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Ausgabe:

1901 Nr. 8

Spalte:

227-229

Autor/Hrsg.:

Erhardt, Franz

Titel/Untertitel:

Psychophysischer Parallelismus und erkenntnistheoretischer Idealismus 1901

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 8.

228

Was das Verhältnis der Reden zu den Predigten
betrifft, fo lehnt Verf. mit Vorficht die Thefe O. Ritfchl's
ab, dafs man einen doppelten Exoterismus annehmen
muffe, der in zwiefacher Form ein ,zur Gnofis sublimirtes
Chriftenthum' wiedergebe. Vielmehr feien die Predigten
der adäquate Ausdruck der perfönlichen Religion Schleier-
macher's, die Reden dagegen keine Darfteilung feines
Glaubens, wohl aber ein Verfuch Fernerftehende eben
zu diefem hinzuführen, foweit das möglich ift. Zum
Schlufse wird in einem längerem Abfchnitte auf das
Uebereinftimmende in ,den Gedanken der Predigten und
den Anfchauungen, die als den Reden zu Grunde liegend
aufgezeigt find', hingewiefen.

Die Schrift von Fuchs, deren Inhalt hiermit kurz
charakterifirt werden follte, ift zweifelsohne eine höchft
achtbare Leiftung. Sie zeugt von eingehendem Studium,
von Scharffinn und Methode. Befonders intereffant ift
der Verfuch, den Begriff der religiöfen Anfchauung
aus verwandten Conceptionen zu deuten. Auch der
Abfchnitt über die Beziehungen der Religion zur Sittlichkeit
enthält werthvolle Beobachtungen. Dennoch
gefleht Ref., dafs er nicht eigentlich überzeugt worden ift.
Mag die exacter wiffenfchaftlicher Forfchung fchwer zugängliche
Frage, wie Schleiermacher's persönlicher Glaube
genau befchaffen gewefen fei, auf fich beruhen; jedenfalls
fcheint die Beurtheilung des Religionsbegriffs der Reden
etwas einfeitig ausgefallen zu fein: für die Erklärung
und Deutung desfelben ift auf Kotten der fpinoziftifchen
Philofophie die Kantifche Erkenntnifstheorie vielleicht
doch zu ftark in Anfpruch genommen worden: vgl. bei-
fpielsweife den Hinweis auf die ,kindliche Paffivität'
(Pünjer, S. 47) und anderes. Auch dürfte bei dem Bestreben
, eine Harmonie zwifchen den Predigten und den
Reden herzuftellen, nicht alle Gewaltthätigkeit vermieden
und die Thefe O. Ritfchl's vom doppelten Exoterismus
nicht völlig entkräftet fein. Um einige Einzelheiten anzuführen
, fo fragt es fich, ob S. 26 das Citat ,Sie hatten
eine That des Univerfums aufgefafst und bezeichneten
fo ihre Individualitat und ihren Charakter' feinem Wortlaute
gemäfs verwandt ift. Anfechtbar ift wohl desgleichen
der Gebrauch, der von der Stelle ,Hängt nun
Eure Phantafie an dem Bewufstfein der Freiheit' auf
S. 46 gemacht wird. Ift ferner der Schlufs, den Verf.
S 76 Z. 13 aus einer Wendung in dem Briefe an Sack
zieht, durch den gegebenen Text (,dafs ohne einen ge-
wiffen Anthropomorphismus nichts in der Religion in
Worte gefafst werden kann') wirklich gerechtfertigt?
Ift die Exegefe S. 34 Z. 7 ff. durchaus einwandfrei?

Störende ftiliftifche Unebenheiten machen fich bemerkbar
S. 26 Z. 7 v. u., S. 83 Z. 8 u. 9 v. o.; und es foll
nicht verfchwiegen werden, dafs Verf. durch feine eigen-
thümliche Dispofition dem Berichterftatter die Aufgabe
nicht erleichtert hat.

Im Uebrigen ift aber die Abhandlung klar gefchrieben,
und regt gerade wegen der Konfequenz und Entschiedenheit
, mit der fie eine beftimmte Auffaffung vertritt,
in dankenswerther Weife zur Ueberlegung und Nachprüfung
an.

Strafsburg i. E. E. W. Mayer.

Erhardt, Prof.Franz: Psychophysischer Parallelismus und erkenntnistheoretischer
Idealismus. Eine ergänzende Abhandlung
zu meiner Schrift: Ueber die WechfelWirkung
zwifchen Leib und Seele. Leipzig, C. E. M. Pfeffer, 1900.
(VIII, 44 S. gr. 8.) M. -.80

Vorliegende als Sonderabdruck aus der Zeitfchrift für
Philofophie und philofophifche Kritik nunmehr auch Selbständig
veröffentlichte Streitfchrift bezeichnet der Verf.
auf dem Titelblatt als ergänzende Abhandlung zu feiner
(in der Th. L.-Z. 1898 Sp. 23 ff. von Elfenhans befprocheneff
bchrift über die Wechselwirkung zwifchen Leib und Seele.

