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Ausgabe:

1898 Nr. 25

Spalte:

664-666

Autor/Hrsg.:

Smend, Julius

Titel/Untertitel:

Kelchversagung und Kelchspendung in der abendländischen Kirche 1898

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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663 Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 25 664

(vielmehr Hacks, ein Schwager des ultramontanen Abgeordneten
Bachem) und Margiotta, ihrer verfchiedenen
Werke, ihres Verkehrs mit den römifchen Würdenträgern
etc. Ein befonderes Capitel ift der famofen Mifs
Diana Vaughan gewidmet, der von Taxil gefchaffenen
Figur, die die leidenfchaftlichfte Verehrung bei den
»Gläubigen' erweckt, die ernfthafteften Zeugnifse für ihre
Heiligkeit und Sachkunde von klerikaler Seite empfängt,
fogar des Segens des Papftes theilhaftig wird, und doch
nichts anderes war, als eine Romangeftalt, wie fie nur einer
wilden, wahrhaft grotesken Phantafie entfpringen konnte.
Der Unfinn, der über ihre Herkunft und ihre Erlebnifse
verbreitet wird, ift fo haarfträubend, fo grandios, dafs
man nur ftaunen kann, wie er nicht fofort darauf führte,
den Schwindel zu entdecken. Welche Unwiffenheit,
welcher Aberglaube, welch' ein unfäglicher Hafs gegen
die ,Freimaurer' — denn um fie handelt es fich ja überall
; Leo XIII. und feine Getreuen glauben aber letztlich
den Proteftantismus zu treffen, wenn fie den ,Satanscult'
der Loge, der ,Palladiften', durch die »Enthüllungen'
Taxil's etc., zumal der lebendigften Zeugin dafür, der
Diana, an den Pranger brächten, — welch' eine intellec-
tuelle und moralifche Urtheilslofigkeit mufs in den Kreifen
des römifchen, vorab (aber leider nicht nur) des aufser-
deutfchen, hohen und niederen Klerus, von dem Volke
allenthalben nicht zu reden, gehegt .und gepflegt werden,
wenn man die Hiftörchen Taxil's etc. glaubte und zu
verbreiten offenbar für Pflicht hielt! Unfereiner kann
gar nicht umhin, oft aufzulachen — und es ift doch gar
nicht zum Lachen —, wenn er die Naivetät und doch
auch boshafte Freude bemerkt, mit der die ,Enthüllungen'
vom Papfte und einer Menge von Bifchöfen aufgenommen
werden. Aber es ift fchliefslich nicht einmal wirklich
erftaunlich, dafs Taxil foviel Gläubige gefunden. Ein
ausfchweifender Wunder-Engel-Teufelsglaube, ein Glaube
an die barockften Fähigkeiten und Handlungen zumal
des Teufels, gehört zum dogmatifchen Apparat des
Romanismus. Man fleht, wie unficher die Grenze zwifchen
Glauben und Aberglauben auf diefem Gebiet in ihm ift,
wieviel — evangelifch geredet — Aberglaube hier zum
Glauben gehört. Dafs R. auch hierfür reiche Nach-
weifungen beigebracht, giebt feinem Werkchen noch be-
fonderen Werth.

Noch ein kurzes Wort über die Freimaurerei.
Die prot. Realencyklopädie hat in ihren beiden erflen
Auflagen ihr leider gar keinen Artikel gewidmet. Hoffen
wir, dafs die dritte Autlage diefes Verfäumnifs gut
macht. Die Freimaurerei mufs in dem Werke eine Dar-
ftellung von fachkundiger Seite erhalten. Ich glaube
zwar nicht, dafs auch nur ein einziger akademifcher
Theologe ihr heutiges Tags noch angehört und es wird
auch nicht viele Pfarrer mehr geben, die zu ihr zählen.
Aber wer fich mit der Gefchichte der Aufklärung be-
fchäftigt hat, wird auch auf fie geftofsen fein, und fo
wird es vielleicht doch manchen Kirchen-oder Philofophie-
hiftoriker geben, der über fie wiffenfchaftlich unterrichtet
ift. Ein intereffantes und, foweit ich urtheilen kann,
brauchbares, gutes Buch, ift das von F. Katfch ,Die
Entftehung und der wahre Endzweck der Freimaurerei',
1897. Es hört nur eben beim Jahre 1723 auf. Der
Artikel im kath. Kirchenlexikon Bd. IV, S. 1969—1990
(von Raich) ift verftändig und nicht übel. Er fleht in
einem Bande, der 1886 fertig wurde, und es mag das
Glück feines Verfaffers gewefen fein, dafs er ihn noch
vor der Taxil-Campagne (die 1885 anging) fchreiben
durfte. Der Artikel ,Luciferianer', der freilich nicht von
Raich, fondern von Streber bearbeitet ift, Bd. VIII,
S. 202—203, 1893, verräth fchon denEinflufs des Glaubens
an Taxil.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Smend, Julius, Kelchversagung und Kelchspendung in der

abendländifchen Kirche. Ein Beitrag zur Kultus-
gefchichte. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1898.
(103 S. gr. 8) M. 2.80.

