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Ausgabe:

1901 Nr. 19

Spalte:

524-526

Autor/Hrsg.:

Raeder, Joh.

Titel/Untertitel:

De Theodoreti Graecarum affectionum curatione quaestiones criticae 1901

Rezensent:

Preuschen, Erwin

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 19.

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nichäers Fauftus, des Zeitgenoffen Auguftin's. Die einzig
werthvolle Quelle, die wir für fein Leben befitzen, find
die Confeffionen Auguftin's und feine Streitfchrift Contra
Faustum. Ueber den äufseren Lebensgang erfahren wir
herzlich wenig aus ihnen. Fauftus flammte aus Mileve in
Nordafrica, er lebte dann längere Zeit in Rom und kam 382
nach Carthago, wo ihn Auguftin kennen lernte. Fauflus
fchrieb einen Leitfaden der manichäifchen Apologetik,
mit dem fleh Auguftin auseinanderfetzte. Ueber feine
innere Entwickelung wiffen wir faft nichts. Der zweite
Theil der Monographie ift überfchrieben ,die Bedeutung
des Fauftus'. Hier ftellt Bruckner zufammen, was Auguftin
uns über die Lehranfchauungen des Fauftus mittheilt. Mit
Recht macht Bruckner vor allem darauf aufmerkfam, dafs
die phantaftifchen Vorftellungen des Manichäismus über
die Kosmologie und Soteriologie bei Fauftus ganz zurücktreten
, nicht weil er fie ablehnte, fondern weil er fie
verfchwieg, da fie auf abendländifchem Boden ein Hin-
dernifs der Propoganda bildeten. Die eigenthümliche
Wandlung, die der Manichäismus bei feiner Ausbreitung
nach Werten durchgemacht hatte, tritt bei Fauftus deutlich
hervor. Der Manichäismus des Fauftus concentrirt
fein Intereffe auf antikatholifche Bibelkritik, er vertritt
das Princip freier Forfchung und Speculation gegenüber
der Gebundenheit des kirchlichen Dogmas. Fauftus hat
es in der Bibelkritik zu einer gewiffen Viituofität gebracht
, er hat das kritifche Material feiner Vorgänger
erheblich vermehrt, fich um Gewinnung fefter kritifcher
Grundfätze bemüht und feine kritifche Stellung zur Schrift
durchgängig aus der Schrift felbft zu begründen verfucht.
Bei der Verwerfung des alten Teftamentes weifs Fauftus
die bibelgläubigen Katholiken befonders durch den Hinweis
in Verwirrung zu bringen, dafs fie auch wie die Ma-
nichäer die wichtigften Gebote und Vorfchriften des alten
Teftamentes völlig aufser Acht laffen. Im neuen Teftament
lehnt er von dem Grundfatz, dafs das Evangelium nichts
anderes als die Predigt und das Gebot Chrifti fei, die Ge-
burtsgefchichte ab. Die Leidensgefchichte Jefu hat auch
nur Werth als fymbolifche Darfteilung der feelifchen
Leiden und Schmerzen der Gläubigen. In den paulini-
fchen Briefen nimmt er ebenfalls eine kritifche Sichtung
vor, Rom. 1,3, I. Tim. 4,1—3 und Tit. 1,15 erklärt er für unecht
. Merkwürdig feiten beruft fich Fauftus auf apokryphe
Evangelien und Apoftelfchriften, die vielfach in manichäifchen
Kreifen gebraucht wurden. Zum Schlufs weift noch
Bruckner auf diePropaganda des Manichäismus hin, die befonders
durch Wanderlehrer und Verbreitung vonTractaten
getrieben wurde. — Die fleifsig gearbeitete Studie behandelt
das Thema unter Herbeiziehung des vorhandenen Materials
und unter verftändiger Ausnutzung der Quellen. Bruckner
hat fich vor allem um eine richtige Würdigung der Bibelkritik
der Manichäer und befonders des P'auftus verdient
gemacht. Dafs allerdings Fauftus für eine monographi-
fche Arbeit ein befonders dankbares Thema bietet,
will mir nicht fcheinen. Es geht durch die Kirchen-
gefchichtsfchreibung unferer Zeit ein Zug zur mono-
graphifchen Arbeit, man fchreibt nicht mehr nur die
Gefchichte der Ideen und Inftitutionen, fondern man
werthet wieder mit Recht die Individualitäten in ihrer
Bedeutung für den gefchichtlichen Verlauf höher als
früher. Aber wir wiffen zu wenig von Fauftus, es
kommt ihm doch wefentlich nur eine epifodifche Bedeutung
im Leben Auguftin's zu. Nur zu leicht tritt in derartigen
Monographien eine ftarke Ueberfchätzung des
Helden ein, und Bruckner hat dies nicht vermieden,
wenn er Fauftus dem Auguftin als ebenbürtig gegen-
überftellt. Solche Erwägungen, wie fie Bruckner an-
ftellt, was die Schriftforfchung des Fauftus frei von dem
Banne des manichäifchen Dogmas für wichtige Refultate
hätte zu Tage fördern müffen, find müfsig. Fauftus
war keine productive theologifche Perfönlichkeit — er
fcheint dies felbft gewufst zu haben — feine Bedeutung
befteht lediglich in der Kritik und deshalb war er bei

allem Scharffinn dem grofsen Auguftin gegenüber kein
gefährlicher Gegner. Diefe Ausheilungen follen aber den
Dank für die verdienftliche Arbeit nicht vermindern.