In diefer hatte fich der Verf. hauptfächlich gegen die
realiftifche Auffaffung des pfychophyfifchen Parallelismus
gewandt. ,Denn wenn man irgend eine Theorie widerlegen
will, fo wird man fie doch in der Form aufstellen
müffen, in der fie am eheften haltbar ift'. Nun wendet er
fich gegen Heymans in Utrecht und befonders gegen F.
Paulfen, die als Vertreter der idealiftifchen Form des
Parallelismus jener früheren Kritik der paralleliftifchen
Theorie entgegengetreten find. Der Verf. felbft bekennt
fich als ,entfchiedenen Anhänger des erkenntnistheore-
tifchen Idealismus' in deffen nicht-fubjectiver Ausprägung
, dergemäfs er auch aufser unferer Vorftellung
eine reale, wenn auch unräumlich zu denkende Welt der
Dinge anerkennt. Aus diefem Standpunkte folgt für ihn
die Annahme einer Wechfelwirkung zwifchen Leib und
Seele in der Form, ,dafs die Seele mit den der Körperwelt
zu Grunde liegenden realen Elementen in caufaler
Beziehung fleht'. Damit aber ift für ihn die Berechtigung
der paralleliftifchen Hypothefe folgerecht ausgefchloffen.
Denn deren Vertreter faffen eben, allerdings in verschiedenem
Umfange, die pfychifchen Vorgänge als die
innere Seite deffelben objectiven Gefchehens auf, deffen
äufsere Seite fich in den ihnen correlaten phyfifchen Erscheinungen
darfteilt, und laffen eine Wechfelwirkung nur
innerhalb jeder der beiden Reihen, nicht aber gegenfeitig
zwifchen Gliedern der einen und folchen der anderen
1 Reihe zu. Wenn nun aber diefe Theorie mit dem er-
kenntnistheoretifchen Idealismus combinirt wird, dann er-
giebt fich der Widerfpruch, dafs die phyfifchen Erscheinungen
, die als Erfcheinungen doch nur in der fub-
jectiven Vorftellung exiftiren, einerfeits auf immaterielle
Realitäten als ihr An fich reducirt werden, und dafs fie
andererfeits doch gerade auch wieder in ihrer Eigenfchaft
als blofse Erfcheinungen unter einander in Wechfelwirkung
flehen follen. Demgegenüber aber Stellt der Verf., der
! fcharffinnigundklardie namentlich vonPaulfen begangenen
Inconfequenzen aufdeckt, gegen Schlufs feiner Erörterungen
die durchfchlagende Alternative: ,Entweder ift
der Parallelismus im Recht, und es müffen dann alle
Veränderungen in der Körperwelt aus Kräften erklärt
werden, die nicht-pfychifch find; oder dem Walten
pfychifcher Functionen kommt irgend ein realer Einflufs
auf das Gefchehen in der Körperwelt zu, dann haben wir
eben keinen Parallelismus mehr, fondern den Standpunkt
der Caufaltheorie'. Aber die Vertreter des idealiftifchen
Parallelismus find eben ,mit ihren idealiftifchen Ueber-

zeugungen auf halbem Wege flehen geblieben,........

zwei wiffenfchaftliche Standpunkte mit einander zu verbinden
, die fich der Natur der Sache nach vollkommen
ausfchliefsen. Sie möchten einerfeits in ungestörtem
Frieden mit der modernen Naturwiffenfchaft leben, die
feit einer Reihe von Decennien meiftentheils auf dem
Boden der phyfikalifch-chemifchen Naturerklärung gestanden
hat; andererfeits aber möchten fie auch die Resultate
des erkenntnistheoretifchen Idealismus nicht preisgeben
, wonach die Körperwelt blofse Erfcheinung und,
wie fie fich vorftellen, nur das Pfychifche etwas wirklich
Reales ift. Infolgedeffen fchwanken fie nun in unklarer
Weife zwifchen einer realiftifchen und einer idealiftifchen
Auffaffung der Körperwelt hin und her. Wo es fich
darum handelt, die Uebereinftimmung mit der Naturwiffenfchaft
, d. h. mit gewiffen Dogmen einer augenblicklich
noch vorherrfchenden Richtung zu bekunden, da vergibst
man gleichfam feinen Idealismus und behandelt den
Körper als ein reales, wirkungsfähiges Etwas. Wo es
aber auf die philofophifche Auffaffung und Deutung der
Dinge ankommt, da kehrt man den idealiftifchen Gesichtspunkt
hervor, um die alleinige Realität des Geistigen behaupten
zu können'.

Diefe Kritik ift fcharf, aber nicht ungerecht. Denn
fie ift der folgerechte Ausflufs eines idealiftifchen Standpunkts
, der Sich in feiner Reinheit aufrechterhalten will
und daher in durchaus berechtigter Weife gegen die