Die im Werke von J. Hillmann ,Die evangelifche
Gemeinde Wefel und ihre Willibrordkirche' (1896) vorgetragene
Behauptung, dafs zwei Pfarrgemeinden in Wefel
bis 1540 in ungefförtem Befitz des Laienkelches gewefen
feien, hat den Herrn Verfaffer veranlafst, die in den
Werken von J. G. de Lith: De adoratione panis con-
secrati et interdictione sacri calicis in eucharißia 1753
und L. T. von Spittler: Gefchichte des Kelchs im
Abendmahl 1780 niedergelegten Studien wieder aufzunehmen
. Das Ergebnifs bietet er uns in vorliegender
Schrift dar. Nach dem 1. Capitel (S, 4—42): ,Zur Gefchichte
der Kelchentziehung' ift in der kirchlichen Praxis
die Kelchverfagung entftanden, erft nachträglich wurde
fie fanctionirt. Befördert wurde die Bewegung durch
die theologifche Speculation, durch das Eingreifen kirchlicher
Inftanzen, durch Entfchliefsungen der Orden und
durch die Haltung der Laien. Die theologifche
Speculation knüpfte an die durch Berengar ent-
ftandene Bewegung an; die Categorien von Subftanz
und Accidens wurden in die Behandlung der Abendmahlslehre
eingeführt. Guitmund von Averfa (f etwa 1100)
lehrt: in jeder Partikel der heiligen Speife fei der ganze
Chriftus gegenwärtig, und Anfelm (f 1109): der ganze
Chriftus fei in der Hoftie, der ganze Chriftus im Weine.
Faft alle Theologen des 12. Jahrhunderts wiffen nur von
der Vollcommunion, felbft noch Albert der Grofse
(f 1280) und Duns Scotus (f 1308) kennen die Kelchverfagung
nicht; nur geftattet ift nach Wilhelm von
Champeaux (j 1121) die Communio sub una, ebenfo
die fog. Intinctio, z. B. bei Kindern und Kranken. Aber
von England geht die Oppofition aus; Robert Pullus
(f 1150) kennt freilich die dreifache Sitte der Vollcommunion
, der Intinctio und Sub una, aber die Kelch-
fpendung an Laien findet er bedenklich; Alexander
von Haies (f 1245) ift der Anficht, dafs der Glaube,
der ganze Chriftus fei in jedem der Elemente gegenwärtig
, nur durch Kelchverfagung den Laien gegenüber
zu erhalten fei. Thomas von Aquin (f 1274) fchliefst
den Engländern fich an: ein einhelliger Brauch fei zwar
nicht da, aber die Kelchentziehung fei zu befürworten,
um die Priefter auszuzeichnen, fodann weil der Kelch
für die Laien unnöthig fei, da ja auch Chriftus die 5000
nicht getränkt, nur gefpeift habe, und weil der Unglaube,
als ob nicht in jedem Elemente Chriftus fei, durch den
Kelchgebrauch gefördert werde. Mit den theologifchen
Speculationen verfolgten dasfelbe Ziel die Anordnungen von
Kirchenfürften und Kirchenverfammlungen. Ob
nach Smend durch Gregor II. (715—731) der Gebrauch
nur eines Kelches erft eingeführt, oder ob (nach
A. Hauck, Kirchengefchichte Deutfchlands i2 [1898]
S. 460) der bereits beftehende Brauch von Gregor
nur fanctionirt wurde, laffen wir billig unentfchieden;
jedenfalls finden wir vom 8. Jahrh. an mächtige und
prächtige Henkelkelche auf den Altären. Da diefe jedoch
bei der Vollcommunion fchwer zu handhaben
waren, fo wurden Trinkröhren (fißula, canna, fiphon,
pipa ^r.)eingeführt,dievondenCluniacenfernbisinsi8.Jahrh.,
von manchen lutherifchen Gemeinden bis in die neuere
Zeit, in Rom bei der Papftmeffe noch heute gebraucht
werden. Befonders bei den grofsen Communionen zu
Oftern u. f. w. machte fich ein anderer Mifsftand geltend,
der auch durch die Fiftula nicht zu befeitigen war. Der
eine confecrirte Kelch genügte nicht, er bedurfte der
Nachfüllung mit nichtconfecrirtem Wein; aber eine
Nachconfecration kennt der Ordo romanus nicht; fo
empfing das Volk die Mifchung von einem Reft des con-
fecrirten mit einer Menge profanen Weines. Es gab
fich damit zufrieden in der auch von autoritativer Seite