Eßlingen auftaucht (Keim Eßl. Ref. Bl. 44) und endlich
von K. Ferdinand die Propftei zu Thann im Elfaß
ergatterte. Zu dem Vorwurf des Fahlenbruchs durch die
Geiftlichen S. 15 Z. 33 ift die Anekdote heranzuziehen,
welche Jak. Ratz über Aleander in Worms in feiner
Schrift ,Vom Fallen' Ejb erzählt: Aleander habe an Faft-
tagen Bratwürfte mit Fifchhamen aus dem Netz gezogen
und dabei gefprochen: Fiant pisces in nomine patris et
filii et Spiritus saneti. Amen. (Bl. f. w. KG. 1893, 34).
S. 14 Z. 2 1. legem, S. 15 Z. 3 v. u. dicta.

Für die Stimmung in der Schweiz 1523 find die Gedichte
bezeichnend, die ein HKO ausgehen ließ, den Clemen
glücklich in Hans Kotter, Organiii zu Freiburg im Uecht-
land, nachweift, welcher feiner Begeillerung für Luther
kräftigen Ausdruck gibt. Für die Beurteilung des Bauern
von Wöhrd ift der Nachweis wichtig, daß die erfte Ausgabe
der bei Hieron. Holzel in Nürnberg 1524 gedruckten

Predigt, welche vom freien Willen und der Anrufung
der Heiligen handelt, mit ihrer lofen Aneinanderreihung
von Bibeldellen nichts als ein Plagiat ift aus Benedict
Gretzingers Befchirmbüchlein, das noch fehr wenig bekannt
ift, weshalb Clemens Wiedergabe des Inhalts mit
den beigegebenen Erläuterungen und der Bibliographie
fehr willkommen ift. Beachtenswert ift, daß Gretzinger
als ein damals vielgehörtes Thema auf römifcher Seite
den Satz nennt, Chriftus fei allein für die Erbfünde ge-
ftorben. Sodann macht Clemen feine Lefer mit der
Flugfchrift eines Carithonimus Eleutherobius ,in der Stat,
die da krichifch haift Itnon', über das Salve regina bekannt
, den fchon Joh. Ficker (Die Konfutation des Augsb.
Bekenntniffes S. 54) richtig auf Joh. Freysleben, Prediger
in Weiden, gedeutet hat. Clemen weift Markt-Redwitz
als feine Heimat nach. Entgangen ift ihm, daß Freysleben
fchon 1522 die Kirchenordnung von Elbogen unter
dem Namen Eleutherobios, sed tanquam Theodulus
herausgab (Jahrbuch für G. des Prot, in «jfterreich 2,81).
Die zweite Ausgabe ift von Wolfg. Rappolt.

Nicht zutreffend ift die Annahme S. 35, die Univer-
fitätstheologen, mit denen es Lonicer in feinem Berichtbüchlein
und feiner Catechefis zu tun hatte, feien nicht
die Freiburger, wie Ref. Bl. f. w. KG. 1893, 92 angab,
fondern die Ingolftadter, weil Heyden 1524 lagt, die Ingol-
ftadter Theologen verlädern Lonicer als Feind der Kirche,
weil er lehre, Gott allein feianzurufen und nichtdieHeiligen.
Die Gegner, welche Lonicer 1523 bekämpft, gehören einer
,kaiferifchen' Univerfität an, wie Freiburg als öderreichifch
genannt werden konnte, aber nicht Ingoldadt. Sie bekämpften
Lonicer auf Grund feiner Äußerungen in dem
Brief vom Samstag vor Remin. 1522, die Ingolftadter aber
erd 1524 auf Grund feines Berichtbüchleins. S. 37 Z. 26
1. anfewckeln, was allein zum Bild des Richtfcheits paßt.

MitSachfen befchäftigen fich die nächden 5 Arbeiten:
Die Einführung der Reformation in Eilenburg, Antonius
Zimmermann, joh. Gülden (Aureus), Georg von Rothfchitz,
Georg Rauth, der erde lutherifche Prediger in Plauen,
aber fie bieten weit über Sachfen hinaus Anregung.
Wir lernen Zwillings und Kaugisdorfs Wirken in Eilenburg
kennen und daneben die fchriftdellerifche Tätigkeit
des Schuders Georg Schönichen, wie die des Antonius
Zimmermann, deffen Lehre von der Höllenfahrt Chrifli
viel Staub aufwarf, daß er fie widerrief, aber wahr-
fcheinlich in Äpins Auslegung des 16. Pfalm eine
Parallele fand. Ein helles Licht fällt auf den unguten
Schreier Joh. Aureus, deffen polternde Predigtweife die
Reformatoren fehr gut kennzeichnen, der fich aber 1535
in Rochlitz zum Werkzeug der Reaktion hergab und wahr-
fcheinlich ein fchmähliches Ende nahm. S. 56 Z 9 u.
De Wette 5, 37 Z. 8 1. ut redeat. Glücklich id S. 61
Anm. 1 die Korrektur CR. 4, 966 Z. 5 Ibachi datt Hachi
wie der Nachweis, daß der Meißner Domherr und herzoglich
fächfifche Kanzler Georg von Rothfchitz mit Hilfe
Emfers 1525 das Büchlein ,Was die Chridelichen Alten
von der Beycht haben gehalten' verfaßt hat, dabei fällt
auch einiges Licht auf Laur. Soranus S. 65 und Bernh. v.
Dölen S. 70. Die 17 Hauptartikel, welche der frühere
Dominikaner Georg Rauth 1525 herausgab, werden wohl
eine Art Befchirmbüchlein fein, wie das von Lotzer,
Gretzinger und Urb. Rhegius.

Heiter find die beiden Spottfchriften auf Cochläus
von 1529 S. 82 u. 1531 S. 75. In jener wird die halt-
lofe Art feines Schriftbeweifes karrikiert, hier das Rezept
und die Ingredienzen aufgedeckt, mit denen Cochläus
in feiner Polemik arbeite. Das Stück wäre für die heutige
Polemik noch beachtenswert. Das erde Mittel id der
Glaubenseifer oder Fanatismus, dann die Berufung auf
unbillige Richter, die Gefchwätzigkeit, die Verleumdung,
die Lüge, falfche Beweife, der Mißbrauch der Schrift und
der blaue Dund, der mit großen Worten blendet. In
die Bibliothek eines reichen und gebildeten Magnaten,
des Boguslaw von Lobkowitz auf Haffendein, führt