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Ausgabe:

1901 Nr. 20

Spalte:

542-543

Autor/Hrsg.:

Marti, Karl

Titel/Untertitel:

Das Buch Daniel 1901

Rezensent:

Meinhold, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 20.

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Micha 51—5 Jen 235. s 30 4—s. 9. 18—22 33 u—aa Sach. 911t.
,Dafs wir keine unmittelbar hiftorifche Notiz über Erhebung
und Sturz Serubbabel-s besitzen, ift gewifs'
(S. 178). Aber es giebt einen anderen Weg, der zum
Ziele führt: ,von den verbürgten Ursachen auf die Wirkung
hinleiten und umgekehrt von vorliegenden Wirkungen auf
die Urfache zurückfchliefsen' (1. c), und Sellin fchlägt ihn
ein und kommt glücklich zum Ziele, indem er Cap. II
(S. 178—187) die in feinem ,Serubbabel' fchon aufgeführten
Momente, die auf Erhebung und den nachfolgenden
Sturz Serubbabel's zurückfchliefsen laffen (fofern
er ihnen inzwifchen nicht den Abfchied hat geben müffen)
wiederholt. ,So wird es denn dabei bleiben, dafs wir den
Auffchwung der neuen Gemeinde in den Jahren 520—516
zu begreifen haben als einen von Babylon aus unter
hochgefpannten meflianifchen Erwartungen unternommenen
Verfuch einer Neuaufrichtung des alten davidi-
fchen Reiches, einen Verfuch aber, der mit einem voll-
ftändigen Fehlfchlage geendet hat, und der, falls nicht
Nehemia und Esra durch Zuführung neuen Blutes und
neuer Ideen aus Babylon eine neue religiöfe Gemeinde
in Jerufalem aufgerichtet hätten, die Trümmer des alten
Volksbeftandes und der erftmalig Exilirten allmählich
dem Paganismus in die Arme getrieben haben würde'
(S. 187). Nur in einem Punkte modificirt hier Sellin
fein früheres Urtheil: ,Die Stützen, mittelft deren wir
erweifen wollten, dafs zwifchen Serubbabel und Nehemia
Jerufalem noch einmal von den Perfern müffe zer-
ftört, der Tempel entweiht fein, haben fich uns als zu
gebrechliche ergeben. Und vollends fehlt jeder Hinweis
darauf, dafs falls fich etwas derartiges zugetragen hat,
was vielleicht aus anderen Argumenten folgen könnte,
dasfelbe in unmittelbarem Zufammenhange ftehen müfste
mit einer Erhebung und einem Sturze Serubbabel's. Wohl
aber fcheinen uns diese beiden Facta felbft nach wie vor
den einzig möglichen Schlüffel zum Verftändnifse einer
Reihe von Erfcheinungen darzubieten, die wir da
beobachten können, wo die jüdifche Tradition den Faden
der Gefchichte nach dem Jahre 516 wieder aufnimmt'
( S. 1S6). Endlich (Cap. III S. 187—195) die .unmittelbaren
Zeugnifse fürErhebungundSturzSerubbabel's'. Sellingiebt
Deuterojefaja fowie Micha 48—u Klagel. Jerem. 417—522
preis und hält blos noch feft an Pfal. 132; 20. 21. 61.63,
wahrfcheinlich auch 45 und 72; 89. Hier polemifirt er vor
allem gegen Duhm, mit dem ihn wieder die Grundan-
fchauung verbindet, dafs die frühere blafs und abftract
meffianifche Auslegung all diefer Pfalmen unmöglich ift,
dafs es fich vielmehr jedesmal um einen jüdifchen König
handelt. Für Duhm find diefe Perfönlichkeiten die Has-
monäer, für Sellin ift es Serubbabel. ,Bei jenen müffen
die einzigen Stützen der Auslegung im Pfalter felbft ge-
fucht werden; wir haben die untrüglichen Stützen Hag-
gai's, Sacharja's und all der anderen anonymen propheti-
fchen Zeitgenoffen für uns' (S. 195)! Alfo: ,der Pfalter
zeugt davon, dafs Serubbabel von feinen Zeitgenoffen
in meffianifchem Lichte betrachtet ift, dafs er eine Zeit
lang den Königstitel geführt hat, dafs er aber dann ge-
waltfam geftürzt ift' (1. c.).

Diefes Zeugnifs vermag mich heute nicht beffer zu
überzeugen als in Sellin'.s erftem Buche (vgl. Theol.
L.-Ztg. 1899, 606). und wie jenes fo lege ich diefe Studien
, wenigftens die erfte und die dritte, aus der Hand
mit dem beftimmten Eindrucke, es fei das von Sellin
zufammengetragene Material nicht im Stande von
feiner fubjectiven, ftark an eigener Phantafie genährten
Gewifsheit zu einer objectiven hinüberzuführen. Eines
hat auch ihre Leetüre für mich wenig erquicklich gemacht
. Nicht dafs der Verfaffer darin eigene Meinungen
überhaupt modificirt, wohl aber, dafs er in fo ausgedehnter
Weife an den Lefer die Zumuthung Hellt, alle
Wandlungen feiner Gedankenarbeit mit durchzumachen.
Zum Minderten zeigen uns diefe Studien, wie wenig
reif vor zwei Jahren fein .Serubbabel' war, um zu

Markte getragen zu werden. Vielleicht find fie felber
(wenigftens I und III) weniger .abfchliefsend', als Verfaffer
zur Stunde glaubt.

