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Ausgabe:

1903 Nr. 1

Spalte:

500-503

Autor/Hrsg.:

Kurth, Julius

Titel/Untertitel:

Die Mosaiken der christlichen Aera. Erster Theil. Die Wandmosaiken von Ravenna 1903

Rezensent:

Achelis, Hans

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 18.

keiten eines Zeitalters in ihrer Bedeutung zu über-
fchätzen, ftatt die Beziehungen auch der Gelehrten und
der Staatsmänner zum Leben ihrer Zeit und zu ihren
Zeitgenoffen ins Auge zu faffen. Damit hängt es dann
zufammen, dafs die Charakteriftik einer Zeit zu fehr abhängig
gemacht wird von den Sternen erfter Gröfse,
während die, welche den Durchfchnitt der geiftigen
Bildung ihres Zeitalters repräfentiren, unbeachtet bleiben.

Nach diefer Richtung hin bringt das Buch von
Glover eine willkommene Ergänzung zur Charakteriftik
des vierten nachchriftlichen Jahrhunderts. Es enthält
eine Reihe lofe aneinander gereihter Porträts von Dichtern
, Fürften, Staatsmännern, Gelehrten jener Zeit, nicht
um die fachwiffenfchaftliche Kenntnifs ihres Lebens und
ihrer Schriften zu vermehren, fondern um ihre Stellung
im damaligen geiftigen und politifchen Gefammtleben zu
kennzeichnen. Er will diefe Perfönlichkeiten in ihrer
Eigenart charakterifiren, ihre erfolgreichen oder nichterfolgreichen
Verfuche fchildern, die Probleme zu erfaffen
und zu löfen, die ihnen allen gemeinfam waren, und zugleich
diefe Verfuche illuftriren aus ihrer religiöfen,
litterarifchen und politifchen Umgebung. Durch zahlreiche
Citate (mit engl. Ueberfetzung) läfst er fie felbft
möglichft zu Worte kommen.

Die Bilder find geiftvoll, mit markanten Zügen gezeichnet
in einer fchönen, auch dem Fremden leicht ver-
ftändlichen Sprache. Jeder, der überhaupt Intereffe hat
für Gefchichte, wird diefe Auffätze gern und mit Vergnügen
lefen. Aber auch der Fachgelehrte, dem fie im
Detail vielleicht nichts Neues bieten, wird ihnen die
Anerkennung nicht verfagen, dafs fie auf forgfamer
wiffenfchaftlicher Arbeit beruhen und ein fehr forgfältig
erwogenes Urtheil zeigen. Ich halte mich nicht für berufen
, hier an einzelnen Stücken Kritik zu üben. Natürlich
liefse fich überall mehr oder weniger fagen,
zumal bei Männern wie Julian und Auguftin. In der 1
Hauptfache ift das Bild auch hier gut getroffen. Ich
begnüge mich im Folgenden damit, die dargebotenen
Bilder zu regiftriren und auf das aufmerkfam zu machen,
was für Theologen befonders bemerkenswerth ift.

1) Eine kurze Einleitung zur Gefammtcharakteriftik
des Zeitalters. Hier die intereffante Bemerkung, wie
in der Perfon Auguftin's alle wichtigen Typen fich vereinigen
: der Rhetor, der Gelehrte, der Neuplatoniker,
der Bewunderer des Antonius, der chriftliche Gläubige
(Gnade), der chriftliche Bifchof, der chriftliche Staatsmann
und der völlig römifche ,Conftiftutionalift der
Kirche'. Auf heidnifcher Seite Abfterben und Nieder- I
gang, auf chriftlicher Seite Leben und Verheifsung des
Lebens (p. 1—19). 2) Ammianus Marcellinus, römi-
fcher Soldat und Staatsmann, kühler Denker und guter 1
objectiver Beobachter. Das Chriftenthum ift ihm gleichgültig
, die Streitigkeiten der Bifchöfe verächtlich, der
Prunk des römifchen Bifchofs ein Gegenftand des Spottes
(p. 20—46). 3) Julian, kurze Lebensfkizze und Charakteriftik
feiner innern Entwicklung in gerechter Abwägung
feiner guten und fchwachen Seiten (p. 47—76).

4) Quintus von Smyrna, ein Nachdichter Homer's mit
allen Schwächen der fterbenden Antike (p. 77—101).

