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Ausgabe:

1898 Nr. 23

Spalte:

613-617

Autor/Hrsg.:

Bleek, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Grundlagen der Christilogie Schleiermachers 1898

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 23.

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gläubigen Sinnes im Zeitalter der Renaiffanct" nach- | denken, dafs der Redner (ich in eine fo verzwickte Situa-
zuweifen — richtiger wäre es wohl gewefen, die Frage 1 tion begeben' habe, wie er es nach meiner Auffaffung
nach der Fortdauer religio fen Lebens zu Mellen', gethan haben miiffe (S. 78). Aber ift denn nicht in der
K.. . , Benrath That die Situation ,verzwickt'genug, in die fich Schi, hin-

nigs rg. einbegeben hat, indem er gegen Schlufs der 3. Rede für

die Bedürfnifse der Verächter eine ,Kunftreligion' (Reden

Bi«k, W Lie. Hermann, Die Grund,aSe„ «er MM» ; r-gf^.-i^jflE
Schleiermachers. Die Entwicklung der Anfchauungs- genden Worten auffordert: .Sehet da, das Ziel Eurer
weise Schleiermachers bis zur Glaubenslehre mit be- ' gegenwärtigen höchften Anftrengungen ift zugleich die
fonderer Rückficht auf feine Chriftologie dargestellt. Auferftehung der Religion! Eure Bemühungen find es,
Freiburg i. B„ 1. C. B. Mohr, 1898. (VII, 233 S. gr. 8). welche diefe Begebenheit herbeiführen müffen, und ich
b ' J ' . M <6o felere kuch als dle wenngleich unbeabfichtigten Retter

