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Ausgabe:

1899 Nr. 11

Spalte:

335-337

Autor/Hrsg.:

Sehling, Emil

Titel/Untertitel:

Die Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen 1544 - 1549 und Georg von Anhalt 1899

Rezensent:

Trefftz, J.

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335 Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. Ii. 336

Apoc. 12 1—3 fchrieb, Ilias B 308 und bei 101 Homer's
Schilderungen der Iris im Sinne gehabt, fo werden wir
an diefer Kritik irre.

Harris konnte es wahrfcheinlich machen, dafs die
junge byzantinifche Recenfion B, die etwa der Zeit eines
Pfellos oder Tzetzes angehört, homerifch oder homero-
kentrifch beeinflufst ift; Ref. möchte auch dies noch nicht
feft bejahen, da ein ficheres Urtheil nur auf Grund einer
umfaffenden Unterfuchung der fonftigen Behandlung
diefer Stoffe, zumal der Marienklage, möglich fein wird.
Wenn Harris aber für alle Recenfionen directe Einflüfse
der Homerokentra zu erweifen fucht, derart, dafs die
Lesart Alvsiaq für Avaviaq im Prolog an die Aeneide
erinnern, oder in dem Gebet des Karinus: domine Jesu
Christe, fili dei vivi, permitte me loqui mira-
bilia das xdXeal fie, 6ii<pile, uvQ-rjöaöQ-ai nachklingen
foll, fo werden ihm fchwerlich viele Lefer folgen mögen.
Die Hauptftütze feiner Hypothefe, jene ,Proceffion der
Geheilten', hat nur für den Beweiskraft, der fich nicht
klar macht, wie überaus häufig wir folchen Zufammen-
ftellungen in der altchriftlichen Litteratur (wie Kunft)
begegnen. Auch Eudokia kann bereits aus einer Art
Evangelienharmonie gefchöpft haben. Ref. ift durch
Harris nicht überzeugt worden, dafs Lipfius und Schölten
im Unrecht find, wenn fie für Juftin nur die fingirte
Exiftenz von Pilatus-Acten annehmen. Mehr fällt ins
Gewicht, dafs Harris felbft die Exiftenz chriftlicher
Homerokentra für die Zeit des Irenaeus und Tertullian
lediglich fingirt. Beide reden nur von heidnifchen Machwerken
, die fie als Analogie für die Benutzung einzelner
Evangelienftellen bei den Gnoftikern heranziehen. Auch
Hieronymus prol. ad. Paulinum kann ich nicht anders
verliehen: von den (heidnifchen) Homerocentones und
Vergiliocentofies unterfcheidet er eine lediglich yvuva-
Oxixmq von ihm aufgeftellte Deutung Vergils als Christianus
sine Christo. Wenn dabei 2 von den 3 angeführten
Vergilftellen (Aen. I 664; II 650) bei Proba
Faltonia wiederkehren, fo beweift das mit nichten, dafs
er Proba's etwa gleichzeitiges Werk vor Augen hatte;
diefe Stellen mufsten fich Jedem aufdrängen. Aus der
Art, wie Irenaeus und Tertullian heidnifche Centonen
erwähnen, kann man mit gutem Recht folgern, dafs fie
derartige chriftliche Machwerke noch nicht kannten.
Dazu ftimmt, dafs Patrikios, offenbar ein älterer Zeit-
genoffe der Eudokia, von diefer als der erfte gefeiert
wird, der diefe Literaturgattung in chriftlichem Sinne
verwandte. Die ganze Sache pafst ins 4. und 5., nicht
ins 2. chriftliche Jahrhundert.

Müffen wir Harris' Hypothefe demnach gänzlich ablehnen
, fo find wir ihm doch für manche Anregung fehr
dankbar. Die fogenannten Pilatus-Acten ftellen immer
noch eins der fchwierigften literarifchen Probleme der
älteren chriftlichen Literatur. Aber nicht durch Einzelbeobachtungen
, fondern nur durch eine umfaffende Ge-
fammtunterfuchung, und nicht von Homer und feinen
Centoniften, fondern von der grofsen Literatur der Mär-
tyreracten aus, wie fie von den Makkabäerbüchern an
fich bei Juden wie Chriften durch die Jahrhunderte hindurchzieht
(f. Deifsmann, ThLz 1898 Sp. 606), wird das
richtige Verftändnifs derfelben zu gewinnen fein.

Jena. von Dobfchütz.

Sehling, Prof. Dr. Emil, Die Kirchengesetzgebung unter
Moritz von Sachsen 1544—1549 und Georg von Anhalt.