Bafel. Alfred Bertholet.

Marti, Prof. D. Karl, Das Buch Daniel erklärt. (Kurzer
Hand-Commentar zum Alten Tertament. In Verbindung
mit J. Benzinger, A. Bertholet, K. Budde u. f. w.
herausgegeben von K. Marti. Lieferung 12.) Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1901. (XXIII, 98 S. Lex. 8.) M. 2.35

Es war zu erwarten, dafs der Herausgeber des
kurzen Hand-Commentares die Auslegung des Daniel fich
felbft vorbehielt, da er ja durch feine kurzgefafste Grammatik
der aram. Sprache 1896 fich auf diefem Forfchungs-
gebiete ausgewiefene hatte. Man hat Grund, damit zufrieden
zu fein.

Die Einleitung giebt uns (I) Bericht über Inhalt des
B. Daniel, (II) über die Form des B. Daniel, (III) über
die Entftehungszeit, (IV) über die Bedeutung des B. Daniel,
(V) über die uns erhaltenen griechifchen Ueberfetzungen
des B. Daniel; VI giebt eine kurze Ueberficht über die
Gefch. der Auslegung des B. Daniel, VII Allgemeine
Literatur. Aus ihr ift zu bemerken, dafs Marti, abge-
fehen von kleinen Einfätzen (fo 9,4—20 nach von Gall,
I2,uf. nach Gunkel, dazu i,2of.), die Einheitlichkeit des
Buches wie die von Anfang an vorhandene Gefchloffen-
heit annimmt. Er ftützt fich hier befonders auf von Gall.

Immerhin fcheinen mir Zweifel mancherlei Art
noch immer zuläffig, wenn ich auch zugebe, dafs Marti
die Doppelfprachigkeit des Buches beffer erklärt als
Kamphaufen, Behrmann und Driver, die da meinen, der
Verfaffer habe die Chaldäer in ihrer Sprache, die feiner
Anficht nach aramäifch fprachen, reden laffen wollen
und habe nach Schlufs ihrer Rede dies ihm paffende
Idiom bis C. 7 (warum aber nicht dann auch 9—12?)
weiter gebraucht.

Dagegen meint Marti, die Schrift fei von Anfang
ganz aramäifch gehalten. Das Aramäifche in Daniel
mache durchaus nicht den Eindruck, als fei es aus dem
Hebräifchen überfetzt, wie manche meinen; vielmehr
könne man das Umgekehrte behaupten. Die Schrift war
urfprünglich ganz aramäifch gefchrieben. Man wollte fie
wegen des hohen Anfehens, das fie fich errungen
hatte, in die Zahl der heiligen hebräifchen Schriften aufnehmen
; da war eine Ueberfetzung ins Hebräifche nöthig.
Die Einleitung 1—2, 4 liegt darum im Hebräifchen vor.
Viel eher als der Verf. des Buches konnten Spätere
meinen, Aramäifch fei die Sprache der Kasdim. So liefsen
fie das Aramäifche von 2, 4 a an ftehen. Der Uebergang
ins Hebräifche mit C. 8 erkläre fich dadurch, dafs C. 8
mit C. 9 aufs Innigfte verbunden war und in C. 9 das
Gebet Daniel's fchon in hebräifcher Sprache eingedrungen
war. Aber 1. halte ich zwar die Annahme, 9, 4—20 fei
fpäterer Eintrag für fehr beherzigenswerth, gewifs ift
mir das aber doch nicht. Vers 20 neben Vers 21 fieht i'a
in der That fo aus, als fei hier eine Naht, von Vers 4 neben
Vers 3 kann man das nicht fo recht behaupten. Uebrigens
können beide Male auch nur Weitfchweifigkeiten "vorliegen
. Aber zugegeben C. 9,4—20 fei fpäterer Nachtrag,
kann es auch nur als wahrfcheinlich bezeichnet werden,
dafs Jemand in eine aramäifche Schrift ein hebräifches
Gebet einfetzte und dies einem Manne in den Mund
legte, der vorher und nachher aramäifch redet? Dies
hebräifche Gebet foll nun Anlafs geworden fein dafs
man mit C. 8 überhaupt das Hebräifche aufnahm. Aber
fteht nicht vielleicht C. 8 dem 7. Cap. inhaltlich noch
näher als C. 9? — Ift nun aber das Gebet urfprünglicher
Beftandtheil des Ganzen, dann wird die Sache noch
mifslicher. Denn dann war es ja urfprünglich aramäifch.
Die Gründe der Ausfcheidung erfcheinen mir aber nicht
zureichend. Daniel redet hier auch von feiner eigenen

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