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Ausgabe:

1900 Nr. 7

Spalte:

209-212

Autor/Hrsg.:

Oergel, Georg

Titel/Untertitel:

Vom jungen Luther 1900

Rezensent:

Köhler, Walther

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209

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 7.

210

Handfchrift geht nach Traube auf das Autograph Benedicta
zurück. Dem tritt Butler entgegen, da die Neugründung
des Klofters Monte Caffino durch Petronax
aus Brescia 717 nicht im gefchichtlichen Zufammenhang
mit dem Klofter am Lateran Bände, in dem 581 nach
der Zerftörung Monte Caffino's die flüchtigen Mönche
eine Zufluchtsftätte fanden, und da der dem neuen Klofter
vom Papft Zacharias 745 gegebene Codex der Regel aus
der päpftlichen Bibliothek und nicht aus dem Lateran-
klofter Hamme. Dies ift nun allerdings richtig, aber
darum bleibt doch die Hypothefe Traube's die vvahr-
fcheinlichfle, dafs der päpftliche Codex der Regel mit
dem feit 581 im Lateranklofter gebrauchten Text identifch
ift. Ob allerdings diefer Text von der Hand Benedicts
herrührt, wie Traube nach dem Bericht des Paulus Dia-
conus annimmt, läfst fleh nicht weiter beweifen. Butler
glaubt, dafs die Worte des Paulus Diaconus codicetn san-
tae regulae, quam praefatus pater imposuerat nicht zu der
Annahme nöthigen, dafs der Codex der Regel, den die
Mönche aus Monte Caffino mitbrachten, von Benedict
felbft gefchrieben war. Die andere Vermuthung Traube's,
dafs der textus vulgatus eine Revifion der urfprünglichen
Regel ift, die auf Simplicius, den dritten Abt von Monte
Caffino zurückgeht, unterzieht Butler, wie mir fcheint,
einer berechtigten Kritik. Diefe Hypothefe läfst fleh in
derThat nicht wahrfcheinlich machen. Schliefslich fordert
Butler, dafs bei einer neuen Textherftellung der Regel
auch der textus vulgatus herangezogen werde. Es ift dies
beachtenswerth und richtig, fo lange die Identität des
karolingifchen Textes mit dem authentifchen Text nicht
ficher fteht. Butler befpricht des weiteren die Frage,
ob Benedict feine Regel im Vulgärlatein fchrieb oder
erft Copiften diefes hineinbrachten. Er entfeheidet fleh
mit Wölftlin für die erfte Annahme. Viel verfpricht fleh
Butler für die Herftellung des Textes von den englifchen
und fpanifchen Handfchriften, die unabhängig vom karolingifchen
Text find. Auch kommt natürlich dem Regel-
commentar von Paul Warnefrid eine grofse Bedeutung
für die Textherftellung zu ; es ift daher mit Freude zu
begrüfsen , dafs Amelli eine kritifche Ausgabe diefes
wichtigen Documents vorbereitet. Zum Schlufse erfahren
wir, dafs der Beuroner Benedictiner Plenkers die kritifche
Neuherausgabe der Regel für das Wiener Corpus begonnen
hat.

Heidelberg. Grützmacher.

Oergel, Georg, Vom jungen Luther. Beiträge zur Luther-
forfchung. Erfurt, J. G. Cramers Buchdr., 1899. (V,
136 S. gr. 8.) M. 1.50

Durch verfchiedene, in den Mittheilungen der Erfurter
Akademie gemeinnütziger Wiffenfchaften veröffentlichte
Auffätze hat fich der Verf., Pfarrer in Erfurt, als
Localgefchichtsforfcher einen geachteten Namen erworben.
Für feine nunmehr veröffentlichte, aus Vorträgen er-
wachfene Schrift nimmt er ausdrücklich (f. das Vorwort)
auch nur den Rang eines Localgefchichtsforfchers in
Anfpruch und erwirbt fich dadurch das Recht auf Nachficht
, wenn er nicht immer mit dem gegenwärtigen Stande
der Lutherforfchung fich vertraut erweift. Es wird freilich
von vorneherein Bedenken unterliegen, einen Luther
lediglich ,localgefchichtlich' zu behandeln, der fchon in
feiner Stellung als Auguftiner einem Verbände angehört,
der den localgefchichtlichen Rahmen fprengt. Es find
denn nun auch dem Verf. da, wo er das localgefchicht-
liche Gebiet verläfst, verfchiedene, nicht leichte Mifs-
griffe begegnet. Man würde gerne diefelben nicht fchwer
anfehen, wenn man fich nicht fagen müfste, dafs fie
leicht hätten vermieden werden können. Hätte der Verf.
doch nur in der von ihm gekannten und wiederholt ci-
tirten Literatur fich genauer umgefehenl Er ftellt eine
Reihe neuer Hypothefen auf, — und in jeder Lutherbiographie
ift zu lefen, dafs im Leben Luthers in der
von O. behandelten Zeit (1483—1512) manches unklar und
problematifch, alfo Raum für die Hypothefe vorhanden
ift — aber er conftruirt zu viel, ohne fich mit anderen
Anflehten auseinanderzufetzen. Es ift aber Pflicht auch
des Localhiftorikers, nur unter forgfältigfter Prüfung der
Gegengründe neue Anflehten aufzuftellen und zu vertreten
. Es kann dem Verf. der Vorwurf nicht erfpart
werden, in diefer Beziehung es oft am Nothwendigften
haben fehlen zu laffen und ein wenig leicht und
flüchtig gearbeitet zu haben. Belege mögen das Gefagte
illuftriren:

Der erfte Auffatz behandelt ein Thema, das in den
fiebziger Jahren eifrig verhandelt wurde : Die Frage nach
Luther's Geburtsjahr. O. plaidirt nun aber nicht, wie
das f. Z. vor allem Holtzmann that, für das Jahr
1484, fondern für 1482, eine Annahme Kefsler's und
Scheurl's wieder aufnehmend. Mit Köftlin's ausführlichen
Darlegungen (Stud. u. Krit. 1873, S. 135 ff., 1874, S. 315 ff.)
fetzt fich ü. nicht auseinander, obwohl diefer in feiner
Lutherbiographie (IS. 776 Anm.), die O. citirt! (S. iou.ö.),
ausdrücklich auf diefelben verwiefen hatte. Für den Ref.
dürfte es genügen, auf diefelben hinzudeuten1) und nur
Einiges aus O.'s Beweisführung herauszuheben. Zunächft
kennt er nicht alle die Stellen, welche für 1483 fprechen,
dann pflegt er Jahre voll zu rechnen, die nur als angefangen
berechnet fein wollen oder können. Die That-
fache, dafs Luther felbft über fein Geburtsjahr im Unklaren
war, zieht O. nicht in Rechnung, um fo mehr aber
wird über Melanchthon hergezogen, anftatt dafs ruhig
auseinandergefetzt wird, dafs er auch zwifchen 1484 und
1483 gefchwankt hat. Freilich feine Ausfagen paffen
fchlecht für 1482, alfo müffen fie befeitigt werden. Melanchthon
foll es als ein ,Gebot der Wiffenfchaft' betrachtet
haben, aus Gründen der Aftrologie und Mediän
{annus climactericus) feine Ueberzeugung zu ändern und
ftatt 1484nunmehr 1483 anzunehmen. Aber Köftlin (a.a.O.)
hat gezeigt, dafs die aftrologifchen Neigungen Melanch-
thon's ihn gerade nicht auf 1483, fondern auf 1484 führten.
Doch es kommt noch beffer. O. mifst der Erztafel auf
Luther's Leichenftein grofse Bedeutung zu. Indem er
ihre Datirung aeeeptirt, fieht er fich auf den 7. December
als Geburtstag hingedrängt. Aber wie nun Melanchthon's,
auf das beftimmtefte Zeugnifs von Luther's Mutter ge-
ftützte Ausfage befeitigen? Wenn Melanchthon von einer
Geburtstagsfeier bei Luther am 10. Nov. fchreibt, fo war
das nur für ihn eine Geburtstagsfeier, ,ob aber auch in
den Augen Luther's, ift fraglich' (S. 18). Der Adreffat
aber (Nie. Medier) foll von Luther's Geburtstag am
10. Nov. auch nichts gewufst haben, denn fonft hätte es
Melanchthon ihm ja nicht zu fchreiben brauchen! Als
wenn man nicht von der Geburtstagsfeier eines gemein-
famen Bekannten dem abwefenden Freunde fchreiben
dürfte! Endlich aber wird Melanchthon zum Schwerhörigen
gemacht. Luther foll nicht, wie feine Mutter
ausdrücklich gefagt hatte, vom Heiligen des Tages feinen
Vornamen erhalten haben, fondern von einem unbekannten
Pathen Martin, Melanchthon aber als gelehrter
Pfälzer die Worte der .Thüringischen Bauerfrau': ,Dote
(Pathe) Merden' von dem Heiligen Martin (alfo wohl dem
,toten Martin'?) verftanden haben!! Ebenfo foll er ftatt
Mergenfeft (8. December) Mertenfeft gehört haben.
Derartige Beweisführung kann man doch schwerlich ernft
nehmen, p'aft möchte man meinen, Verf.habe das gefühlt;
denn am Schlufs feiner Beweisführung fteht der über-
rafchende Satz: ,Damit foll aber nicht behauptet werden,
dafs der 7. December wirklich fein Geburtstag war'.

Der zweite Auffatz fucht nach den Erfurter Univer-
fitätsacten der Mittheilung, dafs der plötzliche Tod eines
Freundes neben Anderem Luther ins Klofter getrieben

1) cf. auch die inzwifchen erfchienene eiugehendr Widerlegung () 's
durch Kawerau in N. K. Z. 1900, Heft 2.