5) Aufonius, ein Typus für den damaligen ,Profeffor'.
Dies Capitel enthält intereffante Einzelzüge zur Charak- |
teriftik des damaligen Gelehrtenlebens und des Schul-
wefens. A. nennt fich einen Chriften, ift aber innerlich
wenig berührt davon. Seine erprjfiepte; enthält lange
Morgengebete, gut orthodox aber kraftlos. Dem Amen
folgt: satis precum datum Deo. ,Gieb' mir mein Aus- I
gehzeug!' Seine Beziehungen zu Paulinus von Nola
(p. 102—124). 6) Women Pilgrims: Melania, Paula,
Eustochium, Silvia Aquitana, Faltonia Proba, Monica,
kurze Lebensfkizzen zur Charakteriftik des damaligen
Frauenlebens; asketifch-exaltirte und häusliche Charaktere
. Aus der Reifebefchreibung der Silvia ift ein
längeres Excerpt in englifcher Ueberfetzung gegeben |

(p. 125—147). 7) Symmachus, Typus für den vornehmen
Römer von guter Bildung und doch befchränktem
Horizont; felbft ohne religiöfen Glauben, tritt er für den
Cult der alten Götter ein. Beziehungen zu Ambrofius
und Auguftin (p. 148—-170). 8) Macrobius, Commen-
tator des Virgil, ohne geiftige Bedeutung. Der Neuplato-
nismus in popularifirter Form. Von der Exiftenz des
Chriftenthums keine Andeutung (p. 171—-193). 9) St.
Augustiners Confessions; Verf. giebt unter Benutzung
der betten Auguftinlitteratur eine Lebensfkizze nach den
Confeffionen mit befonderer Berückfichtigung der innern
Entwicklung Auguftin's (p. 194—215). 10) Claudianus,
Dichter, Vertheidiger der alten Religion und der Gröfse
Roms; die Zweifel an der göttlichen Providenz befiegt
durch den Sturz des Rufinus und den Sieg Stilicho's. Er
citirt in einem Epigramme fpöttifcher Weife einige bib-
lifche Namen: Petrus, Paulus, Sufanna, Thomas, Bartholomäus
, Pharao und Thecla(!) (vgl. p. 241). Von der
bevorftehenden Niederkunft der Kaiferin Maria braucht
er den Ausdruck Sacri Mariac partusl (Cons. Stil. II
342). Allgemeiner optimiltifcher Glaube an Gottes Güte
(p. 216—248). 11) Prudentius, der chriftliche Dichter
verbindet dichterifche Kraft, echte chriftliche Frömmigkeit
und die feinere fprachliche Bildung und Rhetorik
feines Zeitalters; zahlreiche Verwendung biblifcher Phrafen
— aber unbeeinflufst von Pfalmen und Propheten;
einige Proben find beigegeben (p. 249—277). 12) Sulpi-
cius Severus, der Freund des Martin von Tours.
Hinweis auf Bedeutung und Entftehung des Mönchthums
in feinem Gegenfatz zur Hierarchie. Pflege des
innern religiöfen Lebens. Seine Wundergläubigkeit in
Verbindung mit feiner litterarifcher Bildung und völliger
Wahrhaftigkeit. Seine Stellung zum Priscillianismus und
Pelagianismus (letztere wahrfcheinlich falfche Tradition)
(p. 278—302). 13) Palladas, der bittere, ganz peffi-
miftifche Epigrammatiker, der felbft eine Empfindung
hat für den Tod des antiken Lebens; wenig Anfpielungen
auf das Chriftenthum, Verfpottung der Mönche (p. 303—
319). 14) Synefius v. Cyrene, eine fchöne, mit befonderer
Liebe gefchriebene Lebensfkizze des edlen
Mannes. Befonders fei die Aufmerkfamkeit auf den
Brief (p. 349) gelenkt, den Synefius bei Uebernahme des
Bifchofsamts an feinen Bruder fchrieb (p. 320—356).
15) Greek and early Christian novels. Nach einer allgemeinen
Charakteriftik diefer Litteraturgattung werden
folgende Romane kurz befprochen: Cyropaedia, Leben
des Apollonias v. Tyana, Apulejus, Lucian, Longus,
Juvencus (die evangelifche Gefchichte in Hexametern),
Philippus- und Thomasacten, Xantippe und Polyxena,
Evangelium Nicodemi, Paulus-Apokalypfe, Leben des
Antonius — es ift hier etwas viel Verfchiedenartiges zu-
fammengeftellt, fo richtig der leitende Gefichtspunkt
des Verfaffers auch ift (vgl. v. Dobfchütz, Der Roman
in der altchriftlichen Litteratur, deutfehe Rundfchau
1902, 7) (P- 357-386).

Diefe kurze Inhaltsüberficht mag genügen: fie wird
freilich dem Gedankenreichthum des Buchs nicht gerecht
, aber fie mag dazu dienen, darauf hinzuweifen,
welches Material hier behandelt ift. Die Leetüre des
Buches felbft wird Jeden belohnen.

Berlin. Ed. von der Goltz.

Kurth, Pred. Dr. phil. Julius, Die Mosaiken der christlichen

Aera. Erfter Theil. Die Wandmofaiken von Ravenna.
Mit 4 Tafeln in Gold und Farben und 28 anderen
Tafeln. Berlin 1902, Deutfehe Bibelgefellfchaft. (VIII
292 S. gr. 4.) M. 20.—i geb. M. 22.50

Der Verfaffer diefes vortrefflichen Buches ift als Archäologe
ein Schüler Nikolaus Müller's, und er hat fich
feinerzeit im engeren Kreife der Fachgenoffen durch
feine Heidelberger Diifertation über ,üie chriftliche Kunft