Pleidelberg. Grützmacher.

Raeder, Joh., De Theodoreti Graecarum affectionum curatione
quaestiones criticae. Kopenhagen, G. E. C. Gad, 19CO.
(VI, 190 S. 8.)

Während über die vornicänifchen Kirchenväter Jahr
um Jahr ein breiter Strom textkritifcher Bemühungen geleitet
wird, fallen auf die Nachnicäner nur feiten einmal
ein paar Tropfen. Nicht deshalb, weil bei ihnen nichts
mehr zu thun wäre, fondern nur weil fie in der Ecke
verftauben. Die Ausgaben, die wir heute noch von
Sokrates, Sozomenus, Theodoret, Chryfoftomus, — den
Kappadociern benutzen mülfen, entfprechen nicht einmal
in befcheidenem Mafse den Anforderungen. Und doch
liefsen fich mit den heutigen Hülfsmitteln nicht allzufchwer
von ihnen allen kritifch ausreichende Ausgaben herftellen.
Für die Kirchenhiftoriker foll nun geforgt werden, und
Evagrius legt von der Umficht der neuen Herausgeber
Zeugnifs ab und läfst auch für die anderen Bände des
Unternehmens das Befte erwarten. Um die Schrift Theo-
doret's ,die Heilung der Hellenifchen Leiden' hat fich nun
der Verf. der vorliegenden Schrift verdient gemacht
und damit an einem Punkte für erfolgreiche textkritifche
Arbeit Bahn gebrochen.

Raeder geht von der handfchriftlichen Ueberlieferung
des Werkes aus. Er zählt zunächft die Handfchriften,
fodann weiteres textkritifches Material, endlich die Ausgaben
auf. Von Hff. hat er fiebenundzwanzig nach-
zuweifen vermocht, abgefehen von denjenigen, die nur
kleinere Stücke der Schrift enthalten. Von diefen hat
er die fechs wichtigften vollftändig, von einigen anderen
gröfsere Stücke verglichen und von dem Refte mit einer
Ausnahme, wenigftens Stichproben gemacht, die ihm ein
Urtheil über die Befchaffenheit ihres Textes ermöglichten.
Die Hff. flammen zum überwiegenden Theile aus dem
16. Jahrhundert, vier find aus dem II., eine aus dem 12.
und eine von 1307. Sie repräfentiren zwei Familien,
zwifchen denen einige Hff. unentfchloffen hin- und
herpendeln. Ferner kommen in Betracht die in Garnier's
Ausgabe abgedruckten Noten des Fulvio Orfini, deren
Originalmanufcript in der Vaticana {gr. 1173) aufbewahrt
wird. Es find Collationen des Vatic. gr. 625 und des
Ottob. 38, untermifcht mit eignen Conjecturen Orfini's.
Auch die citirten Schriftfteller fcheint Orfini zuweilen nach-
gefchlagen und ihre Lesarten notirt zu haben. Als
kritifches Hülfsmittel fcheiden alfo diefe Annotationes
aus; nur ein paar brauchbare Conjecturen können ihnen
entnommen werden. Von den Ausgaben tritt mit einigen
kritifchen Prätenfionen die von Gaisford auf, die aber wie
andere desfelben Gelehrten ohne klare Einficht in die
kritifchen Fragen keine Recenfion fondern nur eine willkürliche
Auswahl aus den Varianten zweier Hff. in einem
Apparate bietet, der häufiger Räthfel aufgiebt als löft. Das
2. Capitel verbreitet fich über die textkritifchen Grundfätze
. R. hat die älteften Hff. zu Grunde gelegt, mit der
Motivirung, dafs aus den jungen keine beffere Lesart
herausgeholt worden wäre. Obgleich die Vorlagen bei den
wenigften zu ermitteln feien, habe er fie doch aufser Betracht
gelaffen. Die Superiorität einer Hf. blofs auf ihr
Alter zu gründen, ift ein bedenkliches Princip. Dafs die
Mehrzahl der Hff. aus der Renaiffencezeit flammt, mufs
zu denken geben. Es ift felbftverftändlich, dafs man
damals für dies Buch des Theodoret ein gröfseres Intereffe
hatte, als etwa für einen theologifchen Commentar; fchon
wegen der zahlreichen Citate aus den alten Philofophen
hatte es grofsen Werth für jene Zeit. Man wird alfo nicht
nur, um die Nachfrage zu befriedigen, neue Hff. hergeftellt,
fondern fich auch um ältere bemüht haben. Die Briefe