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Ausgabe:

1899

Spalte:

13-15

Autor/Hrsg.:

Clemen, Carl

Titel/Untertitel:

Die christliche Lehre von der Sünde 1899

Rezensent:

Gunkel, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. t8oq Nr. i

'4

keit) zu machen. Dafs die johanneifchen Anfchauungen I jüdifchen vorchriftlichen Literatur wohl verfirt ift und
nicht zu vollkommener Einheitlichkeit und Ueberein- j diefelbe mit befonnenem Urtheil zum Verftändnifs des
ftimmung in fich felbft durchgebildet find, zeigt fich dabei j N. T. zu verwenden weifs: der Vorwurf, den man gegen
an mehr als einem Orte. So z. B. bezüglich des Verhält- Neuere (auch gegen den Recenfenten) erhoben hat, fie

nifses, in welchem die Begriffe Licht und Leben gedacht
find (S. 167 f.). Ganz befonders aber gilt dies bezüglich
der Lebensvollendung. ,So ftark die Gemeinfchaft der
Chriften untereinander betont wird, fo hat man doch den

legten auf das .Milieu' einen zu grofsen Accent, wird
Clemen nicht treffen. Befonders verfügt der Verf. im
N. T. über eine umfaffende Belefenheit in älterer und
neuerer Literatur.

Eindruck, dafs das fociale Moment im fynoptifchen und Der Verfaffer hat im allgemeinen die bekannte

paulinifclien Sinne zurückgedrängt ift. Als Ende der Wege : Methode N.T.licher Unterfuchungen befolgt, die befon

Gottes erfcheint nicht eine Reichsvollendung, fondern die
Seligkeit aller derer, die zu Chrifto gehören' (S. 159)
Weniger herrfcht Klarheit über die Frage, wie fich diefe

ders durch die Meyer'fchen Commentare und die Holtz-
mann'fchen Arbeiten vertreten wird: es werden bei jeder
gröfseren, kleineren und kleinften Frage die Anflehten

Seligkeit näher geftalte, ob fie etwa als bereits im Tod j früherer Forfcher aufgeführt (wobei denn auch wohl
erfolgende Vereinigung mit Gott vorzuftellen fei; auch | mancherlei befprochen und widerlegt wird, was ,eigent-
über die Rolle, welche dabei der Auferftehungsvorftellung ; lieh keiner Widerlegung bedürfen follte' S. 102) und bei
zufällt. Wenn man von letzterer abfieht, fo hat, was übrig j der Gelegenheit einer Befprechung diefer Aufftellungen
bleibt, eine gewiffe Aehnlichkeit mit den griechifchen Ge- | wird die eigene Anfchauung Stück für Stück entwickelt. Der

danken über Unfterblichkeit, wobei freilich der grofse
Unterfchied beftehen bleibt, dafs der Gläubige nicht fo-
wohl von der drohenden Sterblichkeit, als vielmehr von
dem bereits eingetretenen Tod befreit, aus dem Todes-
zuftand in das Leben hinüber gerettet wird. Infofern wird
ein formeller Einflufs von Seiten des Griechenthums zugegeben
(S. 181).

Was fchliefslich das Thema des letzten Capitels, den
Quell des Lebens anlangt, fo ift diefer in dem, dem
Vater und dem Sohn eignenden, Leben zu finden, welches

Vorzug diefer in der N.T.lichen Forfchung üblichen Methode
ift die grofse und oft bewunderungswürdige ,Akribie':
es werden oft exegetifche Fragen hin und her erörtert,
die ein an folchen mikrofkopifchen Unterfuchungen nicht
gefchultes Auge kaum zu fehen vermag. Andererfeits
hat die Methode auch ihren Nachtheil: über den unzähligen
Einzelheiten geht die Ueberficht über die eigentlichen
grofsen Probleme leicht verloren; der Eindruck
des alten Textes geht unter vor der Fülle der exegeti-
fchen Meinungen; und, was der Schwerwiegendfte ift, die

als eine fich felber mittheilende Kraft, als Licht der 1 fcharfen Begriffsunterfcheidungen töten gar leicht den Sinn
Menfchen hingeftellt wird, das fie in Verbindung mit für den lebendigen Menfchen, feine Schmerzen, Hoff-
Gott bringt. ,Hier mag eine originell johanneifche Wen- : nungen und Ideale, der aus dem Texte zu uns fpricht.
dung des allgemeinen Gedankens von Gott als dem Ur- Disponirt hat der Verfaffer nach Art der ,biblifchen

lieber alles Lebens vorliegen' (S. 178) — falls nämlich Theologie'; er theilt I. das Wefen der Sünde: 1. der
nicht die philonifche jr/yy/; C,<x>fjq als Mufter vorge- Begriff der Sünde (die biblifchen Bezeichnungen der Sünde
fchwebt hat. und der Begriff der Sünde; das Subject der Sünde; die