Leipzig, A. Deichert, 1899. (V, 222 S. gr. 8.) M. 3.60

Die Bedeutung, welche die Jahre 1544—1549 für
die Gefchichte der evangelifchen Kirche und des
evangelifchen Kirchenrechts im albertinifchen Sachfen
befitzen, beruht darin, dafs in diefen Zeitraum die
Beftrebungen des Landesherrn fallen, der evangelifchen
Kirche feines Gebietes neue Ordnungen und die erfte

wirkliche Verfaffung zu geben. Bei feiner Darfteilung
verfolgt Sehling einmal den Zweck, die einzelnen Phafen
der Gefetzgebung von der Leipziger Lätare-Conferenz
an bis zu den verwickelten und fchwierigen Zeiten des
Interims klarzulegen, andererfeits den hervorragenden
Einflufs in das rechte Licht zu ftellen, welchen Fürft
] Georg von Anhalt, der erfte evangelifche Bifchof des
I Bisthums Merfeburg, dabei ausgeübt hat. Damit bildet
[ die Schrift zugleich einen Beitrag zur Lebensgefchichte
I diefes Mannes, demnach diefer Richtung hin eine gerechte
Würdigung trotz reicher Literatur bisher gefehlt hat.
1 Gründliche Archivftudien, welche der Verfaffer in Zerbft,
Dresden, Magdeburg, Deffau und Zwickau angeftellt hat,
geben das Fundament für die Unterfuchung ab. Die
Darfteilung gliedert fich in 7 Paragraphen, deren erfter
| die Leipziger Lätare-Conferenz (März 1544) behandelt.
Von diefer Verfammlung wufste man nicht viel mehr
als die Thatfache ihrer Exiftenz; es ift Sehling geglückt,
ein Exemplar der Leipziger Befchlüffe im herzoglichen
I Staatsarchive zu Zerbft aufzufinden, und zwar dasjenige,
welches Herzog Moritz an Georg von Anhalt zur Begutachtung
überfendet hat. Die Befchlüffe, welche in der
Anlage A. zum Abdruck gebracht werden, benutzen
vielfach wörtlich die Wittenberger Confiftorial-Ordnung von
1542, daneben bringen fie aber auch manche originale
Gedanken. Im zweiten Paragraphen werden im einzelnen
die vier Gutachten befprochen, welche die Leipziger
Theologen im April 1544 über die Beftellung eines
Bifchofs und die Einführung der Kölner Kirchenordnung
an Herzog Moritz erftattet haben. Die Thatfache, dafs
als Grundlage der Reformation im Stifte Merfeburg die
Kirchenordnung Hermanns von Wied vom Jahre 1543 aus-
erfehen war, ift neu und nicht ohne Intereffe; wie der
Verfaffer vermuthet, hat Moritz fich vielleicht durch die
Aehnlichkeit der Situation dazu beftimmen laffen. Paragraph
3 befchäftigt fich mit der Beftellung Georgs von
Anhalt zum Bifchofe von Merfeburg, mit der Leipziger
Michaelis-Conferenz von 1544, der Vorbereitung der
I Beratung, welche zu Altzelle ftattfinden follte, endlich
mit der Gründung des Confiftoriums zu Merfeburg. Die
dann in Altzelle 1545 befchloffenen Ordnungen (Confiftorial-
ordnung, Eheordnung, befonders aber die Kirchenordnung
und deren fpätere Schickfale) bilden den Gegenftand der
beiden folgenden Paragraphen; dazu gehören die Anlagen
B., Memorial Georgs von Anhalt für die Berathung,
und C, in welcher die Befchlüffe von 1545 abgedruckt
werden, fchliefslich kann man auch Anlage D. hierzurechnen
, welche den Merfeburger Synodalunterricht bietet
mit den Abänderungen der allgemeinen fächfifchen Super-
intendenteninftruction 1545. Im vorletzten Paragraphen
fchildert Sehling das evangelifche Kirchenrecht nach den
Anfchauungen Georgs von Anhalt. Das Gefammturtheil über
letzteren lautet im wefentlichen ziemlich abfällig. Der
Anhalter fafste fein Amt wefentlich im katholifchen
Sinne auf, charakteriftifch für ihn ift das ftarke Fefthalten
an kanonifchen Anfchauungen und Grundfätzen (S. 88).
Seine praktifchen Vorfchläge über die zu errichtenden
Organe, über den Antheil der Gemeinde, über das Ver-
hältnifs der kirchlichen Gewalt zur weltlichen u. f. w.
I zeichnen fich nicht durch befondere Schärfe und Klarheit
aus (S. 89). Seinen eifrigen Bemühungen zum Trotz
gedieh die Agendenfrage, die ihm fo fehr am Herzen
lag, zu keinem glücklichen Ende. Kein befferes Loos war
dem Entwürfe zur Interimskirchenordung (§ 7) befchieden,
der ebenfalls von Georg von Anhalt herrührt. Melanchthon
hat fich niemals recht damit befreunden können, feiner
hinausfchiebendenund verzögernden Behandlung der Dinge
hat es die evangelifche Kirche Sachfens zu danken, dnfs
fie vor der gefetzlichen Einführung der Interims-Agende
bewahrt blieb. Soweit in grofsen Zügen der Inhalt der
Schrift, welche nach Anficht des Ref. wefentlich gewonnen
haben würde, wenn der Verfaffer fich gröfserer Straffhei
und Knappheit befieifsigt hätte. Die Hauptpunkte hätten