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Ausgabe:

1896

Spalte:

678-679

Autor/Hrsg.:

Ruben, Paul

Titel/Untertitel:

Critical remarks upon some passages of the Old Testament 1896

Rezensent:

Siegfried, Carl

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Theologifche Literaturzeitimg. 1896. Nr. 26.

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des Cultus zu Jerufalem forderte. Mit diefem Grundge- !
fetz feien fehr früh Beftimmungen verbunden worden, j
die den Zweck gehabt hätten, die Durchführung des
deuteronomifchen Grundgefetzes zu ermöglichen bezw.
zu erzwingen (cf. die Gerichtsfprüche). Diefe Beftim-
mungen hätten mit dem Grundgefetz zufammen die deu-
teronomifche Grundfammlung gebildet. Auch diefe
Grundfammlung fei nicht mehr in ihrer originalen Ge-
ftalt vorhanden. Doch fei fie in unferem Deuteronomium
und zwar in einer zwiefachen Ausprägung A und B
erhalten. Ein Bearbeiter B, der fich confequent der
fingularifchen Anrede bediene (daher auch Sg. ge- I
nannt), habe zunächft diefe Grundfammlung getreu ihrer
Tendenz erweitert und durch eine Reihe von Humanitäts-
beftimmungen bereichert. Diefer Sammlung B (oder Sg.)
flehe eine andere Bearbeitung der deut. Grundfammlung,
von St. zunächfl als A bezeichnet, gegenüber. Diefe fei
jedoch nicht ganz fo einheitlich wie die Sammlung B;
vielmehr glaubt St. ganz bellimmt zwei Stufen in ihrer
allmählichen Entftehung wahrnehmen zu können. Zuerft
habe ein Bearbeiter die deut. Grundfammlung mit den
von St. fo genannten Aelteftengefetzen meift familienrechtlichen
Inhalts verbunden; diefe Sammlung habe
dann ein fpäterer, in demfelben Geifte arbeitender Schrift-
fteller durch die Toebhafprüche und Kriegsgefetze
erweitert. Trotz diefer verfchiedenen Hände, die an
ihrem Zuftandekommen gearbeitet, fei diefe Sammlung
A doch eine geiftige Einheit mit der Tendenz, das Ideal
eines reinen, fchuldlofen Ifrael zu verwirklichen.
Da nun A nicht auf die Einheit des Numerus fieht, neben
fingularifchen Stücken vielmehr auch pluralifche, wie
das Cultgefetz XII, fg. aufweift, da ferner die von St. in
feiner früheren Abhandlung über den Rahmen des Deut,
conftatirten zwei Einleitungen Sg. und PI. zwei verfchie-
dene Ausgaben des deut. Gefetzes vorausfetzen, und die
Einleitung Sg. fich recht gut mit der Gefetzesausgabe B
oder Sg. zufammenordnen läfst, fo vollzieht Steuernagel
ohne Bedenken die Gleichung: A= P), fo dafs, wie die I
Einleitung, fo auch die Gefetzgebung diefelben zwei
verfchiedenen Elemente Sg. und PI. aufweifen würde.
Aus der Zufammenfchmelzung von Sg. und PL durch
einen Bearbeiter Dr fei im wefentlichen unfer jetziges
Deut, entflanden.

Es liegt in der Natur der Sache, dafs bei derartigen
Unterfuchungen und Reconflructionsverfuchen dem Sub-
jectivismus ein fehr weiter Spielraum gewährt ift, und j
dafs es hier fehr fchwer ift, Alle gleichmäfsig zu über- 1
zeugen. So ift Ref. trotz vielfacher und erfreulicher
Uebereinftimmung in Einzelbeobachtungen und in der
Scheidung verfchiedener Gefetzesgruppen nicht in der
Lage, dem Verf. in jeder Beziehung Gefolgfchaft zu
leiften. Ift, um nur einige Bedenken zu äufsern, die 1
doppelte Recenfion der Gerichtsfprüche wiiklich fo ficher 1
erwiefen? Lauen fich die fchriftftcllerifchen Unebenheiten
, die fie zum Theil aufweifen, cf. nam. Deut. XVIIS fg.
XIX,5 fg., nicht ebenfogut durch die Annahme einer
uniformirenden Uebei arbeitung erklären ? Hat ferner der j
Verf. bei der Identificirung von A mit PI. nicht
unter dem deutlichen Zwange feiner früheren PCrgebniffe
geftanden, dem er feine eigenen Bedenken nur allzu be- ,
reit zum Opfer gebracht hat? Nach des Ref Meinung
liegt in der Ausfuhrung auf S. 65. 66 die Achillesverfe
der Steuernagel'fchen Gefammtanfchauung von der Entftehung
des Deuteronomiums. Lafst fich diefe Pofition
nicht halten, fo geräth der ganze Bau ins Wanken, und j
es entlieht die Frage, ob man nicht auf einem anderen
Wege verfuchen mufs, hinter die Geheininiffe der Com-
pofition des Deut, zu kommen.

