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Ausgabe:

1898 Nr. 24

Spalte:

631-633

Autor/Hrsg.:

Goldschmidt, Lazarus

Titel/Untertitel:

Der Traktat Sukkah 1898

Rezensent:

Kahan, Israel Isak

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631 Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 24. 632

thümliche Spracherfcheinung durch zwei Jahrtaufende
verfolgen, haben aber zur Controlle nur Zeugnifse aus
ganz alter Zeit und aus der Gegenwart. Karl Dieterich
(Unterfuchungen zur Gefchichte der griech.Sprache
von der helleniftifchen Zeit bis zum 10. Jahrh. n. Chr. =
Byzantinifches Archiv Heft I, Leipzig 1898, 188) bringt
Belege aus den Apophth. patrum ßoo n. Chr.), vermifst
aber Belege auf Infchriften oder Papyrus, die für die
hiftorifche Statiftik natürlich einen urkundlicheren Werth
haben, als die durch eine unzuverläffige Ueberlieferung
uns übermittelten literarifchen Zeugen. Pap. Oxyrh.
Nr. 121 (3. Jahrhundert) giebt jetzt den vermifsten Beleg:
ein Ifidoros fchreibt einem Aurelios, er folle die Zweige
in Bündel zu je drei Stück binden {t'iva örjari tqicc
rgia). Solche Beifpiele für den grofsen fprachwiffen-
fchaftlichen Werth der neuen Funde laffen fich vermehren.
Wer aber nach einem noch greifbareren Werthe ihres
fprachlichen Gehaltes fchielt, der wird auch nicht ent-
täufcht werden: bieten die ägyptifchen Texte doch eine
Fülle von fprachlichen Auffchlüffen für die Erklärung
der altchriftlichen Schriften. Im Hinblick auf die fprach-
liche Bedeutung der neuen Quellen mufs man freilich
wünfchen, dafs die Herausgeber fich eine gröfsere Referve
in der ,Correctur' von ,Fehlern' auferlegen. Fälle wie
beifpielsweife Nr. 99 Zeile 16 ovvzoiqcovtcdv (von avyxvQtco),
Nr. 119 Z. 2 ff. /ist sOov (vergl. meine Bibelftudien 216
und 289 und Karl Dieterich S. 190 ff., Grenfell und
Hunt fchreiben [isre Oov) und viele andere find ,Fehler'
nur für die antiken Wuftmänner; der Wiffenfchaft find fie
die Pulsfchläge der lebendigen, das heifst wachfenden
und werdenden Sprache.

In allen formellen Dingen ift die Ausgabe fehr
forgfältig.

Heidelberg. Adolf Deifsmann.

Goldschmidt, Lazarus, rrsio roo». Der Traktat Sukkah

(von der Fefthütte). Ueberfetzt nach der erften, zen-
furfreien Ausgabe (Venedig 1520—23), mit Berück-
fichtigung der neueren Ausgaben, nebft kurzen Erklärungen
. (Der Babylonifche Talmud, III. Band,
1. Lieferg.) Berlin, S. Calvary & Co., 1898. (III S. u.
216 Sp. 4.) M. 6.—

Neben der Textausgabe und Ueberfetzung des Talmud
, die G. 1896 zu veröffentlichen begann, läfst er nunmehr
auch ,eine befondere deutfche Ueberfetzung' des
Talmud erfcheinen, die halb fo viel koftet als die andere,
Text und Ueberfetzung umfaffende Ausgabe. Da der in
diefer Zeitung 1896, Sp. 476 f. veröffentlichte Bericht über
die erfte Lieferung der G.'fchen Talmudausgabe hauptfächlich
mit dem angeblich nach der pditio princeps1, ge- I
druckten, aber nicht einmal von den groben Censurent-
ftellungen der fpäteren Drucke ganz befreiten Texte fich
befchäftigte, fo möge diesmal die G.'fche Ueberfetzung
etwas eingehender gewürdigt werden. Einige ihr entnommene
Proben mögen darthun, ob der Ueberfetzer
Inhalt und Sprache des von ihm überfetzten Werkes und
die Sprache, in welche er es überfetzt, genügend
beherrfcht, um eine brauchbare und zuverläffige Ueberfetzung
liefern zu können. Zuerft kommen an die Reihe
folche Beifpiele, die auf die Sachkenntnifs, dann folgen
folche, die auf die Sprachkenntnifs des Ueberfetzers Bezug
haben. Spalte 1 Z. 10: ,Eine Durchgangshalle, die
eine Höhe von mehr als zwanzig Ellen hat, mufs verringert
werden'. Wie eine Durchgangshalle ausfleht, wie
und warum fie verringert werden foll, wenn fie über
20 Ellen hoch ift, bleibt unerklärt. Aber der Text fpricht
überhaupt nicht von einer Durchgangshalle, fondern von
einer Gaffe, noch genauer Sackgaffe, die bei Anbringung
eines Querbalkens über deren Mündung für die rabbi-
nifche Gefetzgebung als völlig umfriedeter Raum gilt, in
welchem das Hin- und Hertragen von Gegenftänden am j