' 3" und Pfleger der Religion etc.' (III, 170 f.)? An dieser
Vorliegendes Buch, die Erftlingsschrift des Verf., und an der der Sache nach parallelen Stelle der 5. Rede
ift eine fehr tüchtige und anerkennenswerthe Leiftung. | (V, 309 f.) fcheint mir die von mir behauptete bewufste
Der Verf hat fich mit viel Liebe und Verftändnifs in und abfichtliche Accommodation Schl.'s an fein romanfeinen
Stoff hinein^elebt, beherrfcht ihn daher in hohem tifches Leferpublicum ganz evident zu fein. Denn indem
Grade und ift auch mit der umfangreichen Literatur über er fich felbft (III, 167) den als Vorausfetzung jener neuen
Sehl Gründlich vertraut. Seine Darlegungen find in vier Religion fupponirten Kunftfinn abfpricht, giebt er deut-
Capiteln enthalten (1 Jugendentwickelung, 2. die moralifch- lieh genug kund, dafs er für feine Bedürfnifse gemäfs
intellectualiftifche Periode (Chriftus als Lehrer und Vor- j feiner andersartigen individuellen religiöfen Anlage von
bild) 3 die aefthetifch-intellectualiftifche Periode, 4. der , der fraglichen Zukunftsreligion keinen perfönlichen Ge-
Umfchwunc* zu einer pofitiven Stellung zu Chriftus und brauch machen könne. Seine Religion ift vielmehr das
zum hiftorrfchen Chriftenthum) und verfolgen Schl.'s ein- Chnftenthum, das freilich nach feiner Anficht als .höhere
fchläRige literarifche Productionen bis einfchliefslich zu Potenz' aller anderen Religionen in diefen und ihrer
dem Gefpräch über die Weihnachtsfeier, von dem eine j Gefchichte am liebften das Univerfum betrachtet, fie als
eingehende Analyfe gegeben wird. Zu bedauern ift nur, : Stoff für die Religion verarbeitet und diefe Stellung
dass Bleek hier halt gemacht und feine Erörterungen ' natürlich auch zu der neuen Religion einnimmt, welche auf
nicht auch noch auf die Glaubenslehre und andere Quellen 1 der Bafis des Kunftfinns erft noch entftehen foll (V, 293).
aus Sehl 's fpäterer Zeit ausgedehnt oder wenigftens die j Solche Accommodation wäre nun aber nach Bleek's
Ausficht auf einen zweiten Band eröffnet hat, in dem | Meinung fowohl ungeeignet, den Zeitgenoffen die Reli-
das Thema zu Ende zu führen wäre. So bricht die Arbeit j gion in ihrer Eigenart bekannt und vertraut zu machen,
an einem Punkte ab, wo Schl.'s fpätere chriftologifche j als auch moralifch bedenklich gewefen, und, da ichgefagt
Gedanken uns doch nur erft in unbeflimmten, fchwanken- j habe, Schi, habe nichts, was ihm wirklich wefentlich und
den Umrifsen entgegentreten. Nach dem aber, was j wichtig war, den Verächtern zu Liebe heuchlerifch preis-
Bleek bisher vorgelegt hat, darf man annehmen, dafs geben wollen, fo fcheint Bleek mich mit meinen Ur-
es ihm auch gelingen müfste, eine vollftändige Mono- ' theilen in ein böfes Dilemma getrieben und entweder
graphie über Schl.'s Chriftologie, die jedenfalls eine fehr j nach der einen oder der anderen Richtung widerlegt zu
erwünfehte Gabe wäre, in befriedigender Weife zu leiften. t haben. Aber was die zunächft berührte Leiftungsfähig-
Hätte fich Bleek von vorn herein feine Aufgabe in j keit der Methode Schl.'s betrifft, fo läfst fich darüber a
folchem gröfserem Umfange geftellt, fo würde er fich j priori überhaupt nicht urtheilen. Genug, dafs Schi, fie
vielleicht genöthigt gefehen haben, das erfte Drittel feines I für hinreichend Erfolg verfprechend angefehen haben
Buches etwas weniger breit anzulegen. Zwar liegt auch mufs, denn fonft würde er fie nicht angewendet haben,
den zuerft überwiegenden biographifchen Partien des | Aber auch moralifch bedenklich ift jene Accommodation
Buches überall eigenes Studium zu Grunde. Dennoch J jedenfalls für Schi, nicht gewefen. Denn für diefe Frage
hätte es genügt, diefe zum gröfsten Theil reichlich be- | können nicht die uns geläufigen Vorftellungen entfehei-
kannten Dinge in den meiften Fällen auch als bekannt dend fein, fondern lediglich Schl.'s deutlich genug ver-
vorauszufetzen oder auf die Diltheyfche Biographie zu tretene Anficht von der Religion überhaupt und von
verweifen. Dankenswerth ift dagegen im zweiten Capitel dem gegenfeitigen Verhältnifs des Chriftenthums als der
der Abfchnitt über die erften Predigten mit den intereffan- höchften zu allen anderen Religionen. Aller religiöfe
ten Nachweifungen über Schl.'s Verhältnifs zu Zinzendorf. Particularismus nämlich und alles Streben einer einzelnen
Den Reden über die Religion ift dann weiter mit Religion nach Alleinherrfchaft find nach Schl.'s Anficht
Recht befondere Aufmerkfamkeit zugewendet. Etwa der dem Geifte der Religion und insbefondere des Chriften-
dritte Theil des Buches handelt von ihnen. Der Verf. I thums durchaus zuwider. Deffen Polemik richtet fich
tritt der von mir vertretenen Anficht über den Charakter vielmehr nur gegen das irreligiöfe Princip, nicht aber
der Reden im Ganzen entgegen, während er im Einzelnen gegen irgendwelche andere Religionen, die, foweit fie
vielfach mit meinen Ausführungen übereinftimmt. Ich Religion und nicht entartet find, in diefem Kampfe eo
habe feiner Zeit (Schl.'s Stellung zum Chriftenthum etc. 1 ipso als Bundesgenoffen auf Seiten des Chriftenthums
Gotha 1888) im Widerfpruch zu der bekannten Charakte- flehen und von diefem daher auch anerkannt, geduldet,
riftik Schl.'s von Straufs die Hypothefe aufgeftellt und ja begünftigt werden können und müffen. Denkt man
zu begründen verfucht, dafs Schl.'s Reden einen wefent- fich nun in diefe Denkweife Schl.'s, die uns ja fremd
lieh exoterifchen Charakter haben, und dafs er felbft fich j irrig, romantifch, gnoftifch oder fonftvvie verkehrt o-e-
in ihnen dem Standpunkt der Religionsverächter, an welche nug erfcheinen mag, die aber thatfächlich in den
fie gerichtet find, in hohem Maafse aecommodirt hat. Bleek ! Reden als die chriftliche proclamirt wird, ernftlich hinein
nun giebt einen ,gewiffen' Exoterismus in den Reden zu, , und verfucht aus ihr heraus zu urtheilen, fo fehe ich
ja er vermehrt die von mir gefammelten Beweisftellen, nicht, dafs Schi, von diefem feinem Standpunkt aus
zu denen ich bei diefer Gelegenheit noch den Hinweis etwas, was ihm wefentlich und wichtig gewefen ift, den
auf das fehr charakteriftifche letzte Drittel der Vorrede ; Verächtern zu Liebe heuchlerifch preisgegeben habe,
zur 3. Aufl. der Reden hinzufügen möchte, um einige Denn andererfeits verfchweigt er ja auch diefen nicht
verwandte Citate aus Schl.'s Briefen (S. 76). Dennoch fein chriftliches Bekenntnifs und feine eigene Stellung zur
meint Bleek, ich hätte aus diefem Material zu weit- Religion, die für ihn mit feinem perfönlichen Chriften-
gehende Folgerungen gezogen; er könne es fich ,nicht thum zufammenfällt.