Auch wer dem Verf. nicht überall in den Ausfuhrungen
des erften Theiles zu folgen vermag, wird feine
bibiifch-theologifchen Unterfuchungen im zweiten Theile 1
dankbar begrulsen. St. weifst hier nach, dafs die von
ihm mit Sg. bezeichnete Schicht hinfichtlich ihrer gegen |

den Baalsdienft gerichteten Tendenz und der von ihr
aufgeftellten Motive für den Gehorfam gegen Jahves Gebote
vor Allem von dem Propheten Hofea abhängig fei,
während die Schicht PL, die auf die Heiligung des Landes
und des Volkes für den heiligen Gott Ifraels dringe,
mehr den Einflufs jefajanifcher Ideen verrathe. Man
kann ja freilich, namentlich wenn man von der Exiftenz
eines Sg. und PI. nicht recht überzeugt ift, fragen, ob
denn diefe Ideenkreife fo fcharf von einander abgegrenzt
feien, dafs fie nicht innerhalb eines einigen Perfonen-
lebens fich begegnen, berühren und durchfchneiden könnten
, und ob der Nachweis ihres Vorhandenfeins ohne
Weiteres fchon den Nachweis verfchiedener Schriftfteller
in fich fchliefsen müfste. Mag defshalb zu diefer und
jener Behauptung Steuernagel's immerhin ein Fragezeichen
zu fetzen fein, fo wird man ihm doch zugeftehen müffen,
dafs er mit grofsem Gefchick das Vorhandenfein verfchiedener
Gedankenkreife conftatirt und es fehr gut
verllanden hat, fie zu charakterifiren und zur propheti-
fchen Predigt in Beziehung zu fetzen; und fpeciell der
Ref. will gern bekennen, dafs ihm durch diefe Ausführungen
manche Partie des Deut, erft recht nahe gerückt
worden ift.

Auf einen entfchiedenen Widerfpruch darf fich der
Verf. wohl hinfichtlich feiner chronologifchen An-
fetzungen gefafst machen. Die Zurückfuhrung des deuteronomifchen
Grundgefetzes auf das 2 Reg XVIII22 erwähnte
Edict Hiskia's, refp. auf die 2 Reg XVIII4 von
demfelben König bezeugte Befeitigung der Höhen ift
doch höchft precär, fo lange diefe nur durch einen
deuteronomifchen Zufatz bezeugte Befeitigung der
Höhen nicht als gefchichthch erwiefene Thatfache gelten
kann. Was Steuernagel auf S. 102 fg. zu Gunften diefer
angeblichen Thatfache vorbringt, fcheint Ref. nicht ftich-
haltig und fällt nicht ins Gewicht gegen die wirkliche
Thatfache, dafs der ältere Bericht von diefer Höhenbe-
feitigung gänzlich fchweigt. Unmöglich erfcheint mir
ferner die Annahme, dafs ein fo complicirtes Deuteronomium
— abgefehen von einigen ganz fpäten Zufätzen
— bereits unter Manaffe zu Stande gekommen fei. Ein
Gefetz, das bereits Gegenftand einer zwiefachen Ausgabe
und Ueberarbeitung geworden ift, deffen zwei Ausgaben
dann zu einer neuen, dritten, grofsen Gefammt-
ausgabe zufammengearbeitet worden find, und deffen
einzelne Ausgaben von Anfang an bellimmt waren, als
prophetifche Reden auf die öffentliche Meinung zu wirken
, konnte unmöglich fo bald und fo fehr in Vergeffen-
heit gerathen, dafs der Konig Jolia und feine Zeitge-
noffen ihm wie einem Novum gegenüberftanden. Diefe
letzte Thatfache zeigt vielmehr deutlich, dafs das Gefetz
bis dahin völlig unb. kannt war, alfo überhaupt noch
nicht in einer für die üeffentlichkeit beftimmten Bearbeitung
vorlag. Erft die vollendete Thatfache feiner Annahme
zum Staatsgrundgefetz erklärt die fieberhafte
Thätigkeit, die lieh mit der immer erneuten Bearbeitung
des deuteronomifchen Grundgefetzes zu fchaffen machte.

Jedenfalls aber — das mufs anerkannt werden — ift
Steuernagel tiefer und erfolgreicher in den literarifchen
Charakter des Deuteronomiums eingedrungen als feine
Vorgänger, und wenn er auch noch nicht durchaus ab-
fchliefsende Refultate darbietet, fo werden feine Beobachtungen
doch bleibenden Werth behalten und Niemand
wird ungeftraft an ihnen vorüber gehen dürfen,
der die wiffenfchafthche Erkenntnifs des Deuteronomiums
weiter fördern will.

Jena. ß. Baentfch.

Rüben, Paul, Critical remarks upon some passages of the
Old Testament. London, Luzac & Co., 1895. (III, 23
u. 13 S. gr. 4.) Geb. M. 3.50.

Der Verfaffer bekennt vorzugsweife durch die Arbeiten
der deutfchen altteftamcntliohen Wiffenfchaft,

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