: Sabbath geftattet ift. Es wird gefordert, dafs diefer
Balken, der gleichfam die Gaffenöffnung verbaut, fich
leicht dem Blicke darbiete, und daher die Vorfchrift,
dafs, ,wenn die Gaffe höher als 20 Ellen ift (d. h. wenn
ihre Eckhäufer fo hoch find) man [den Balken] niedriger
! legen foll. ilSE ift trotz Levy, Neuhebr. Wrtrb. III, 8 in
der Mifchnafprache nie= ,Durchgangshalle', fondern ftets
,Gaffe', wenn auch das entfprechende tflSE im Biblifch-
hebräifchen ,Eingang', .Zugang' bedeutet — Sp. 37 Z. 1:
,Die Verzierung der Fefthütte braucht man nicht zu verringern
', und dazu Note 122: ,falls fie über 20 Ellen hinausgehen
'. Die entfprechende Stelle des Textes, Succa
iOb lautet in wörtlicher Ueberfetzung: ,Die Ausfchmück-
ungen der Laubhütte fchaffen keine Verminderung in
der [Höhe der] Laubhütte', und befagt, dafs wenn z. B.
der Raum zwifchen Boden und Laubdach vorfchrifts-
| widrig über 20 Ellen beträgt, aber durch die zur Aus-
! fchmückung der Laubhütte unter das Laubdach ausgebreiteten
bunten Tücher u. dgl. auf die zuläffige Höhe
reducirt worden ift, die alfo bewirkte Raumverminderung
nicht gilt, fo dafs die Laubhütte nach wie vor als vor-
Ichriftswidrig, weil zu hoch, anzufehen ift. G. hat alfo
einen einfachen, klaren Satz im Talmud falfch und finnlos
überfetzt. — Succa 45" erörtert der Talmud eine
! Frage aus der Geographie Paläftinas. G. aber fieht hier
einen Eigennamen als Apellativum an, ohne über den
Unfinn ftutzig zu werden, der dadurch herauskommen
mufs. Sp. 165 Z. 33: ,Es wird gelehrt, es wäre eine Kolonie
gewefen — Weshalb nennt fie unfer Tanna Moca?'
| Nun hat letztere Frage gar keinen Sinn, da eine Kolonie
doch einen Namen haben mufs und auch Moga heifsen
darf. Die Sache wird aber klar, wenn man weifs, das
R^Dlbp ein Eigenname ift (s. jer. Talmud Succa 54b u.
vgl. Neubauer, Geographie du Talmud p. 153)- Der
Talmud Hellt alfo zunächft feft, dafs die Ürtfchaft (aus
welcher die Bachweiden zur Aufhellung um den Altar
bezogen zu werden pflegten) t03lbp hiefs, und wirft dann
die Frage auf, wie es komme, dafs der eine Tradent fie
Riltt nennt. — Doch nicht allein beim Erklären, fondern
fchon beim Lefen des Talmudtcxtes begeht G. arge
Fehler. Unter Heranziehung von Hiob 26,9 wird Succa 5»
in Bezug auf Mofe gefagt, ,dafs der Allmächtige den
Glanz feiner Herrlichkeit und feine Wolke über ihn
ausbreitete'. G. aber Sp. 18 Z. 8 überfetzt: ,dafs der Allmächtige
über ihn den Glanz feiner Gottheit ausgebreitet
und ihn befchattet hat'. G. hat alfo i333>1 (= und
feine Wolke) als irgend eine Verbalform angefehen und
überfetzt und das Wörtchen vby unter den Tifch fallen
laffen. Aerger und finnentftellender ift es aber, wenn
G. das vom Talmud Succa 34*, aus Ez. 17, 5 angeführte
ilüO (= er hat ihn gemacht) Sp. 125 Z. 27 u. 40 ,fein Name'
überfetzt als ob es iattj hiefse! Ueberhaupt fcheint G.
mit der Grammatik der hebräifchen Sprache ungenügend
vertraut zu fein. Succa 38» 7"TD KS (d. h. unterwegs fein)
heifst für G. Sp. 140 Z. 33 ,von der Reife kommen' und
Succa 29a • • ü Dp (d. h. fich erheben von, weggehen)
heifst für G. Sp. 106 Z. 7 ,stand vor' alfo gerade das
Gegentheil, wobei natürlich der Sinn der betreffenden
Stellen ganz verfchoben wird. Dafelbft Z. 36—40 (4 Mal)
wird 3. Pers. sg. masc. des Imperf. Nifal von ~i1St und TU?
,jaor" bezw. jaör' transcribirt! Am Schluffe feiner hebräifchen
Vorrede zu Bd. I wird gar Gott von G. mit den
Worten iDTl bfct angerufen, was im Biblifchhebräifchen,
wo non ftets mit 3 conftruirt wird, überhaupt unmöglich
ift und im Neuhebräifchen nur fo viel als ,Gott, der bei
mir Schutz fucht' bedeuten könnte. — Um die Kennt-
nifse, die der Ueberfetzer von der deutfchen Sprache befitzt
, fleht es kaum beffer. Verftöfse gegen die Cafus-
regeln z. B. Sp. 10 Z.40: ,Vom Tifch wird nicht erwähnt'
(ftatt der Tifch), Sp. 16 Z. 25 ,in der Erde gedeckt' Sp. 54
Z. 27: ,auf der Kante gelegt', komifche Wortbildungen,
wie Sp. 37 Z. 20 .Exiloberhaupt', Sp. 92 Z. 7 ,Hochzeits-
fecundanten' (Brautführer find damit gemeint) oderSp. 192