Aus den Schlufsbetrachtungen feien noch folgende
Sätze hervorgehoben: ,Wie bereits bald nach dem vierten
Evangeliften das Bewufstfein gegenwärtigen Lebensbe-
fitzes durch die Hoffnung auf ein ewiges Leben erfetzt
wurde, fo ift es meift auch fpäter bis auf den heutigen
Tag geblieben. Die einfache fynoptifche Betrachtungsweife
hat über die johanneifche gefiegt' (S. 182). .Seine
(des vierten Evangeliften) gefammte Anfchauung ift von
folch einem Ernft, von folcher Tiefe und Schwere, dafs
jeder einzelne Begriff ein Gewicht bekommt, das ihm die
Folgezeit nicht zu erhalten vermocht hat' (S. 183).

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Clemen, Priv.-Doz. Lic. Dr. Carl. Die christliche Lehre von

der Sünde. Eine Unterfuchung zur fyftematifchen
Theologie. I. Teil. Die biblifche Lehre. Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht, 1897. (VI, 272 S. gr. 8.)

M. 6.—

Dr. Clemen hat den kühnen Plan gefafst, die chrift-
liche Lehre von der Sünde in einer Reihe von Monographien
zu behandeln; gegenwärtig liegt der erfte Theil,
die biblifche Lehre, vor; eine dogmengefchichtliche und
eine dogmatifche Unterfuchung foll folgen.

Clemen's Unterfuchung macht den wohlthuenden
Eindruck wiffenfehaftlichen Ernftes und maafsvoller Be-
fonnenheit. Der Verfaffer, von Fach N.T.ler, befitzt
zugleich eine fehr achtenswerthe Kenntnifs des A. T.
und der neueren Literatur darüber; in A.T.lichen Fragen
folgt er der neueren, nach Wellhaufen genannten Schule,
hält fich aber befonnen von manchen Uebertreibungen
fern; fo fpricht er, wie ich glaube mit Recht, mehrfach
aus, dafs die Propheten doch von der älteren Religions-
ftufe nicht fo weit abftehen, als die Modernen es gewöhnlich
anfehen (vgl. z. B. S. 101). Befonders zu

angeborene Sunde). 2. Die Grade der Sünde (Unterfchied
der Sünde nach ihrem Gebiet und nach ihren Bedingungen ;
unvergebbare Sünden). 3. Die Verbreitung der Sünde.
II. Der Urfprung der Sünde: 1. Gott als Veranftalter der
Sünde. 2. Der Sündenfall des Protoplaften. 3. Das Fleifch
als Quelle der Sünde. III. Die Folgen der Sünde: 1. Die
Herrfchaft der Sünde. 2. Die Uebel. 3. Der Tod. Der
Verfaffer hat diefe ,Localmethode' mit der hiftorifchen
in der Art verbunden, dafs er innerhalb jeder einzelnen
behandelten Frage den Stoff in hiftorifcher Reihenfolge
augeordnet hat, alfo etwa in der Art der Luthardt'fchen
Compendien. Diefe Anordnung hat unftreitig ihre Vorzüge
: bequem ift fie vor allem für den Dogmatiker, der
fo die Refultate der biblifchen Forfchung unmittelbar
übernehmen kann ; aber auch vom hiftorifchen Standpunkt
ift fie nicht ganz zu verwerfen: denn wirklich giebt es
im A. und N. T. mancherlei, was bei einer rein hiftorifchen
Dispofition leicht zu kurz kommt, das Gleichbleibende
, die Grund-Ueberzeugungen und -Anfchauungen;
und auch davon abgefehen mag es lehrreich fein, durch
denfelben Stoff, der fonft in Form einer Gefchichtsdar-
ftellung auftritt, nun auch einmal einen Querdurchfchnitt
zu ziehen. Aber auch die Gefahr der Localmethode ift
deutlich: es werden durch diefe Methode die in der Ge-
fchichte vorliegenden Zufammenhänge zerfchnitten und
neue künftliche gebildet; fo werden einerfeits die Aus-
fagen, z. B. des Paulus über die Sünde an 10 verfchie-
denen Stellen behandelt; dagegen werden die hochentwickelten
Reflexionen eines Paulus eventuell dicht neben
den naiven Ausfagen des alten Israel behandelt. Es
gehört eine fehr kräftige Hand dazu, bei diefer
Methode die gefchichtlichcn Zufammenhänge ftraff zu-
fammen zu halten, und das gefchichtlich weit auseinander
liegende auch in der Darftellung auseinandertreten zu
laffen.

Hiermit find, wie ich denke, zugleich die Vorzüge

betonen, weil in der N.T.lichen Forfchung noch immer j und auch die Gefahren der Clemen'fchen Art bezeichnet:
nicht felbftverftändlich, ift, dafs der Verfaffer auch in der [ feine unleugbaren Vorzüge find die Sauberkeit und Klar-