Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1902 Nr. 14

Spalte:

400-403

Autor/Hrsg.:

Grisar, Hartmann

Titel/Untertitel:

Geschichte Roms und der Päpste im Mittelalter 1902

Rezensent:

Ficker, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

399

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 14.

400

von dem Auferftehungsglauben. Derselbe allein kann das j unhiftorifch fei. Sagt man aber, das Bewufstfein von
ganze Gebäude nicht tragen. Er hat zwar den Schleier 1 dem auferftandenen oder zukünftigen Meffias ift immer
von manchen dunklen Punkten des Lebens Jefu wegge- 1 wach geblieben, dann ift der Zurücktragungsprocefs nicht

zogen, die Vollgültigkeit der Meffianität Jefu ins Licht
geftellt, wie es die Reden der Apoftelgefchichte und der
Römerbrief erkennen laffen. Infofern kannW. mit Recht
von einem neuen, fpecififch chriftlichen Meffiasbegriff
reden. Schwerlich würde er aber ohne jene Stellen der
apoftolifchen Literatur die kurze, aus der gefchichtlichen
Situation verftändliche Bemerkung über die Auferftehung
Marc. 99 in dem fcharfen, principiellen Sinne einer Theorie
verftanden haben. Warum follte Marcus in diefem Falle
nicht mindeftens ebenfo deutlich geredet haben, wie Johannes
z.B. I2icf Wie eine Theorie zurückwirkt, fieht
man eigentlich erft bei Johannes und zwar durch feine
ganze Darfteilung hindurch. W. meint, den Marcus nach
Johannes interpretiren zu dürfen. Wenn aber Andere den
Ton auf den recht fühlbaren Unterfchied legen wollen?
Und wie ift denn diefer die Darftellung unteres älteften
Evangeliften producirende Auferftehungsglaube pfycho-
logifch nach feiner Entitehung vorzuftellen? Denn je
mehr er für Marcus und feinen Kreis leiften mufs, um
fo mehr fragt man, wie er zu Stande kommen konnte.

mehr ein natürlicher' Vorgang zu nennen. Man könnte
noch verliehen, dafs ein in der gefchichtlichen Erinnerung
fett gewurzelter Gedanke, etwa der von dem
Beginne der Meffianität feit der Auferftehung, gegen den
unhiftorifchen Meffianirungsprocefs reagirt. Aber wie
er felber in der unhiftorifchen Form eines reinen Ge-
dankenprocefses (geheime Meffianität) einen anderen reinen
Gedankenprocefs durchkreuzen foll, das ift ein Spiel, an
dem fich vielleicht die Kritik ergötzen mag, das aber
dem Glauben einer religiöfen Gemeinde kaum
zuzutrauen ift. Man mufs es fagen, in die Gemeinde
verlegt wird die Meffianitätsfrage noch fchwieriger und
dunkler als im Leben Jefu felber.

Mit diefen allgemeinen kritifchen Bemerkungen
glauben wir die W.'fche Arbeit beffer zu ehren, als
durch Hervorhebung ihrer mannigfachen Vorzüge in
methodologifcher Hinficht, in der .Sicherheit und Schärfe
der Analyfe u. f. w. Der antimeffianifchen Strömung
der neueren Theologie kommt W. aufs kräftigfte entgegen
, indem er feinen Standort voll und zielbewufst

Schon bei der Vorausfetzung, dafs Jefus felbft durch 1 in der Gemeinde nimmt. Es ift gut und für die Wiffen
pofitive Belehrung über die Eigenart feiner Meffianität fchaft förderlich, dafs die Sache auch einmal fo ange-
die Jünger vorbereitet hatte, ift die Genefis diefes Glaubens | fehen und dargeftellt wurde, und zwar nicht nur, wie
ein fchwieriges Problem. Vollends unbegreiflich wird fie, zuvor, in mehr oder weniger dilettantenhafter Skizzirung,
wenn das meffianifche Schema des Marcus felber erft , fondern in der grofsartigen, fyftematifch durchgeführten

Einfeitigkeit des befprochenen Buches. Jetzt giebt es
in diefer Richtung kein Weitergehen mehr, aber vielleicht
wieder ein Zurückgehen auf die älteren Pofitionen.

Giefsen. Baldenfperger.

fpätere Theorie ift. Sollte der Verf. nicht die Verpflich
tung gehabt haben, gerade von feinen Prämiffen aus
die Möglichkeit der Ofterbotfchaft zu beleuchten? Aber
allen diefen gefchichtlichen Fragen, die vor unteren Evangelien
liegen, geht er forgfam aus dem Wege. Er deutet
an, dafs die FVage, ob Jefus meffianifche Anfprüche er- 1
hoben hat, durch feine Unterfuchung nicht gelöft werden • Grisar, Prof. Hartmann, S. J., Geschichte Roms und der
foll. Es fei das eine Sache für fich, die der F"orfcher | Päpste im Mittelalter. Mit befonderer Berückfichtigung
einftweilen dahin geftellt fein läfst, — als ob es anginge, : yon rjultur und Kunft nach den Quellen dargeftellt.

das, wodurch der Grundpfeiler feiner ganzen Theorie
ins Wanken gerathen könnte, erft nachträglich zu erörtern.
Offenbar gehört die gefchichtliche Rolle Jefu nach W.
in die älteften dunkeln Schichten der Ueberlieferung, über
welche als eine ganz neue Schicht die Evangelien fich

(In 6 Bänden.) 1. Band. Rom beim Ausgang der antiken
Welt. Nach den fchriftlichen Quellen und den
Monumenten. Mit vielen hiftorifchen Abbildungen und
Plänen. Freiburg i. B. 1898—1901, Herder. (XX, 855 S.

lagern. Darum follen wir mit aller Gewalt von dem g ) Geb in Halbpergament M. 27.—: auch in

Forfchen nach jener erften unerreichbaren Ueberlieferung
abgezogen werden, um nur das fchon in Marcus vorliegende
Chriftusbild der Gemeinde fcharf ins Auge zu

14 Liefergn, zu M. 1.60
Schon feit längerer Zeit hiefs es, der Innsbrucker

faffen. Es ift ja fchon von anderer Seite der Wiffenfchaft j Profeffor für Kirchengefchichte, der Jefuit Grifar wäre
vom Leben Jefu eingefchärft worden, wie ausfichtslos ihre j vom Papfte beauftragt, Gregorovius' Gefchichte der
Bemühungen feien, weil die neuteftamentlichen Urkunden | Stadt Rom zu .widerlegen'. Eine Reihe gründlicher
zwifchen Jefus und dem Chriftus der Gemeinde nicht j und fördernder Auflatze über Gegenftände aus Archäo-
mehr unterfcheiden liefsen. Die Kähler'fche Schule that j logie und Gefchichte der Stadt Rom zeigten, wie fleifsig
es aus Glaubensintereffe. Ob der Erfolg der Thefis ein 1 Grifar an der Arbeit war, liefsen aber auch fchon er-
gröfserer fein wird jetzt, da fie aus kritifchen oder hy- : kennen, in welchem Geilte die Arbeit gehalten fein würde,
perkritifchen Bedenken entfpringt? Seit 1898 ift der erfte Band der zufammenfaffenden Dar-

AllerdingsaufdemgefchichtlichenMefliasliegendunkle ftellung in 14 Lieferungen erfchienen und liegt jetzt
Schleier. Ift aber das von W. angenommene Werden der : fertig vor. Auf behenderen Wunfeh des Papftes war die
,fpecififch chriftlichen' Meffianität bei Marcus von aller j italienifche Uebertragung vorher ausgegeben worden.
Dunkelheit frei? Die Idee des geheimen Meffias wäre j Nach dem Urtheile des Cardinais Parochi, des Vornach
W. aus dem Zufammenfliefsen zweier Gedanken fitzenden der Cardinalscommiffion für hiftorifche Studien,
entftanden: aus dem Beftreben, die Meffianität ins Leben j leiften die beiden ihm überreichten Bände viel Befferes
Jefu zurückzutragen und aus dem älteften Bewufstfein, i und Pofitiveres als die entfprechenden von Gregorovius.
dafs er doch erft durch die Auferftehung Meffias geworden i Ein Geheimnifs war es nicht, dafs Gregorovius' Ge-
war. Diefe Zurücktragung, fo fcheint es, kann aber nur j fchichte der Stadt Rom verbefferungsfähig fei und dank
in dem Maafse fich vollzogen haben, als die andere Idee, neuer Entdeckungen und einer genaueren Kenntnifs des
die Erinnerung an ,den Chriftus durch die Auferftehung', ! zu Gebote flehenden hiftorifchen Materiales dringend einer
fchwand. Und nun foll diefe letztere doch zugleich | Ergänzung bedürfe; vielen wird ein an Gregorovius ge-
wieder aufgelebt fein und fich fühlbar gemacht haben? : richtetes Wort bekannt fein: ,die Gefchichte der Stadt
Und felbft wenn fie als ge fchi chtlich es Bedenken [ Rom müfste erft noch gefchrieben werden' Die Auf-
wieder auflebte, wie follte fie fich gleich wieder mit 1 gäbe, Gregorovius zu überbieten und zu verdrängen, ift
einer ungefchichtlichen Compromifsvorflellung zu- | Grifar geftellt worden, und wir möchten von vornherein
frieden gegeben haben? Denn wer fo benimmt wufste, ; meinen, dafs ein mit den Bräuchen und Anfchauungen
dafs die Meffianität erft mit der Auferftehung begonnen der römifchen Kirche von Jugend auf vertrauter Mann
habe, der wufste auch, dafs ein früherer geheimer Meffias vor einem proteftantifchen Hiftoriker Manches voraus